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Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810.

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steht. Den Charakter beugt die Noth nicht
zum Brechen nieder, neukräftig ersteht er aus
Leiden, wie die hinschmachtende Blume vom
Himmelsthau gebadet. Was im gewöhnlichen
Lebensgewühl, der edle Charakter vollendeter
Menschen; das im Völkergebiete, das Volksthum.
Volkthum ist eines Schutzgeistes Weihungsga¬
be, ein unerschütterliches Bollwerk, die einzige
natürliche Gränze. Die Natur hat diese Völ¬
kerscheide selbst aus natürlichen Beschaffenheiten
erbaut, fortwürkend durch die Zeit wieder gebil¬
det, durch die Sprache benannt, mit der Schrift
befestigt, und in den Herzen und Geistern ver¬
ewigt. Alle Tage geht die Sonne auf, und un¬
ter; Feuerberge, Gluthhanche, Orkane und Erd¬
beben haben ihre gemessene Zeit; die Ungewit¬
ter unter den Völkern donnern aus, und verblitzen.

Wo nichts ist als Volksthum, und aller Se¬
gen nur in ihm; da giebt es einen armseligen
Sieg wie in Tyrus, Karthago, Numantia, Je¬
rusalem und Rhodus. Oder der Überwinder ver¬
liert im Frieden den Sieg, übersetzt sich ins
überwundene Volk -- das Schicksal aller Erobe¬
rer von China. Beim Ersten hungert der Ei¬
gennutz, beim Andern schmachtet die Eitelkeit.

ſteht. Den Charakter beugt die Noth nicht
zum Brechen nieder, neukräftig erſteht er aus
Leiden, wie die hinſchmachtende Blume vom
Himmelsthau gebadet. Was im gewöhnlichen
Lebensgewühl, der edle Charakter vollendeter
Menſchen; das im Völkergebiete, das Volksthum.
Volkthum iſt eines Schutzgeiſtes Weihungsga¬
be, ein unerſchütterliches Bollwerk, die einzige
natürliche Gränze. Die Natur hat dieſe Völ¬
kerſcheide ſelbſt aus natürlichen Beſchaffenheiten
erbaut, fortwürkend durch die Zeit wieder gebil¬
det, durch die Sprache benannt, mit der Schrift
befeſtigt, und in den Herzen und Geiſtern ver¬
ewigt. Alle Tage geht die Sonne auf, und un¬
ter; Feuerberge, Gluthhanche, Orkane und Erd¬
beben haben ihre gemeſſene Zeit; die Ungewit¬
ter unter den Völkern donnern aus, und verblitzen.

Wo nichts iſt als Volksthum, und aller Se¬
gen nur in ihm; da giebt es einen armſeligen
Sieg wie in Tyrus, Karthago, Numantia, Je¬
ruſalem und Rhodus. Oder der Überwinder ver¬
liert im Frieden den Sieg, überſetzt ſich ins
überwundene Volk — das Schickſal aller Erobe¬
rer von China. Beim Erſten hungert der Ei¬
gennutz, beim Andern ſchmachtet die Eitelkeit.

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[31/0061] 31 ſteht. Den Charakter beugt die Noth nicht zum Brechen nieder, neukräftig erſteht er aus Leiden, wie die hinſchmachtende Blume vom Himmelsthau gebadet. Was im gewöhnlichen Lebensgewühl, der edle Charakter vollendeter Menſchen; das im Völkergebiete, das Volksthum. Volkthum iſt eines Schutzgeiſtes Weihungsga¬ be, ein unerſchütterliches Bollwerk, die einzige natürliche Gränze. Die Natur hat dieſe Völ¬ kerſcheide ſelbſt aus natürlichen Beſchaffenheiten erbaut, fortwürkend durch die Zeit wieder gebil¬ det, durch die Sprache benannt, mit der Schrift befeſtigt, und in den Herzen und Geiſtern ver¬ ewigt. Alle Tage geht die Sonne auf, und un¬ ter; Feuerberge, Gluthhanche, Orkane und Erd¬ beben haben ihre gemeſſene Zeit; die Ungewit¬ ter unter den Völkern donnern aus, und verblitzen. Wo nichts iſt als Volksthum, und aller Se¬ gen nur in ihm; da giebt es einen armſeligen Sieg wie in Tyrus, Karthago, Numantia, Je¬ ruſalem und Rhodus. Oder der Überwinder ver¬ liert im Frieden den Sieg, überſetzt ſich ins überwundene Volk — das Schickſal aller Erobe¬ rer von China. Beim Erſten hungert der Ei¬ gennutz, beim Andern ſchmachtet die Eitelkeit.

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Zitationshilfe: Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_volksthum_1810/61>, abgerufen am 27.11.2024.