Dank, mehr Unterthänigkeit schuldig, als daß du sie so sehr erniedrigen solltest, daß du sie zur Frau nähmest, und sie in die Gefahr setztest, von einem Kinde also ge- halten zu werden, als viele ihre Frauen halten. Achte deine Mutter werther und höher, als daß du sie also erniedrigen und einer solchen Gefahr aussetzen solltest. Ueber Empfindungen lässet es sich nicht streiten, und ich muß es einem jeden Leser überlassen, ob er eben dasjenige bey obigem Gesetze empfindet, was ich dabey fühle. Ja ich und auch andere gelehrte Freunde, so ich darüber befraget, empfinden noch mehr. Nach unserm Gefühl kann die Ehr- erbietung, die man einer Mutter schuldig ist, und die Gemeinschaft, Familiarität, darinne man mit einer Frau lebet, nicht mit einander bestehen. Mir fällt hierbey ein Gedanke ein, den ich einmal in einem Werke des Witzes gelesen habe, und die- ser ist. Majestät und Liebe, nämlich buhlerische Liebe, können nicht bey ein- ander seyn. Man gedenke sich einen kö- niglichen Pallast mit einem platten Dache. Man setze, ein junger König liesse sich da- selbst ohne Gezelt, vor vieler Augen mit einer königlichen Braut sehen, und thäte alles dasjenige frey öffentlich, was er in seiner verschlossenen Kammer thut. Wür- de dieser Anblick in selbiger Stunde bey den Zuschauern auch noch die geringste Empfin-
dung
Dank, mehr Unterthaͤnigkeit ſchuldig, als daß du ſie ſo ſehr erniedrigen ſollteſt, daß du ſie zur Frau naͤhmeſt, und ſie in die Gefahr ſetzteſt, von einem Kinde alſo ge- halten zu werden, als viele ihre Frauen halten. Achte deine Mutter werther und hoͤher, als daß du ſie alſo erniedrigen und einer ſolchen Gefahr ausſetzen ſollteſt. Ueber Empfindungen laͤſſet es ſich nicht ſtreiten, und ich muß es einem jeden Leſer uͤberlaſſen, ob er eben dasjenige bey obigem Geſetze empfindet, was ich dabey fuͤhle. Ja ich und auch andere gelehrte Freunde, ſo ich daruͤber befraget, empfinden noch mehr. Nach unſerm Gefuͤhl kann die Ehr- erbietung, die man einer Mutter ſchuldig iſt, und die Gemeinſchaft, Familiaritaͤt, darinne man mit einer Frau lebet, nicht mit einander beſtehen. Mir faͤllt hierbey ein Gedanke ein, den ich einmal in einem Werke des Witzes geleſen habe, und die- ſer iſt. Majeſtaͤt und Liebe, naͤmlich buhleriſche Liebe, koͤnnen nicht bey ein- ander ſeyn. Man gedenke ſich einen koͤ- niglichen Pallaſt mit einem platten Dache. Man ſetze, ein junger Koͤnig lieſſe ſich da- ſelbſt ohne Gezelt, vor vieler Augen mit einer koͤniglichen Braut ſehen, und thaͤte alles dasjenige frey oͤffentlich, was er in ſeiner verſchloſſenen Kammer thut. Wuͤr- de dieſer Anblick in ſelbiger Stunde bey den Zuſchauern auch noch die geringſte Empfin-
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Dank, mehr Unterthaͤnigkeit ſchuldig, als
daß du ſie ſo ſehr erniedrigen ſollteſt, daß
du ſie zur Frau naͤhmeſt, und ſie in die
Gefahr ſetzteſt, von einem Kinde alſo ge-
halten zu werden, als viele ihre Frauen
halten. Achte deine Mutter werther und
hoͤher, als daß du ſie alſo erniedrigen und
einer ſolchen Gefahr ausſetzen ſollteſt.
Ueber Empfindungen laͤſſet es ſich nicht
ſtreiten, und ich muß es einem jeden Leſer
uͤberlaſſen, ob er eben dasjenige bey obigem
Geſetze empfindet, was ich dabey fuͤhle.
Ja ich und auch andere gelehrte Freunde,
ſo ich daruͤber befraget, empfinden noch
mehr. Nach unſerm Gefuͤhl kann die Ehr-
erbietung, die man einer Mutter ſchuldig
iſt, und die Gemeinſchaft, Familiaritaͤt,
darinne man mit einer Frau lebet, nicht
mit einander beſtehen. Mir faͤllt hierbey ein
Gedanke ein, den ich einmal in einem
Werke des Witzes geleſen habe, und die-
ſer iſt. Majeſtaͤt und Liebe, naͤmlich
buhleriſche Liebe, koͤnnen nicht bey ein-
ander ſeyn. Man gedenke ſich einen koͤ-
niglichen Pallaſt mit einem platten Dache.
Man ſetze, ein junger Koͤnig lieſſe ſich da-
ſelbſt ohne Gezelt, vor vieler Augen mit
einer koͤniglichen Braut ſehen, und thaͤte
alles dasjenige frey oͤffentlich, was er in
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Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766/380>, abgerufen am 22.11.2024.
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