Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

Polypen, wo jeder Theil abgelöset werden kann,
ohne Schaden und Mitleidenschaft des Ganzen.
Und doch soll jeder Staat der Leib sein, die
Provinzen seine Glieder. Jhm dürfen keine
nothwendigen fehlen, sonst ist er ein Krüppel;
er darf nicht zu viel haben, sonst ist er ein mit
Geschwüren und Gewächsen behafteter Siechen¬
der. Natürliche Gränzen, oder Scheiden giebt es;
ein flüchtiger Blick auf die Landcharte unsers
Erdtheils wird die meisten auffinden, besonders
mit Zuziehung von Gatterer's Erdbeschreibung.

E. M. Arndt's Europa und Germanien. Wenig
beachtete Worte hierüber, in dieser Vorläuferschrift.

Vergeblich sind alle Kriege, unnütz alle Er¬
oberungen, die Völkerscheiden antasten. Das
wahre Gleichgewicht ist mehr als ein Traum¬
bild, und ohne dieses keine Staatenordnung be¬
ständig. Es wird eine Zeit kommen, wo alle
Staatenmisteln aufhören. Treffend sagt Arndt:
"Portugall ist ein Krebs auf Spanien." Wenn
er aber weiterhin auf Preußens (des Deutschen
Nordostenstaats) Zuründungsversuche zürnt, so
überhört er in Schwedisch-Pommern die Kla¬
gen des ganzen Odergebiets: "Unser herrlicher

Polypen, wo jeder Theil abgelöſet werden kann,
ohne Schaden und Mitleidenſchaft des Ganzen.
Und doch ſoll jeder Staat der Leib ſein, die
Provinzen ſeine Glieder. Jhm dürfen keine
nothwendigen fehlen, ſonſt iſt er ein Krüppel;
er darf nicht zu viel haben, ſonſt iſt er ein mit
Geſchwüren und Gewächſen behafteter Siechen¬
der. Natürliche Gränzen, oder Scheiden giebt es;
ein flüchtiger Blick auf die Landcharte unſers
Erdtheils wird die meiſten auffinden, beſonders
mit Zuziehung von Gatterer’s Erdbeſchreibung.

E. M. Arndt's Europa und Germanien. Wenig
beachtete Worte hierüber, in dieſer Vorläuferſchrift.

Vergeblich ſind alle Kriege, unnütz alle Er¬
oberungen, die Völkerſcheiden antaſten. Das
wahre Gleichgewicht iſt mehr als ein Traum¬
bild, und ohne dieſes keine Staatenordnung be¬
ſtändig. Es wird eine Zeit kommen, wo alle
Staatenmiſteln aufhören. Treffend ſagt Arndt:
„Portugall iſt ein Krebs auf Spanien.“ Wenn
er aber weiterhin auf Preußens (des Deutſchen
Nordoſtenſtaats) Zuründungsverſuche zürnt, ſo
überhört er in Schwediſch-Pommern die Kla¬
gen des ganzen Odergebiets: „Unſer herrlicher

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0070" n="40"/><fw type="pageNum" place="top">40<lb/></fw>Polypen, wo jeder Theil abgelö&#x017F;et werden kann,<lb/>
ohne Schaden und Mitleiden&#x017F;chaft des Ganzen.<lb/>
Und doch &#x017F;oll jeder Staat der Leib &#x017F;ein, die<lb/>
Provinzen &#x017F;eine Glieder. Jhm dürfen keine<lb/>
nothwendigen fehlen, &#x017F;on&#x017F;t i&#x017F;t er ein Krüppel;<lb/>
er darf nicht zu viel haben, &#x017F;on&#x017F;t i&#x017F;t er ein mit<lb/>
Ge&#x017F;chwüren und Gewäch&#x017F;en behafteter Siechen¬<lb/>
der. Natürliche Gränzen, oder Scheiden giebt es;<lb/>
ein flüchtiger Blick auf die Landcharte un&#x017F;ers<lb/>
Erdtheils wird die mei&#x017F;ten auffinden, be&#x017F;onders<lb/>
mit Zuziehung von Gatterer&#x2019;s Erdbe&#x017F;chreibung.</p><lb/>
          <listBibl>
            <bibl>E. M. Arndt's Europa und Germanien. Wenig<lb/>
beachtete Worte hierüber, in die&#x017F;er Vorläufer&#x017F;chrift.</bibl>
          </listBibl><lb/>
          <p>Vergeblich &#x017F;ind alle Kriege, unnütz alle Er¬<lb/>
oberungen, die Völker&#x017F;cheiden anta&#x017F;ten. Das<lb/>
wahre Gleichgewicht i&#x017F;t mehr als ein Traum¬<lb/>
bild, und ohne die&#x017F;es keine Staatenordnung be¬<lb/>
&#x017F;tändig. Es wird eine Zeit kommen, wo alle<lb/>
Staatenmi&#x017F;teln aufhören. Treffend &#x017F;agt Arndt:<lb/>
&#x201E;Portugall i&#x017F;t ein Krebs auf Spanien.&#x201C; Wenn<lb/>
er aber weiterhin auf Preußens (des Deut&#x017F;chen<lb/>
Nordo&#x017F;ten&#x017F;taats) Zuründungsver&#x017F;uche zürnt, &#x017F;o<lb/>
überhört er in Schwedi&#x017F;ch-Pommern die Kla¬<lb/>
gen des ganzen Odergebiets: &#x201E;Un&#x017F;er herrlicher<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[40/0070] 40 Polypen, wo jeder Theil abgelöſet werden kann, ohne Schaden und Mitleidenſchaft des Ganzen. Und doch ſoll jeder Staat der Leib ſein, die Provinzen ſeine Glieder. Jhm dürfen keine nothwendigen fehlen, ſonſt iſt er ein Krüppel; er darf nicht zu viel haben, ſonſt iſt er ein mit Geſchwüren und Gewächſen behafteter Siechen¬ der. Natürliche Gränzen, oder Scheiden giebt es; ein flüchtiger Blick auf die Landcharte unſers Erdtheils wird die meiſten auffinden, beſonders mit Zuziehung von Gatterer’s Erdbeſchreibung. E. M. Arndt's Europa und Germanien. Wenig beachtete Worte hierüber, in dieſer Vorläuferſchrift. Vergeblich ſind alle Kriege, unnütz alle Er¬ oberungen, die Völkerſcheiden antaſten. Das wahre Gleichgewicht iſt mehr als ein Traum¬ bild, und ohne dieſes keine Staatenordnung be¬ ſtändig. Es wird eine Zeit kommen, wo alle Staatenmiſteln aufhören. Treffend ſagt Arndt: „Portugall iſt ein Krebs auf Spanien.“ Wenn er aber weiterhin auf Preußens (des Deutſchen Nordoſtenſtaats) Zuründungsverſuche zürnt, ſo überhört er in Schwediſch-Pommern die Kla¬ gen des ganzen Odergebiets: „Unſer herrlicher

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_volksthum_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_volksthum_1810/70
Zitationshilfe: Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_volksthum_1810/70>, abgerufen am 13.05.2024.