Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 2. Göttingen, 1745.Ausschweifungen. Auf dem Lande müssen
auch die Knaben über dieses mehr in den Häusern bleiben als in den Städten. Jhre Häuser sind, ich darf fast sagen, die mehreste Zeit, so mit Koth umgeben, daß die kleinen Kinder nur im heissen Sommer auf den Gas- sen, und zwar hie und da wenige zusammen kommen, und mit einander spielen können. Jn den Städten aber liegen sie Winter und Sommer auf den Gassen. Es sind ferner in den Städten in sehr vielen Häusern Lehr- pursche und Gesellen, zu selbigen halten sich die Knaben. Es ist unnöthig die Folgen, so daher entstehen, zu nennen. Man hat in den Städten auch viele feierliche Zusam- menkünfte. Es werden Lehrpursche losge- sprochen, Meister gemacht, grosse Freyschies- sen von gantzen Wochen gehalten. Bey allen diesen Gelegenheiten muß gesoffen wer- den, sonst gienge es nicht feierlich zu. Der Vater nimmt das Söhnchen mit. Der Va- ter berausch sich. Der Sohn folgt ihm. Der mehreste Handwercks-Mann in den Städ- ten, meinet endlich, man könne nicht arbei- ten, wenn man des Morgens nicht ein Gläs- gen Brandtewein genommen. Er schmeckt ihnen sehr gut. Seine Liebe gegen seinen Sohn ist ohne Vernunft zärtlich. Der Sohn muß auch kosten, was des Vaters Zunge angenehm ist. Er findet nach kurtzen einen Geschmack daran. Er muß dem Vater die- sen Nectar zutragen. Wie oft siehet man daher, daß der Sohn an einer Ecke stehet, und erst probieret, ob er auch gut sey. Ein Bauer auf dem Lande kan dieses insgemein nicht ausführen. Er muß Wasser, oder kleien Covent mit den Seinigen trincken. Und den Ausſchweifungen. Auf dem Lande muͤſſen
auch die Knaben uͤber dieſes mehr in den Haͤuſern bleiben als in den Staͤdten. Jhre Haͤuſer ſind, ich darf faſt ſagen, die mehreſte Zeit, ſo mit Koth umgeben, daß die kleinen Kinder nur im heiſſen Sommer auf den Gaſ- ſen, und zwar hie und da wenige zuſammen kommen, und mit einander ſpielen koͤnnen. Jn den Staͤdten aber liegen ſie Winter und Sommer auf den Gaſſen. Es ſind ferner in den Staͤdten in ſehr vielen Haͤuſern Lehr- purſche und Geſellen, zu ſelbigen halten ſich die Knaben. Es iſt unnoͤthig die Folgen, ſo daher entſtehen, zu nennen. Man hat in den Staͤdten auch viele feierliche Zuſam- menkuͤnfte. Es werden Lehrpurſche losge- ſprochen, Meiſter gemacht, groſſe Freyſchieſ- ſen von gantzen Wochen gehalten. Bey allen dieſen Gelegenheiten muß geſoffen wer- den, ſonſt gienge es nicht feierlich zu. Der Vater nimmt das Soͤhnchen mit. Der Va- ter berauſch ſich. Der Sohn folgt ihm. Der mehreſte Handwercks-Mann in den Staͤd- ten, meinet endlich, man koͤnne nicht arbei- ten, wenn man des Morgens nicht ein Glaͤs- gen Brandtewein genommen. Er ſchmeckt ihnen ſehr gut. Seine Liebe gegen ſeinen Sohn iſt ohne Vernunft zaͤrtlich. Der Sohn muß auch koſten, was des Vaters Zunge angenehm iſt. Er findet nach kurtzen einen Geſchmack daran. Er muß dem Vater die- ſen Nectar zutragen. Wie oft ſiehet man daher, daß der Sohn an einer Ecke ſtehet, und erſt probieret, ob er auch gut ſey. Ein Bauer auf dem Lande kan dieſes insgemein nicht ausfuͤhren. Er muß Waſſer, oder kleien Covent mit den Seinigen trincken. Und den <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0175" n="157"/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <note next="#a33" xml:id="a32" prev="#a31" place="foot" n="(***)">Ausſchweifungen. Auf dem Lande muͤſſen<lb/> auch die Knaben uͤber dieſes mehr in den<lb/> Haͤuſern bleiben als in den Staͤdten. Jhre<lb/> Haͤuſer ſind, ich darf faſt ſagen, die mehreſte<lb/> Zeit, ſo mit Koth umgeben, daß die kleinen<lb/> Kinder nur im heiſſen Sommer auf den Gaſ-<lb/> ſen, und zwar hie und da wenige zuſammen<lb/> kommen, und mit einander ſpielen koͤnnen.