Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jacoby, Johann: Vier Fragen, beantwortet von einem Ostpreußen. Mannheim, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

ihnen nur einen Scheinantheil an den öffentlichen Angele-
genheiten verstattet; im Bewußtsein der eigenen Reife
wollen sie wahrhaft Theil haben am Leben des Staa-
tes -- mitwissend und mitwirkend. Nicht um eine Ga-
rantie bloß ist's ihnen zu thun, sondern um Befriedigung
eines tief gefühlten Bedürfnisses. Dem Könige vertraut
das Volk; denn es weiß, daß er nur das Gute will.
Nicht also den Ministern. Ob mit oder ohne Grund --
allgemein ist im Lande die Meinung verbreitet, das sie
der Oeffentlichkeit und dem politischen Fortschritte feind --
mehr in dem Gehorsame der Beamten als in der Liebe
selbstständiger Bürger die Stütze des Thrones suchen;
man ist besorgt wegen ihrer Liebe für längst verjährte
Institutionen, wegen ihrer Neigung zum Pietismus, der
dem gesunden religiösen Sinne des Volkes nicht zusagt;
man fürchtet Bevorzugung einer Provinz vor der andern,
Ueberschätzung der eigenen Staatsweisheit und Intoleranz
gegen Jeden, der (um die Worte eines preußischen Mini-
sters zu brauchen) "der Maasstab seiner geringen Ein-
sicht an die Befehle der von Gott eingesetzten Obrigkeit
anzulegen sich erdreistet." Nur freie Publicität und Ver-
tretung können über die Wahrheit oder Unwahrheit jener
patriotischen Befürchtungen Aufschluß geben. Wenn die
Bedürfnisse, Wünsche und Beschwerden des Volkes durch
selbstständige Vertreter unmittelbar zum Throne gelan-
gen, dann erst ist König und Volk sicher vor jener Be-
amten Eigenmacht, die Friedrich Wilhelm III. so treffend
geschildert, dann erst wird Fürst und Volk Eins, und

ihnen nur einen Scheinantheil an den oͤffentlichen Angele-
genheiten verſtattet; im Bewußtſein der eigenen Reife
wollen ſie wahrhaft Theil haben am Leben des Staa-
tes — mitwiſſend und mitwirkend. Nicht um eine Ga-
rantie bloß iſt's ihnen zu thun, ſondern um Befriedigung
eines tief gefuͤhlten Beduͤrfniſſes. Dem Koͤnige vertraut
das Volk; denn es weiß, daß er nur das Gute will.
Nicht alſo den Miniſtern. Ob mit oder ohne Grund —
allgemein iſt im Lande die Meinung verbreitet, das ſie
der Oeffentlichkeit und dem politiſchen Fortſchritte feind —
mehr in dem Gehorſame der Beamten als in der Liebe
ſelbſtſtaͤndiger Buͤrger die Stuͤtze des Thrones ſuchen;
man iſt beſorgt wegen ihrer Liebe fuͤr laͤngſt verjaͤhrte
Inſtitutionen, wegen ihrer Neigung zum Pietismus, der
dem geſunden religioͤſen Sinne des Volkes nicht zuſagt;
man fuͤrchtet Bevorzugung einer Provinz vor der andern,
Ueberſchaͤtzung der eigenen Staatsweisheit und Intoleranz
gegen Jeden, der (um die Worte eines preußiſchen Mini-
ſters zu brauchen) „der Maasſtab ſeiner geringen Ein-
ſicht an die Befehle der von Gott eingeſetzten Obrigkeit
anzulegen ſich erdreiſtet.“ Nur freie Publicitaͤt und Ver-
tretung koͤnnen uͤber die Wahrheit oder Unwahrheit jener
patriotiſchen Befuͤrchtungen Aufſchluß geben. Wenn die
Beduͤrfniſſe, Wuͤnſche und Beſchwerden des Volkes durch
ſelbſtſtaͤndige Vertreter unmittelbar zum Throne gelan-
gen, dann erſt iſt Koͤnig und Volk ſicher vor jener Be-
amten Eigenmacht, die Friedrich Wilhelm III. ſo treffend
geſchildert, dann erſt wird Fuͤrſt und Volk Eins, und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0030" n="24"/>
ihnen nur einen Scheinantheil an den o&#x0364;ffentlichen Angele-<lb/>
genheiten ver&#x017F;tattet; im Bewußt&#x017F;ein der eigenen Reife<lb/>
wollen &#x017F;ie <hi rendition="#g">wahrhaft</hi> Theil haben am Leben des Staa-<lb/>
tes &#x2014; mitwi&#x017F;&#x017F;end und mitwirkend. Nicht um eine Ga-<lb/>
rantie bloß i&#x017F;t's ihnen zu thun, &#x017F;ondern um Befriedigung<lb/>
eines tief gefu&#x0364;hlten Bedu&#x0364;rfni&#x017F;&#x017F;es. Dem Ko&#x0364;nige vertraut<lb/>
