Jahn, Otto: Gottfried Herrmann. Eine Gedächnissrede. Leipzig, 1849.nähere Erkundigung, dass er nicht aufschrieb, was jener vortrug, sondern seine Widerlegung. Durch einen Zufall kamen ihm Kants Schriften in die Hände, die er mit unsäglichem Eifer studierte; er fasste den Entschluss nach Jena zu Reinhold zu gehen, einen Entschluss, den er ausführte, nachdem er über seine Abhandlung de fundamento iuris puniendi am 17. Oct. 1793 öffentlich disputiert hatte, - Magister war er bereits am 19. Dec. 1790 geworden. Ein halbes Jahr lang beschäftigte er sich hier ausschliesslich mit dem Studium der kantischen Philosophie. Die Erwartung, welche er von Reinhold gehegt hatte, wurde nicht ganz befriedigt; sein Bestreben, das System zu popularisieren und allgemein fasslich zu machen, war nicht für eine Natur geeignet, die mit glühendem Eifer in die Tiefe zu dringen suchte und die Schwierigkeiten nicht sich wegräumen lassen, sondern selbst überwinden wollte. So war er auch hier zumeist auf sich selbst angewiesen, und kehrte als ein ausgebildeter wenn gleich freier Anhänger der kantischen Philosophie zurück, welche er Anfangs in Vorlesungen über Kants Kritik der Urtheilskraft (1795) und Logik (1798) vortrug, und die seiner wissenschaftlichen Darstellung der Metrik und Grammatik das eigenthümliche Gepräge aufdrückte. Wie tief auch in Hermann das Bedürfniss war, das in der kantischen Philosophie seine Befriedigung fand, wie sehr es auch für ihn eine innere Nothwendigkeit war, seine wissenschaftlichen Untersuchungen in derselben zu begründen, so dürfen wir doch unbefangener urtheilen und ohne Bedenken es aussprechen, dass das wesentliche und dauernde Verdienst derselben nicht in ihrer Abhängigkeit von dem kantischen System beruht. Ja ich glaube, man darf behaupten, dass so entschieden und charakterisch das logisch-rationale Element in Hermanns geistiger Organisation hervortrat, so gewiss er ein klarer, scharfer Denker war, doch die Eigenschaft des eigentlichen, systematischen Philosophierens nicht in seiner Natur lag. Das geht auch daraus hervor, dass selbst in jenen Werken das philosophische System vielmehr die Form für die Untersuchungen darbietet als die eigentliche Wurzel derselben bildet, und dass er selbst später mehr und mehr diese Form aufgab. Allein ich bin weit entfernt den bedeutenden Einfluss zu leugnen, welchen die ernste Beschäftigung mit der Philosophie auf seine ganze Ausbildung gehabt hat; nur umgebildet hat sie ihn nicht. Unleugbar ist jene logisch-rationale Anlage dadurch weiter gebildet und geklärt, und manche Ansicht, die in nähere Erkundigung, dass er nicht aufschrieb, was jener vortrug, sondern seine Widerlegung. Durch einen Zufall kamen ihm Kants Schriften in die Hände, die er mit unsäglichem Eifer studierte; er fasste den Entschluss nach Jena zu Reinhold zu gehen, einen Entschluss, den er ausführte, nachdem er über seine Abhandlung de fundamento iuris puniendi am 17. Oct. 1793 öffentlich disputiert hatte, – Magister war er bereits am 19. Dec. 1790 geworden. Ein halbes Jahr lang beschäftigte er sich hier ausschliesslich mit dem Studium der kantischen Philosophie. Die Erwartung, welche er von Reinhold gehegt hatte, wurde nicht ganz befriedigt; sein Bestreben, das System zu popularisieren und allgemein fasslich zu machen, war nicht für eine Natur geeignet, die mit glühendem Eifer in die Tiefe zu dringen suchte und die Schwierigkeiten nicht sich wegräumen lassen, sondern selbst überwinden wollte. So war er auch hier zumeist auf sich selbst angewiesen, und kehrte als ein ausgebildeter wenn gleich freier Anhänger der kantischen Philosophie zurück, welche er Anfangs in Vorlesungen über Kants Kritik der Urtheilskraft (1795) und Logik (1798) vortrug, und die seiner wissenschaftlichen Darstellung der Metrik und Grammatik das eigenthümliche Gepräge aufdrückte. Wie tief auch in Hermann das Bedürfniss war, das in der kantischen Philosophie seine Befriedigung fand, wie sehr es auch für ihn eine innere Nothwendigkeit war, seine wissenschaftlichen Untersuchungen in derselben zu begründen, so dürfen wir doch unbefangener urtheilen und ohne Bedenken es aussprechen, dass das wesentliche und dauernde Verdienst derselben nicht in ihrer Abhängigkeit von dem kantischen System beruht. Ja ich glaube, man darf behaupten, dass so entschieden und charakterisch das logisch-rationale Element in Hermanns geistiger Organisation hervortrat, so gewiss er ein klarer, scharfer Denker war, doch die Eigenschaft des eigentlichen, systematischen Philosophierens nicht in seiner Natur lag. Das geht auch daraus hervor, dass selbst in jenen Werken das philosophische System vielmehr die Form für die Untersuchungen darbietet als die eigentliche Wurzel derselben bildet, und dass er selbst später mehr und mehr diese Form aufgab. Allein ich bin weit entfernt den bedeutenden Einfluss zu leugnen, welchen die ernste Beschäftigung mit der Philosophie auf seine ganze Ausbildung gehabt hat; nur umgebildet hat sie ihn nicht. Unleugbar ist jene logisch-rationale Anlage dadurch weiter gebildet und geklärt, und manche Ansicht, die in <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0009" n="9"/> nähere Erkundigung, dass er nicht aufschrieb, was jener