Jn wie fer- ne man Schlüsse von einer verbothe- nen Ehe auf die an- dere ma- chen kann.
Aus diesem Gesetze folget ein anderes, so hier nicht ausdrücklich stehet, nämlich dieses, daß ein Enkel seine Großmutter nicht ehelichen soll. Ein jeder siehet leicht, warum der weiseste Gesetzgeber dieses Ge- setz dem vorhergehenden nicht beyfügen las- sen. Es würde ein solches Gesetz zum La- chen reizen, da die Natur schon dafür ge- sorget, daß ein Enkel keinen Reiz empfin- den wird, seine Großmutter zu heirathen. Jch mache hierbey die Anmerkung, daß ob ich gleich nicht von dem einen verbothenen Grade der Verwandschaft schliesse, daß alle übrige Verwandschaften von gleichem Grade auch verbothen sind, ich dennoch Schlüsse von einer verbothenen Ehe auf die andere gelten lasse. Wo nämlich bey einer nicht genannten Ehe eben die Ursachen und Absichten sind, welche das Verboth einer genannten Ehe veranlasset, da sehe ich sel- bige gleichfalls als verbothen an. Den Grad der Verwandschaft halte ich aber nicht für die Ursache des Gesetzes. Denn wenn das Gesetz will: Du sollst deine nächsten Verwandtinnen nicht heirathen, und es wird nach der Ursache gefraget, habe ich sie alsdenn angegeben, wenn ich antworte: weil es deine nächsten Ver- wandtinnen sind? Auf diese Art machte man ja das Verboth selber zur Ursache des Verbothes.
§. 23.
§. 22.
Jn wie fer- ne man Schluͤſſe von einer verbothe- nen Ehe auf die an- dere ma- chen kann.
Aus dieſem Geſetze folget ein anderes, ſo hier nicht ausdruͤcklich ſtehet, naͤmlich dieſes, daß ein Enkel ſeine Großmutter nicht ehelichen ſoll. Ein jeder ſiehet leicht, warum der weiſeſte Geſetzgeber dieſes Ge- ſetz dem vorhergehenden nicht beyfuͤgen laſ- ſen. Es wuͤrde ein ſolches Geſetz zum La- chen reizen, da die Natur ſchon dafuͤr ge- ſorget, daß ein Enkel keinen Reiz empfin- den wird, ſeine Großmutter zu heirathen. Jch mache hierbey die Anmerkung, daß ob ich gleich nicht von dem einen verbothenen Grade der Verwandſchaft ſchlieſſe, daß alle uͤbrige Verwandſchaften von gleichem Grade auch verbothen ſind, ich dennoch Schluͤſſe von einer verbothenen Ehe auf die andere gelten laſſe. Wo naͤmlich bey einer nicht genannten Ehe eben die Urſachen und Abſichten ſind, welche das Verboth einer genannten Ehe veranlaſſet, da ſehe ich ſel- bige gleichfalls als verbothen an. Den Grad der Verwandſchaft halte ich aber nicht fuͤr die Urſache des Geſetzes. Denn wenn das Geſetz will: Du ſollſt deine naͤchſten Verwandtinnen nicht heirathen, und es wird nach der Urſache gefraget, habe ich ſie alsdenn angegeben, wenn ich antworte: weil es deine naͤchſten Ver- wandtinnen ſind? Auf dieſe Art machte man ja das Verboth ſelber zur Urſache des Verbothes.
§. 23.
