Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 1. Göttingen, 1741.

Bild:
<< vorherige Seite





der Seele, besonders die Einbildungs-
kraft sich bey demselben durch einige
Würckungen äussere. Die Gründe,
welche mich bewegen dieses zu muth-
massen, sind folgende: Das Kind,
wenn es auch noch in seiner Mutter ver-
borgen lieget, besitzt schon alles, was zu
Empfindungen und denen Würckungen,
welche wir der Einbildungskraft zu-
schreiben, gehöret. Es ist die Seele
da, und also diejenige Kraft, welche sie
zu einem würcklichen Dinge und zwar
zu einer Seele macht. Denn es ist gar
nicht muthmaßlich, daß die Seele erst
bey der Gebuhrt solte in den Cörper
des Kindes geschoben werden. Es ist
der Leib da, und in demselben die fünf
äussern Sinne (organa sensoria), de-
ren bewegte Nerven zu den Empfindun-
gen und andern Vorstellungen Anlaß zu
geben pflegen. Es müssen diese Nerven
auch öfters in Bewegung gesetzet wer-
den, wegen der Verbindung mit der
Mutter. Und daher ist sehr muthmaß-
lich, daß die Seele eines Kindes schon
einige Vorstellungen hat, ehe es noch die
enge Cammer seiner Mutter verlässet,
und von der äussern Luft umgeben wird.
Es scheinet dieses auch mit der Aehnlich-
keit der Natur am mehresten überein zu
stimmen. Selbige pflegt keinen Sprung

zu





der Seele, beſonders die Einbildungs-
kraft ſich bey demſelben durch einige
Wuͤrckungen aͤuſſere. Die Gruͤnde,
welche mich bewegen dieſes zu muth-
maſſen, ſind folgende: Das Kind,
wenn es auch noch in ſeiner Mutter ver-
borgen lieget, beſitzt ſchon alles, was zu
Empfindungen und denen Wuͤrckungen,
welche wir der Einbildungskraft zu-
ſchreiben, gehoͤret. Es iſt die Seele
da, und alſo diejenige Kraft, welche ſie
zu einem wuͤrcklichen Dinge und zwar
zu einer Seele macht. Denn es iſt gar
nicht muthmaßlich, daß die Seele erſt
bey der Gebuhrt ſolte in den Coͤrper
des Kindes geſchoben werden. Es iſt
der Leib da, und in demſelben die fuͤnf
aͤuſſern Sinne (organa ſenſoria), de-
ren bewegte Nerven zu den Empfindun-
gen und andern Vorſtellungen Anlaß zu
geben pflegen. Es muͤſſen dieſe Nerven
auch oͤfters in Bewegung geſetzet wer-
den, wegen der Verbindung mit der
Mutter. Und daher iſt ſehr muthmaß-
lich, daß die Seele eines Kindes ſchon
einige Vorſtellungen hat, ehe es noch die
enge Cammer ſeiner Mutter verlaͤſſet,
und von der aͤuſſern Luft umgeben wird.
Es ſcheinet dieſes auch mit der Aehnlich-
keit der Natur am mehreſten uͤberein zu
ſtimmen. Selbige pflegt keinen Sprung

zu
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0298" n="266[262]"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
der Seele, be&#x017F;onders die Einbildungs-<lb/>
kraft &#x017F;ich bey dem&#x017F;elben durch einige<lb/>
Wu&#x0364;rckungen a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;ere. Die Gru&#x0364;nde,<lb/>
welche mich bewegen die&#x017F;es zu muth-<lb/>
ma&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ind folgende: Das Kind,<lb/>
wenn es auch noch in &#x017F;einer Mutter ver-<lb/>
borgen lieget, be&#x017F;itzt &#x017F;chon alles, was zu<lb/>
Empfindungen und denen Wu&#x0364;rckungen,<lb/>
welche wir der Einbildungskraft zu-<lb/>
&#x017F;chreiben, geho&#x0364;ret. Es i&#x017F;t die Seele<lb/>
da, und al&#x017F;o diejenige Kraft, welche &#x017F;ie<lb/>
zu einem wu&#x0364;rcklichen Dinge und zwar<lb/>
zu einer Seele macht. Denn es i&#x017F;t gar<lb/>
nicht muthmaßlich, daß die Seele er&#x017F;t<lb/>
bey der Gebuhrt &#x017F;olte in den Co&#x0364;rper<lb/>
des Kindes ge&#x017F;choben werden. Es i&#x017F;t<lb/>
der Leib da, und in dem&#x017F;elben die fu&#x0364;nf<lb/>
a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;ern Sinne (<hi rendition="#aq">organa &#x017F;en&#x017F;oria</hi>), de-<lb/>
ren bewegte Nerven zu den Empfindun-<lb/>
gen und andern Vor&#x017F;tellungen Anlaß zu<lb/>
geben pflegen. Es mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en die&#x017F;e Nerven<lb/>
auch o&#x0364;fters in Bewegung ge&#x017F;etzet wer-<lb/>
den, wegen der Verbindung mit der<lb/>
Mutter. Und daher i&#x017F;t &#x017F;ehr muthmaß-<lb/>
lich, daß die Seele eines Kindes &#x017F;chon<lb/>
einige Vor&#x017F;tellungen hat, ehe es noch die<lb/>
enge Cammer &#x017F;einer Mutter verla&#x0364;&#x017F;&#x017F;et,<lb/>
und von der a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;ern Luft umgeben wird.<lb/>
Es &#x017F;cheinet die&#x017F;es auch mit der Aehnlich-<lb/>
keit der Natur am mehre&#x017F;ten u&#x0364;berein zu<lb/>
&#x017F;timmen. Selbige pflegt keinen Sprung<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">zu</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[266[262]/0298] der Seele, beſonders die Einbildungs- kraft ſich bey demſelben durch einige Wuͤrckungen aͤuſſere. Die Gruͤnde, welche mich bewegen dieſes zu muth- maſſen, ſind folgende: Das Kind, wenn es auch noch in ſeiner Mutter ver- borgen lieget, beſitzt ſchon alles, was zu Empfindungen und denen Wuͤrckungen, welche wir der Einbildungskraft zu- ſchreiben, gehoͤret. Es iſt die Seele da, und alſo diejenige Kraft, welche ſie zu einem wuͤrcklichen Dinge und zwar zu einer Seele macht. Denn es iſt gar nicht muthmaßlich, daß die Seele erſt bey der Gebuhrt ſolte in den Coͤrper des Kindes geſchoben werden. Es iſt der Leib da, und in demſelben die fuͤnf aͤuſſern Sinne (organa ſenſoria), de- ren bewegte Nerven zu den Empfindun- gen und andern Vorſtellungen Anlaß zu geben pflegen. Es muͤſſen dieſe Nerven auch oͤfters in Bewegung geſetzet wer- den, wegen der Verbindung mit der Mutter. Und daher iſt ſehr muthmaß- lich, daß die Seele eines Kindes ſchon einige Vorſtellungen hat, ehe es noch die enge Cammer ſeiner Mutter verlaͤſſet, und von der aͤuſſern Luft umgeben wird. Es ſcheinet dieſes auch mit der Aehnlich- keit der Natur am mehreſten uͤberein zu ſtimmen. Selbige pflegt keinen Sprung zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen01_1741
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen01_1741/298
Zitationshilfe: Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 1. Göttingen, 1741, S. 266[262]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen01_1741/298>, abgerufen am 22.11.2024.