vortrug, sondern seine Widerlegung. Durch einen Zufall kamen ihm Kants Schriften in die Hände, die er mit unsäglichem Eifer studierte; er fasste den Entschluss nach Jena zu Reinhold zu gehen, einen Entschluss, den er ausführte, nachdem er über seine Abhandlung <hi rendition="#i">de fundamento iuris puniendi</hi> am 17. Oct. 1793 öffentlich disputiert hatte, – Magister war er bereits am 19. Dec. 1790 geworden. Ein halbes Jahr lang beschäftigte er sich hier ausschliesslich mit dem Studium der kantischen Philosophie. Die Erwartung, welche er von Reinhold gehegt hatte, wurde nicht ganz befriedigt; sein Bestreben, das System zu popularisieren und allgemein fasslich zu machen, war nicht für eine Natur geeignet, die mit glühendem Eifer in die Tiefe zu dringen suchte und die Schwierigkeiten nicht sich wegräumen lassen, sondern selbst überwinden wollte. So war er auch hier zumeist auf sich selbst angewiesen, und kehrte als ein ausgebildeter wenn gleich freier Anhänger der kantischen Philosophie zurück, welche er Anfangs in Vorlesungen über Kants Kritik der Urtheilskraft (1795) und Logik (1798) vortrug, und die seiner wissenschaftlichen Darstellung der Metrik und Grammatik das eigenthümliche Gepräge aufdrückte.</p> <p>Wie tief auch in Hermann das Bedürfniss war, das in der kantischen Philosophie seine Befriedigung fand, wie sehr es auch für ihn eine innere Nothwendigkeit war, seine wissenschaftlichen Untersuchungen in derselben zu begründen, so dürfen wir doch unbefangener urtheilen und ohne Bedenken es aussprechen, dass das wesentliche und dauernde Verdienst derselben nicht in ihrer Abhängigkeit von dem kantischen System beruht. Ja ich glaube, man darf behaupten, dass so entschieden und charakterisch das logisch-rationale Element in Hermanns geistiger Organisation hervortrat, so gewiss er ein klarer, scharfer Denker war, doch die Eigenschaft des eigentlichen, systematischen Philosophierens nicht in seiner Natur lag. Das geht auch daraus hervor, dass selbst in jenen Werken das philosophische System vielmehr die Form für die Untersuchungen darbietet als die eigentliche Wurzel derselben bildet, und dass er selbst später mehr und mehr diese Form aufgab. Allein ich bin weit entfernt den bedeutenden Einfluss zu leugnen, welchen die ernste Beschäftigung mit der Philosophie auf seine ganze Ausbildung gehabt hat; nur umgebildet hat sie ihn nicht. Unleugbar ist jene logisch-rationale Anlage dadurch weiter gebildet und geklärt, und manche Ansicht, die in </p> </div> </body> </text> </TEI> [9/0009]
nähere Erkundigung, dass er nicht aufschrieb, was jener vortrug, sondern seine Widerlegung. Durch einen Zufall kamen ihm Kants Schriften in die Hände, die er mit unsäglichem Eifer studierte; er fasste den Entschluss nach Jena zu Reinhold zu gehen, einen Entschluss, den er ausführte, nachdem er über seine Abhandlung de fundamento iuris puniendi am 17. Oct. 1793 öffentlich disputiert hatte, – Magister war er bereits am 19. Dec. 1790 geworden. Ein halbes Jahr lang beschäftigte er sich hier ausschliesslich mit dem Studium der kantischen Philosophie. Die Erwartung, welche er von Reinhold gehegt hatte, wurde nicht ganz befriedigt; sein Bestreben, das System zu popularisieren und allgemein fasslich zu machen, war nicht für eine Natur geeignet, die mit glühendem Eifer in die Tiefe zu dringen suchte und die Schwierigkeiten nicht sich wegräumen lassen, sondern selbst überwinden wollte. So war er auch hier zumeist auf sich selbst angewiesen, und kehrte als ein ausgebildeter wenn gleich freier Anhänger der kantischen Philosophie zurück, welche er Anfangs in Vorlesungen über Kants Kritik der Urtheilskraft (1795) und Logik (1798) vortrug, und die seiner wissenschaftlichen Darstellung der Metrik und Grammatik das eigenthümliche Gepräge aufdrückte.
Wie tief auch in Hermann das Bedürfniss war, das in der kantischen Philosophie seine Befriedigung fand, wie sehr es auch für ihn eine innere Nothwendigkeit war, seine wissenschaftlichen Untersuchungen in derselben zu begründen, so dürfen wir doch unbefangener urtheilen und ohne Bedenken es aussprechen, dass das wesentliche und dauernde Verdienst derselben nicht in ihrer Abhängigkeit von dem kantischen System beruht. Ja ich glaube, man darf behaupten, dass so entschieden und charakterisch das logisch-rationale Element in Hermanns geistiger Organisation hervortrat, so gewiss er ein klarer, scharfer Denker war, doch die Eigenschaft des eigentlichen, systematischen Philosophierens nicht in seiner Natur lag. Das geht auch daraus hervor, dass selbst in jenen Werken das philosophische System vielmehr die Form für die Untersuchungen darbietet als die eigentliche Wurzel derselben bildet, und dass er selbst später mehr und mehr diese Form aufgab. Allein ich bin weit entfernt den bedeutenden Einfluss zu leugnen, welchen die ernste Beschäftigung mit der Philosophie auf seine ganze Ausbildung gehabt hat; nur umgebildet hat sie ihn nicht. Unleugbar ist jene logisch-rationale Anlage dadurch weiter gebildet und geklärt, und manche Ansicht, die in
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-10-26T10:30:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-10-26T10:30:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |