Jahn, Otto: Gottfried Herrmann. Eine Gedächnissrede. Leipzig, 1849.Gelehrsamkeit galt, sich durch die knappe Beschränkung auf das Nothwendige sehr unterschieden. Dies war dadurch gerechtfertigt, dass er stets der Sache selbst ohne alle Umschweife auf den Grund ging. Wie er nie eine Auctorität als solche anerkannte, so liess er auch die Auctorität der aus Beispielen abstrahierten Regel nicht gelten, um so weniger, je zusammengesetzter sie war, je mehr Unterabtheilungen und Ausnahmen sie aufzählte. Das war ihm der sicherste Beweis, dass man noch nicht den wahren Grund erkannt habe, der immer einfach und klar sei. Daher war es stets seine Aufgabe, das Gesetz des Denkens aufzufinden, das die Spracherscheinungen in sich fasst, nothwendig wie das Gesetz der Natur und unverrückbar, aber eben dadurch die Grundbedingung der wahren Freiheit, die in der Anerkennung der nothwendigen Schranken beruht. Diese Auffassung liess ihn nicht die Sprache als das Material zu philosophischen Abstractionen betrachten, sondern mitten in dem vollen Strome ihres reichen Lebens erkannte er die verborgenen Quellen. Das System der griechischen Sprachlehre, das er in der Schrift de emendanda ratione grammaticae graecae (1801) begründete, ist nicht vollendet; es ist möglich, dass die Aufforderung, die Schrift des Viger de praecipuis graecae dictionis idiotismis zu bearbeiten (1802), dazu beigetragen hat, und vielleicht haben die hier niederlegten Bemerkungen für das richtige Studium der griechischen Sprache in weiten Kreisen mehr gewirkt als es das philosophisch begründete System vermocht hätte. Hermann's feines Gefühl und sicherer Takt für die Spracherscheinungen in ihren verschiedensten Nüancierungen, wie sie durch die Verschiedenartigkeit der Zeit, der Stilgattungen, der Individualität der Schriftsteller bedingt werden, wurde durch seine Weise zu studieren sehr gefördert. Einfach, wie seine ganze Natur und sein Wesen, war auch seine Methode. Vieles, Verschiedenartiges zu gleicher Zeit zu treiben war ihm nicht möglich, sondern Eins trieb er ganz. So las er auch nur einen Schriftsteller, meistens rasch, um immer den vollen Eindruck des Ganzen frisch auf sich wirken zu lassen, aber oft hintereinander, so dass er bei erneueter Lectüre immer Anderes ins Auge fasste, um den Schriftsteller bis in seine feinsten Eigenthümlichkeiten klar und sicher zu erkennen. Dieses Verfahren stärkte auch sein von Natur treffliches Gedächtniss; in seinen Vorlesungen über Poetik führte er die Beispiele, oft lange Stellen, nicht bloss aus alten Dichtern, meistens aus dem Gedächtniss an, und mit dem Homer war er so vertraut geworden, Gelehrsamkeit galt, sich durch die knappe Beschränkung auf das Nothwendige sehr unterschieden. Dies war dadurch gerechtfertigt, dass er stets der Sache selbst ohne alle Umschweife auf den Grund ging. Wie er nie eine Auctorität als solche anerkannte, so liess er auch die Auctorität der aus Beispielen abstrahierten Regel nicht gelten, um so weniger, je zusammengesetzter sie war, je mehr Unterabtheilungen und Ausnahmen sie aufzählte. Das war ihm der sicherste Beweis, dass man noch nicht den wahren Grund erkannt habe, der immer einfach und klar sei. Daher war es stets seine Aufgabe, das Gesetz des Denkens aufzufinden, das die Spracherscheinungen in sich fasst, nothwendig wie das Gesetz der Natur und unverrückbar, aber eben dadurch die Grundbedingung der wahren Freiheit, die in der Anerkennung der nothwendigen Schranken beruht. Diese Auffassung liess ihn nicht die Sprache als das Material zu philosophischen Abstractionen betrachten, sondern mitten in dem vollen Strome ihres reichen Lebens erkannte er die verborgenen Quellen. Das System der griechischen Sprachlehre, das er in der Schrift de emendanda ratione grammaticae graecae (1801) begründete, ist nicht vollendet; es ist möglich, dass die Aufforderung, die Schrift des Viger de praecipuis graecae dictionis idiotismis zu bearbeiten (1802), dazu beigetragen hat, und vielleicht haben die hier niederlegten Bemerkungen für das richtige Studium der griechischen Sprache in weiten Kreisen mehr gewirkt als es das philosophisch begründete System vermocht hätte. Hermann’s feines Gefühl und sicherer Takt für die Spracherscheinungen in ihren verschiedensten Nüancierungen, wie sie durch die Verschiedenartigkeit der Zeit, der Stilgattungen, der Individualität der Schriftsteller bedingt werden, wurde durch seine Weise zu studieren sehr gefördert. Einfach, wie seine ganze Natur und sein Wesen, war auch seine Methode. Vieles, Verschiedenartiges zu gleicher Zeit zu treiben war ihm nicht möglich, sondern Eins trieb er ganz. So las er auch nur einen Schriftsteller, meistens rasch, um immer den vollen Eindruck des Ganzen frisch auf sich wirken zu lassen, aber oft hintereinander, so dass er bei erneueter Lectüre immer Anderes ins Auge fasste, um den