geringste Schuldigkeit auf uns bringen ihm zu leben und zu sterben? Erwegt Menschenkinder, was für ein Urtheil ihr über einen Knecht sprechen würdet, um welchen ihr so viel gethan, und der sich dennoch dadurch nicht zu der gering- sten Ehrerbietung bewegen liesse? Gewiß es würde nach eurem Urtheil dem hals- starrigen Ungehorsahm und der verhärte- ten Bosheit eines solchen Knechtes ge- mäß seyn, daß man ihn so lange aller Gna- denbezeigungen unwürdig achtete, als seine verstockte Härte unerweichlich wäre. Jhr würdet ihn würdig achten, daß er härtere Strafe empfände, als ein ander Knecht, der bey geringern Wolthaten seines Herren einige Untreue bewiesen. Man begreiffe hieraus, wie groß die Boß- heit derer, welche sich durch alles, was GOtt gethan, zu keiner treuen und lieb- reichen Ehrerbietung gegen denselben be- wegen lassen. Man begreiffe, daß sie gedoppelte Streiche verdienen.
§. 5.
Diese Verbind- lichkeit wird mit mehrerm beträfti- get.
Wir wollen eben diese Verbindlichkeit der Erlöseten, ihrem Herrn treu zu seyn, aus Gründen des natürlichen Rechtes herleiten. Wir würden hierbey auf die ersten Gründe zurück gehen, wenn sich bey denselben nicht eine gar zu grosse und hefftige Uneinigkeit der Gelehrten zeigte.
Da
geringſte Schuldigkeit auf uns bringen ihm zu leben und zu ſterben? Erwegt Menſchenkinder, was fuͤr ein Urtheil ihr uͤber einen Knecht ſprechen wuͤrdet, um welchen ihr ſo viel gethan, und der ſich dennoch dadurch nicht zu der gering- ſten Ehrerbietung bewegen lieſſe? Gewiß es wuͤrde nach eurem Urtheil dem hals- ſtarrigen Ungehorſahm und der verhaͤrte- ten Bosheit eines ſolchen Knechtes ge- maͤß ſeyn, daß man ihn ſo lange aller Gna- denbezeigungen unwuͤrdig achtete, als ſeine verſtockte Haͤrte unerweichlich waͤre. Jhr wuͤrdet ihn wuͤrdig achten, daß er haͤrtere Strafe empfaͤnde, als ein ander Knecht, der bey geringern Wolthaten ſeines Herren einige Untreue bewieſen. Man begreiffe hieraus, wie groß die Boß- heit derer, welche ſich durch alles, was GOtt gethan, zu keiner treuen und lieb- reichen Ehrerbietung gegen denſelben be- wegen laſſen. Man begreiffe, daß ſie gedoppelte Streiche verdienen.
§. 5.
Dieſe Verbind- lichkeit wird mit mehrerm betraͤfti- get.
Wir wollen eben dieſe Verbindlichkeit der Erloͤſeten, ihrem Herrn treu zu ſeyn, aus Gruͤnden des natuͤrlichen Rechtes herleiten. Wir wuͤrden hierbey auf die erſten Gruͤnde zuruͤck gehen, wenn ſich bey denſelben nicht eine gar zu groſſe und hefftige Uneinigkeit der Gelehrten zeigte.
Da
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[440[436]/0472]
geringſte Schuldigkeit auf uns bringen
ihm zu leben und zu ſterben? Erwegt
Menſchenkinder, was fuͤr ein Urtheil
ihr uͤber einen Knecht ſprechen wuͤrdet,
um welchen ihr ſo viel gethan, und der
ſich dennoch dadurch nicht zu der gering-
ſten Ehrerbietung bewegen lieſſe? Gewiß
es wuͤrde nach eurem Urtheil dem hals-
ſtarrigen Ungehorſahm und der verhaͤrte-
ten Bosheit eines ſolchen Knechtes ge-
maͤß ſeyn, daß man ihn ſo lange aller Gna-
denbezeigungen unwuͤrdig achtete, als
ſeine verſtockte Haͤrte unerweichlich waͤre.
Jhr wuͤrdet ihn wuͤrdig achten, daß er
haͤrtere Strafe empfaͤnde, als ein ander
Knecht, der bey geringern Wolthaten
ſeines Herren einige Untreue bewieſen.
Man begreiffe hieraus, wie groß die Boß-
heit derer, welche ſich durch alles, was
GOtt gethan, zu keiner treuen und lieb-
reichen Ehrerbietung gegen denſelben be-
wegen laſſen. Man begreiffe, daß ſie
gedoppelte Streiche verdienen.
§. 5.
Wir wollen eben dieſe Verbindlichkeit
der Erloͤſeten, ihrem Herrn treu zu ſeyn,
aus Gruͤnden des natuͤrlichen Rechtes
herleiten. Wir wuͤrden hierbey auf die
erſten Gruͤnde zuruͤck gehen, wenn ſich
bey denſelben nicht eine gar zu groſſe und
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Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 1. Göttingen, 1741, S. 440[436]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen01_1741/472>, abgerufen am 26.11.2024.
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