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0400"n="380"/><divn="2"><head>§. 22.</head><lb/><noteplace="left">Jn wie fer-<lb/>
ne man<lb/>
Schluͤſſe<lb/>
von einer<lb/>
verbothe-<lb/>
nen Ehe<lb/>
auf die an-<lb/>
dere ma-<lb/>
chen kann.</note><p>Aus dieſem Geſetze folget ein anderes,<lb/>ſo hier nicht ausdruͤcklich ſtehet, naͤmlich<lb/>
dieſes, daß ein Enkel ſeine Großmutter<lb/>
nicht ehelichen ſoll. Ein jeder ſiehet leicht,<lb/>
warum der weiſeſte Geſetzgeber dieſes Ge-<lb/>ſetz dem vorhergehenden nicht beyfuͤgen laſ-<lb/>ſen. Es wuͤrde ein ſolches Geſetz zum La-<lb/>
chen reizen, da die Natur ſchon dafuͤr ge-<lb/>ſorget, daß ein Enkel keinen Reiz empfin-<lb/>
den wird, ſeine Großmutter zu heirathen.<lb/>
Jch mache hierbey die Anmerkung, daß ob<lb/>
ich gleich nicht von dem einen verbothenen<lb/>
Grade der Verwandſchaft ſchlieſſe, daß<lb/>
alle uͤbrige Verwandſchaften von gleichem<lb/>
Grade auch verbothen ſind, ich dennoch<lb/>
Schluͤſſe von einer verbothenen Ehe auf die<lb/>
andere gelten laſſe. Wo naͤmlich bey einer<lb/>
nicht genannten Ehe eben die Urſachen und<lb/>
Abſichten ſind, welche das Verboth einer<lb/>
genannten Ehe veranlaſſet, da ſehe ich ſel-<lb/>
bige gleichfalls als verbothen an. Den<lb/>
Grad der Verwandſchaft halte ich aber<lb/>
nicht fuͤr die Urſache des Geſetzes. Denn<lb/>
wenn das Geſetz will: Du ſollſt deine<lb/>
naͤchſten Verwandtinnen nicht heirathen,<lb/>
und es wird nach der Urſache gefraget,<lb/>
habe ich ſie alsdenn angegeben, wenn ich<lb/>
antworte: weil es deine naͤchſten Ver-<lb/>
wandtinnen ſind? Auf dieſe Art machte<lb/>
man ja das Verboth ſelber zur Urſache des<lb/>
Verbothes.</p></div><lb/><fwplace="bottom"type="catch">§. 23.</fw><lb/></div></body></text></TEI>
[380/0400]
§. 22.
Aus dieſem Geſetze folget ein anderes,
ſo hier nicht ausdruͤcklich ſtehet, naͤmlich
dieſes, daß ein Enkel ſeine Großmutter
nicht ehelichen ſoll. Ein jeder ſiehet leicht,
warum der weiſeſte Geſetzgeber dieſes Ge-
ſetz dem vorhergehenden nicht beyfuͤgen laſ-
ſen. Es wuͤrde ein ſolches Geſetz zum La-
chen reizen, da die Natur ſchon dafuͤr ge-
ſorget, daß ein Enkel keinen Reiz empfin-
den wird, ſeine Großmutter zu heirathen.
Jch mache hierbey die Anmerkung, daß ob
ich gleich nicht von dem einen verbothenen
Grade der Verwandſchaft ſchlieſſe, daß
alle uͤbrige Verwandſchaften von gleichem
Grade auch verbothen ſind, ich dennoch
Schluͤſſe von einer verbothenen Ehe auf die
andere gelten laſſe. Wo naͤmlich bey einer
nicht genannten Ehe eben die Urſachen und
Abſichten ſind, welche das Verboth einer
genannten Ehe veranlaſſet, da ſehe ich ſel-
bige gleichfalls als verbothen an. Den
Grad der Verwandſchaft halte ich aber
nicht fuͤr die Urſache des Geſetzes. Denn
wenn das Geſetz will: Du ſollſt deine
naͤchſten Verwandtinnen nicht heirathen,
und es wird nach der Urſache gefraget,
habe ich ſie alsdenn angegeben, wenn ich
antworte: weil es deine naͤchſten Ver-
wandtinnen ſind? Auf dieſe Art machte
man ja das Verboth ſelber zur Urſache des
Verbothes.
§. 23.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766/400>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.