<lb/> Jn den Staͤdten aber liegen ſie Winter und<lb/> Sommer auf den Gaſſen. Es ſind ferner<lb/> in den Staͤdten in ſehr vielen Haͤuſern Lehr-<lb/> purſche und Geſellen, zu ſelbigen halten ſich<lb/> die Knaben. Es iſt unnoͤthig die Folgen,<lb/> ſo daher entſtehen, zu nennen. Man hat<lb/> in den Staͤdten auch viele feierliche Zuſam-<lb/> menkuͤnfte. Es werden Lehrpurſche losge-<lb/> ſprochen, Meiſter gemacht, groſſe Freyſchieſ-<lb/> ſen von gantzen Wochen gehalten. Bey<lb/> allen dieſen Gelegenheiten muß geſoffen wer-<lb/> den, ſonſt gienge es nicht feierlich zu. Der<lb/> Vater nimmt das Soͤhnchen mit. Der Va-<lb/> ter berauſch ſich. Der Sohn folgt ihm. Der<lb/> mehreſte Handwercks-Mann in den Staͤd-<lb/> ten, meinet endlich, man koͤnne nicht arbei-<lb/> ten, wenn man des Morgens nicht ein Glaͤs-<lb/> gen Brandtewein genommen. Er ſchmeckt<lb/> ihnen ſehr gut. Seine Liebe gegen ſeinen<lb/> Sohn iſt ohne Vernunft zaͤrtlich. Der Sohn<lb/> muß auch koſten, was des Vaters Zunge<lb/> angenehm iſt. Er findet nach kurtzen einen<lb/> Geſchmack daran. Er muß dem Vater die-<lb/> ſen Nectar zutragen. Wie oft ſiehet man<lb/> daher, daß der Sohn an einer Ecke ſtehet,<lb/> und erſt probieret, ob er auch gut ſey. Ein<lb/> Bauer auf dem Lande kan dieſes insgemein<lb/> nicht ausfuͤhren. Er muß Waſſer, oder kleien<lb/> Covent mit den Seinigen trincken. Und<lb/> <fw place="bottom" type="catch">den</fw></note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [157/0175]
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(***) Ausſchweifungen. Auf dem Lande muͤſſen
auch die Knaben uͤber dieſes mehr in den
Haͤuſern bleiben als in den Staͤdten. Jhre
Haͤuſer ſind, ich darf faſt ſagen, die mehreſte
Zeit, ſo mit Koth umgeben, daß die kleinen
Kinder nur im heiſſen Sommer auf den Gaſ-
ſen, und zwar hie und da wenige zuſammen
kommen, und mit einander ſpielen koͤnnen.
Jn den Staͤdten aber liegen ſie Winter und
Sommer auf den Gaſſen. Es ſind ferner
in den Staͤdten in ſehr vielen Haͤuſern Lehr-
purſche und Geſellen, zu ſelbigen halten ſich
die Knaben. Es iſt unnoͤthig die Folgen,
ſo daher entſtehen, zu nennen. Man hat
in den Staͤdten auch viele feierliche Zuſam-
menkuͤnfte. Es werden Lehrpurſche losge-
ſprochen, Meiſter gemacht, groſſe Freyſchieſ-
ſen von gantzen Wochen gehalten. Bey
allen dieſen Gelegenheiten muß geſoffen wer-
den, ſonſt gienge es nicht feierlich zu. Der
Vater nimmt das Soͤhnchen mit. Der Va-
ter berauſch ſich. Der Sohn folgt ihm. Der
mehreſte Handwercks-Mann in den Staͤd-
ten, meinet endlich, man koͤnne nicht arbei-
ten, wenn man des Morgens nicht ein Glaͤs-
gen Brandtewein genommen. Er ſchmeckt
ihnen ſehr gut. Seine Liebe gegen ſeinen
Sohn iſt ohne Vernunft zaͤrtlich. Der Sohn
muß auch koſten, was des Vaters Zunge
angenehm iſt. Er findet nach kurtzen einen
Geſchmack daran. Er muß dem Vater die-
ſen Nectar zutragen. Wie oft ſiehet man
daher, daß der Sohn an einer Ecke ſtehet,
und erſt probieret, ob er auch gut ſey. Ein
Bauer auf dem Lande kan dieſes insgemein
nicht ausfuͤhren. Er muß Waſſer, oder kleien
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