Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 1. Göttingen, 1741.vergnügen leitet man her aus einer lebendigen
Vorstellung der Unvollkommenheiten, die wir in einer Sache anzutreffen vermeinen. Jch habe mich aber nicht unterstehen mögen diesen Grund als allgemein anzugeben, indem mir deucht, daß wenn man alles Vergnügen und Mißvergnügen daraus begreiffen will, man in vielen Fällen weiter nichts sagt, als dieses; eine Sache ver- gnüget mich, weil sie mich vergnüget, und eine andere ist mir verdrießlich und unangenehm, weil sie mir unangenehme Empfindungen macht. Z. E. Wenn man fraget, warum vergnüget uns der Geschmack des Weins? So müste man antworten, weil wir eine Vollkommenheit in demselben antreffen. Fragte man weiter, wel- ches ist denn diese Vollkommenheit? So kan man keine andere angeben als diese, daß ein solcher Geschmack angenehm sey oder ein Vergnügen mache. Folglich hat man durch die erste Ant- wort nur mit andern Sylben gesagt: der Ge- schmack des Weins vergnüget uns, weil er uns vergnüget. Und dergleichen Fälle sind weit mehr. Jch glaube derowegen, daß, wenn man die Sache genau nehmen und accurat reden wolle, man wol sagen könne: eine Sache, in wel- cher wir besondere Vollkommenheiten wahrneh- men und uns lebhafft vorstellen, vergnüget uns, und eine Sache, in welcher wir Unvollkommen- heiten mit einer lebhafften Vorstellung antref- fen, ist uns unangenehm: ich meine aber nicht, daß sich diese Sätze allezeit umkehreu lassen, und man bekräfftigen könne: ein jedes Ding ist uns angenehm oder unangenehm, weil wir uns bey demselben entweder Vollkommenheiten oder Unvollkommenheiten vorstellen; sondern man wird öffters bloß bey der Natur der Seele müssen stehen bleiben, und sagen: dieses Ding ist mir an- genehm, vergnuͤgen leitet man her aus einer lebendigen
Vorſtellung der Unvollkommenheiten, die wir in einer Sache anzutreffen vermeinen. Jch habe mich aber nicht unterſtehen moͤgen dieſen Grund als allgemein anzugeben, indem mir deucht, daß wenn man alles Vergnuͤgen und Mißvergnuͤgen daraus begreiffen will, man in vielen Faͤllen weiter nichts ſagt, als dieſes; eine Sache ver- gnuͤget mich, weil ſie mich vergnuͤget, und eine andere iſt mir verdrießlich und unangenehm, weil ſie mir unangenehme Empfindungen macht. Z. E. Wenn man fraget, warum vergnuͤget uns der Geſchmack des Weins? So muͤſte man antworten, weil wir eine Vollkommenheit in demſelben antreffen. Fragte man weiter, wel- ches iſt denn dieſe Vollkommenheit? So kan man keine andere angeben als dieſe, daß ein ſolcher Geſchmack angenehm ſey oder ein Vergnuͤgen mache. Folglich hat man durch die erſte Ant- wort nur mit andern Sylben geſagt: der Ge- ſchmack des Weins vergnuͤget uns, weil er uns vergnuͤget. Und dergleichen Faͤlle ſind weit mehr. Jch glaube derowegen, daß, wenn man die Sache genau nehmen und accurat reden wolle, man wol ſagen koͤnne: eine Sache, in wel- cher wir beſondere Vollkommenheiten wahrneh- men und uns lebhafft vorſtellen, vergnuͤget uns, und eine Sache, in welcher wir Unvollkommen- heiten mit einer lebhafften Vorſtellung antref- fen, iſt uns unangenehm: ich meine aber nicht, daß ſich dieſe Saͤtze allezeit umkehreu laſſen, und man bekraͤfftigen koͤnne: ein jedes Ding iſt uns angenehm oder unangenehm, weil wir uns bey demſelben entweder Vollkommenheiten oder Unvollkommenheiten vorſtellen; ſondern man wird oͤffters bloß bey der Natur der Seele muͤſſen ſtehen bleiben, und ſagen: dieſes Ding iſt mir an- genehm, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0182" n="150[146]"/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <note next="#a24" xml:id="a23" prev="#a22" place="foot" n="(*)">vergnuͤgen leitet man her aus einer lebendigen<lb/> Vorſtellung der Unvollkommenheiten, die wir in<lb/> einer Sache anzutreffen vermeinen. Jch habe<lb/> mich aber nicht unterſtehen moͤgen dieſen Grund<lb/> als allgemein anzugeben, indem mir deucht, daß<lb/> wenn man alles Vergnuͤgen und Mißvergnuͤgen<lb/> daraus begreiffen will, man in vielen Faͤllen<lb/> weiter nichts ſagt, als dieſes; eine Sache ver-<lb/> gnuͤget mich, weil ſie mich vergnuͤget, und eine<lb/> andere iſt mir verdrießlich und unangenehm,<lb/> weil ſie mir unangenehme Empfindungen macht.