das Volk; denn es weiß, daß <hi rendition="#g">er</hi> nur das Gute will.<lb/>
Nicht al&#x017F;o den Mini&#x017F;tern. Ob mit oder ohne Grund &#x2014;<lb/>
allgemein i&#x017F;t im Lande die Meinung verbreitet, das &#x017F;ie<lb/>
der Oeffentlichkeit und dem politi&#x017F;chen Fort&#x017F;chritte feind &#x2014;<lb/>
mehr in dem Gehor&#x017F;ame der Beamten als in der Liebe<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;ta&#x0364;ndiger Bu&#x0364;rger die Stu&#x0364;tze des Thrones &#x017F;uchen;<lb/>
man i&#x017F;t be&#x017F;orgt wegen ihrer Liebe fu&#x0364;r la&#x0364;ng&#x017F;t verja&#x0364;hrte<lb/>
In&#x017F;titutionen, wegen ihrer Neigung zum Pietismus, der<lb/>
dem ge&#x017F;unden religio&#x0364;&#x017F;en Sinne des Volkes nicht zu&#x017F;agt;<lb/>
man fu&#x0364;rchtet Bevorzugung einer Provinz vor der andern,<lb/>
Ueber&#x017F;cha&#x0364;tzung der eigenen Staatsweisheit und Intoleranz<lb/>
gegen Jeden, der (um die Worte eines preußi&#x017F;chen Mini-<lb/>
&#x017F;ters zu brauchen) &#x201E;der Maas&#x017F;tab &#x017F;einer geringen Ein-<lb/>
&#x017F;icht an die Befehle der von Gott einge&#x017F;etzten Obrigkeit<lb/>
anzulegen &#x017F;ich erdrei&#x017F;tet.&#x201C; Nur freie Publicita&#x0364;t und Ver-<lb/>
tretung ko&#x0364;nnen u&#x0364;ber die Wahrheit oder Unwahrheit jener<lb/>
patrioti&#x017F;chen Befu&#x0364;rchtungen Auf&#x017F;chluß geben. Wenn die<lb/>
Bedu&#x0364;rfni&#x017F;&#x017F;e, Wu&#x0364;n&#x017F;che und Be&#x017F;chwerden des Volkes durch<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;ta&#x0364;ndige Vertreter <hi rendition="#g">unmittelbar</hi> zum Throne gelan-<lb/>
gen, dann er&#x017F;t i&#x017F;t Ko&#x0364;nig und Volk &#x017F;icher vor jener Be-<lb/>
amten Eigenmacht, die Friedrich Wilhelm <hi rendition="#aq">III</hi>. &#x017F;o treffend<lb/>
ge&#x017F;childert, dann er&#x017F;t wird Fu&#x0364;r&#x017F;t und Volk Eins, und<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[24/0030] ihnen nur einen Scheinantheil an den oͤffentlichen Angele- genheiten verſtattet; im Bewußtſein der eigenen Reife wollen ſie wahrhaft Theil haben am Leben des Staa- tes — mitwiſſend und mitwirkend. Nicht um eine Ga- rantie bloß iſt's ihnen zu thun, ſondern um Befriedigung eines tief gefuͤhlten Beduͤrfniſſes. Dem Koͤnige vertraut das Volk; denn es weiß, daß er nur das Gute will. Nicht alſo den Miniſtern. Ob mit oder ohne Grund — allgemein iſt im Lande die Meinung verbreitet, das ſie der Oeffentlichkeit und dem politiſchen Fortſchritte feind — mehr in dem Gehorſame der Beamten als in der Liebe ſelbſtſtaͤndiger Buͤrger die Stuͤtze des Thrones ſuchen; man iſt beſorgt wegen ihrer Liebe fuͤr laͤngſt verjaͤhrte Inſtitutionen, wegen ihrer Neigung zum Pietismus, der dem geſunden religioͤſen Sinne des Volkes nicht zuſagt; man fuͤrchtet Bevorzugung einer Provinz vor der andern, Ueberſchaͤtzung der eigenen Staatsweisheit und Intoleranz gegen Jeden, der (um die Worte eines preußiſchen Mini- ſters zu brauchen) „der Maasſtab ſeiner geringen Ein- ſicht an die Befehle der von Gott eingeſetzten Obrigkeit anzulegen ſich erdreiſtet.“ Nur freie Publicitaͤt und Ver- tretung koͤnnen uͤber die Wahrheit oder Unwahrheit jener patriotiſchen Befuͤrchtungen Aufſchluß geben. Wenn die Beduͤrfniſſe, Wuͤnſche und Beſchwerden des Volkes durch ſelbſtſtaͤndige Vertreter unmittelbar zum Throne gelan- gen, dann erſt iſt Koͤnig und Volk ſicher vor jener Be- amten Eigenmacht, die Friedrich Wilhelm III. ſo treffend geſchildert, dann erſt wird Fuͤrſt und Volk Eins, und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jacoby_fragen_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jacoby_fragen_1841/30
Zitationshilfe: Jacoby, Johann: Vier Fragen, beantwortet von einem Ostpreußen. Mannheim, 1841, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacoby_fragen_1841/30>, abgerufen am 21.11.2024.