Schriftsteller bis in seine feinsten Eigenthümlichkeiten klar und sicher zu erkennen. Dieses Verfahren stärkte auch sein von Natur treffliches Gedächtniss; in seinen Vorlesungen über Poetik führte er die Beispiele, oft lange Stellen, nicht bloss aus alten Dichtern, meistens aus dem Gedächtniss an, und mit dem Homer war er so vertraut geworden, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0014" n="14"/> Gelehrsamkeit galt, sich durch die knappe Beschränkung auf das Nothwendige sehr unterschieden. Dies war dadurch gerechtfertigt, dass er stets der Sache selbst ohne alle Umschweife auf den Grund ging. Wie er nie eine Auctorität als solche anerkannte, so liess er auch die Auctorität der aus Beispielen abstrahierten Regel nicht gelten, um so weniger, je zusammengesetzter sie war, je mehr Unterabtheilungen und Ausnahmen sie aufzählte. Das war ihm der sicherste Beweis, dass man noch nicht den wahren Grund erkannt habe, der immer einfach und klar sei. Daher war es stets seine Aufgabe, das Gesetz des Denkens aufzufinden, das die Spracherscheinungen in sich fasst, nothwendig wie das Gesetz der Natur und unverrückbar, aber eben dadurch die Grundbedingung der wahren Freiheit, die in der Anerkennung der nothwendigen Schranken beruht. Diese Auffassung liess ihn nicht die Sprache als das Material zu philosophischen Abstractionen betrachten, sondern mitten in dem vollen Strome ihres reichen Lebens erkannte er die verborgenen Quellen. 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Vieles, Verschiedenartiges zu gleicher Zeit zu treiben war ihm nicht möglich, sondern Eins trieb er ganz. So las er auch nur einen Schriftsteller, meistens rasch, um immer den vollen Eindruck des Ganzen frisch auf sich wirken zu lassen, aber oft hintereinander, so dass er bei erneueter Lectüre immer Anderes ins Auge fasste, um den Schriftsteller bis in seine feinsten Eigenthümlichkeiten klar und sicher zu erkennen. Dieses Verfahren stärkte auch sein von Natur treffliches Gedächtniss; in seinen Vorlesungen über Poetik führte er die Beispiele, oft lange Stellen, nicht bloss aus alten Dichtern, meistens aus dem Gedächtniss an, und mit dem Homer war er so vertraut geworden, </p> </div> </body> </text> </TEI> [14/0014]
Gelehrsamkeit galt, sich durch die knappe Beschränkung auf das Nothwendige sehr unterschieden. Dies war dadurch gerechtfertigt, dass er stets der Sache selbst ohne alle Umschweife auf den Grund ging. Wie er nie eine Auctorität als solche anerkannte, so liess er auch die Auctorität der aus Beispielen abstrahierten Regel nicht gelten, um so weniger, je zusammengesetzter sie war, je mehr Unterabtheilungen und Ausnahmen sie aufzählte. Das war ihm der sicherste Beweis, dass man noch nicht den wahren Grund erkannt habe, der immer einfach und klar sei. Daher war es stets seine Aufgabe, das Gesetz des Denkens aufzufinden, das die Spracherscheinungen in sich fasst, nothwendig wie das Gesetz der Natur und unverrückbar, aber eben dadurch die Grundbedingung der wahren Freiheit, die in der Anerkennung der nothwendigen Schranken beruht. Diese Auffassung liess ihn nicht die Sprache als das Material zu philosophischen Abstractionen betrachten, sondern mitten in dem vollen Strome ihres reichen Lebens erkannte er die verborgenen Quellen. Das System der griechischen Sprachlehre, das er in der Schrift de emendanda ratione grammaticae graecae (1801) begründete, ist nicht vollendet; es ist möglich, dass die Aufforderung, die Schrift des Viger de praecipuis graecae dictionis idiotismis zu bearbeiten (1802), dazu beigetragen hat, und vielleicht haben die hier niederlegten Bemerkungen für das richtige Studium der griechischen Sprache in weiten Kreisen mehr gewirkt als es das philosophisch begründete System vermocht hätte.
Hermann’s feines Gefühl und sicherer Takt für die Spracherscheinungen in ihren verschiedensten Nüancierungen, wie sie durch die Verschiedenartigkeit der Zeit, der Stilgattungen, der Individualität der Schriftsteller bedingt werden, wurde durch seine Weise zu studieren sehr gefördert. Einfach, wie seine ganze Natur und sein Wesen, war auch seine Methode. Vieles, Verschiedenartiges zu gleicher Zeit zu treiben war ihm nicht möglich, sondern Eins trieb er ganz. So las er auch nur einen Schriftsteller, meistens rasch, um immer den vollen Eindruck des Ganzen frisch auf sich wirken zu lassen, aber oft hintereinander, so dass er bei erneueter Lectüre immer Anderes ins Auge fasste, um den Schriftsteller bis in seine feinsten Eigenthümlichkeiten klar und sicher zu erkennen. Dieses Verfahren stärkte auch sein von Natur treffliches Gedächtniss; in seinen Vorlesungen über Poetik führte er die Beispiele, oft lange Stellen, nicht bloss aus alten Dichtern, meistens aus dem Gedächtniss an, und mit dem Homer war er so vertraut geworden,
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