<lb/> Z. E. Wenn man fraget, warum vergnuͤget uns<lb/> der Geſchmack des Weins? So muͤſte man<lb/> antworten, weil wir eine Vollkommenheit in<lb/> demſelben antreffen. Fragte man weiter, wel-<lb/> ches iſt denn dieſe Vollkommenheit? So kan man<lb/> keine andere angeben als dieſe, daß ein ſolcher<lb/> Geſchmack angenehm ſey oder ein Vergnuͤgen<lb/> mache. Folglich hat man durch die erſte Ant-<lb/> wort nur mit andern Sylben geſagt: der Ge-<lb/> ſchmack des Weins vergnuͤget uns, weil er uns<lb/> vergnuͤget. Und dergleichen Faͤlle ſind weit<lb/> mehr. Jch glaube derowegen, daß, wenn man<lb/> die Sache genau nehmen und accurat reden<lb/> wolle, man wol ſagen koͤnne: eine Sache, in wel-<lb/> cher wir beſondere Vollkommenheiten wahrneh-<lb/> men und uns lebhafft vorſtellen, vergnuͤget uns,<lb/> und eine Sache, in welcher wir Unvollkommen-<lb/> heiten mit einer lebhafften Vorſtellung antref-<lb/> fen, iſt uns unangenehm: ich meine aber nicht,<lb/> daß ſich dieſe Saͤtze allezeit umkehreu laſſen,<lb/> und man bekraͤfftigen koͤnne: ein jedes Ding iſt<lb/> uns angenehm oder unangenehm, weil wir uns<lb/> bey demſelben entweder Vollkommenheiten oder<lb/> Unvollkommenheiten vorſtellen; ſondern man<lb/> wird oͤffters bloß bey der Natur der Seele muͤſſen<lb/> ſtehen bleiben, und ſagen: dieſes Ding iſt mir an-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">genehm,</fw></note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [150[146]/0182]
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(*) vergnuͤgen leitet man her aus einer lebendigen
Vorſtellung der Unvollkommenheiten, die wir in
einer Sache anzutreffen vermeinen. Jch habe
mich aber nicht unterſtehen moͤgen dieſen Grund
als allgemein anzugeben, indem mir deucht, daß
wenn man alles Vergnuͤgen und Mißvergnuͤgen
daraus begreiffen will, man in vielen Faͤllen
weiter nichts ſagt, als dieſes; eine Sache ver-
gnuͤget mich, weil ſie mich vergnuͤget, und eine
andere iſt mir verdrießlich und unangenehm,
weil ſie mir unangenehme Empfindungen macht.
Z. E. Wenn man fraget, warum vergnuͤget uns
der Geſchmack des Weins? So muͤſte man
antworten, weil wir eine Vollkommenheit in
demſelben antreffen. Fragte man weiter, wel-
ches iſt denn dieſe Vollkommenheit? So kan man
keine andere angeben als dieſe, daß ein ſolcher
Geſchmack angenehm ſey oder ein Vergnuͤgen
mache. Folglich hat man durch die erſte Ant-
wort nur mit andern Sylben geſagt: der Ge-
ſchmack des Weins vergnuͤget uns, weil er uns
vergnuͤget. Und dergleichen Faͤlle ſind weit
mehr. Jch glaube derowegen, daß, wenn man
die Sache genau nehmen und accurat reden
wolle, man wol ſagen koͤnne: eine Sache, in wel-
cher wir beſondere Vollkommenheiten wahrneh-
men und uns lebhafft vorſtellen, vergnuͤget uns,
und eine Sache, in welcher wir Unvollkommen-
heiten mit einer lebhafften Vorſtellung antref-
fen, iſt uns unangenehm: ich meine aber nicht,
daß ſich dieſe Saͤtze allezeit umkehreu laſſen,
und man bekraͤfftigen koͤnne: ein jedes Ding iſt
uns angenehm oder unangenehm, weil wir uns
bey demſelben entweder Vollkommenheiten oder
Unvollkommenheiten vorſtellen; ſondern man
wird oͤffters bloß bey der Natur der Seele muͤſſen
ſtehen bleiben, und ſagen: dieſes Ding iſt mir an-
genehm,
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