Verzögerung, so wird mir die Lesung desselben von der Befürchtung verbittert werden, daß du künftighin, wenn der Raum, wenn die Zeit, wenn unsre eigne Veränderungen uns trennen werden, den aus dem Gedächtnis und endlich aus dem Herzen verlieren köntest, der dich nie vergessen und immer lieben wird. Dan werd' ich mich in trüben5 Stunden nicht blos wie iezt in das goldne Alter des Menschen, in die Kindheit, die mir mit der Vergangenheit die Gegenwart und oft die Zukunft ersezen mus, zurükphantasiren; sondern sogar in die kaum verflossenen Jugendiare hinträumen, um in dem täuschenden Traum nochmals die Freuden mit dem Freunde zu wiederholen, der sie gab und10 der mit ihnen beim Aufwachen verschwindet..... Doch dies ist eine Grille, deren Möglichkeit zu glauben ich nur durch folgende Lage bewogen werden konte. Lese einmal das, was ich iezt vom Doppel- maier erzälen werde. Ein[e] gewisse Piece kam hier unter dem Titel "Abhandlung über die von H. Theden bekantgemachte Spiesglas-15 "tinktur von einem Schüler aus der Geselschaft warer Naturforscher. "Amsterdam. 1783" -- heraus, in welchem die Alchymie und besonders [91]der annulus Platonis in Schuz genommen werden. Dumme schreiben sie dem Fischer zu; Klügere raten aus dem Stil auf den Doppelmaier. Wie recht die leztern haben, seh' aus dem lezten Absaze dieses Büchel-20 gens, der so heist: "Und nun, ihr kleinen mutwilligen Spötter! ist der "Annulus Platonis noch immer das Buch, welches nichts als alchy- "mistischen Unsin enthält, oder in welchem er sich wie der Papagai in "seinem Ringe wiegt? Schlagt an euer Herz und bekent es, daß euch "Blindheit oder sonst eine unangeneme Lage eures Lebens25 "zwingt, so unbesonnen von ihm zu urteilen. Seid künftighin billiger "und beurteilt nicht Gegenstände, dazu das so nötige Licht euch felet, "solche in ihrem ganzen Umfange zu erkennen. Prüfet -- aber mit "Vernunft." -- Nun lese die Note auf der 23. Seite der Grönländi- schen Prozesse. Du kanst noch wenn du wilst die Rezension des30 annulus in der A. D. Bibliothek lesen. Ich bin zu vol um mer darüber zu sagen. Nur mus ich dir bekennen daß die erste Empfindung beim Durchlesen dieser Stelle -- Vergnügen war.
Den 2 Jul.
Endlich ist dein Brief gekommen; freilich lang für den, der ihn35 schrieb, aber immer kurz für den, der ihn liest. Nur weis ich nicht,
Verzögerung, ſo wird mir die Leſung deſſelben von der Befürchtung verbittert werden, daß du künftighin, wenn der Raum, wenn die Zeit, wenn unſre eigne Veränderungen uns trennen werden, den aus dem Gedächtnis und endlich aus dem Herzen verlieren könteſt, der dich nie vergeſſen und immer lieben wird. Dan werd’ ich mich in trüben5 Stunden nicht blos wie iezt in das goldne Alter des Menſchen, in die Kindheit, die mir mit der Vergangenheit die Gegenwart und oft die Zukunft erſezen mus, zurükphantaſiren; ſondern ſogar in die kaum verfloſſenen Jugendiare hinträumen, um in dem täuſchenden Traum nochmals die Freuden mit dem Freunde zu wiederholen, der ſie gab und10 der mit ihnen beim Aufwachen verſchwindet..... Doch dies iſt eine Grille, deren Möglichkeit zu glauben ich nur durch folgende Lage bewogen werden konte. Leſe einmal das, was ich iezt vom Doppel- maier erzälen werde. Ein[e] gewiſſe Piece kam hier unter dem Titel „Abhandlung über die von H. Theden bekantgemachte Spiesglas-15 „tinktur von einem Schüler aus der Geſelſchaft warer Naturforſcher. „Amſterdam. 1783“ — heraus, in welchem die Alchymie und beſonders [91]der annulus Platonis in Schuz genommen werden. Dumme ſchreiben ſie dem Fiſcher zu; Klügere raten aus dem Stil auf den Doppelmaier. Wie recht die leztern haben, ſeh’ aus dem lezten Abſaze dieſes Büchel-20 gens, der ſo heiſt: „Und nun, ihr kleinen mutwilligen Spötter! iſt der „Annulus Platonis noch immer das Buch, welches nichts als alchy- „miſtiſchen Unſin enthält, oder in welchem er ſich wie der Papagai in „ſeinem Ringe wiegt? Schlagt an euer Herz und bekent es, daß euch „Blindheit oder ſonſt eine unangeneme Lage eures Lebens25 „zwingt, ſo unbeſonnen von ihm zu urteilen. Seid künftighin billiger „und beurteilt nicht Gegenſtände, dazu das ſo nötige Licht euch felet, „ſolche in ihrem ganzen Umfange zu erkennen. Prüfet — aber mit „Vernunft.“ — Nun leſe die Note auf der 23. Seite der Grönländi- ſchen Prozeſſe. Du kanſt noch wenn du wilſt die Rezenſion des30 annulus in der A. D. Bibliothek leſen. Ich bin zu vol um mer darüber zu ſagen. Nur mus ich dir bekennen daß die erſte Empfindung beim Durchleſen dieſer Stelle — Vergnügen war.
Den 2 Jul.
Endlich iſt dein Brief gekommen; freilich lang für den, der ihn35 ſchrieb, aber immer kurz für den, der ihn lieſt. Nur weis ich nicht,
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Verzögerung, ſo wird mir die Leſung deſſelben von der Befürchtung
verbittert werden, daß du künftighin, wenn der Raum, wenn die Zeit,
wenn unſre eigne Veränderungen uns trennen werden, den aus dem
Gedächtnis und endlich aus dem Herzen verlieren könteſt, der dich nie
vergeſſen und immer lieben wird. Dan werd’ ich mich in trüben 5
Stunden nicht blos wie iezt in das goldne Alter des Menſchen, in die
Kindheit, die mir mit der Vergangenheit die Gegenwart und oft die
Zukunft erſezen mus, zurükphantaſiren; ſondern ſogar in die kaum
verfloſſenen Jugendiare hinträumen, um in dem täuſchenden Traum
nochmals die Freuden mit dem Freunde zu wiederholen, der ſie gab und 10
der mit ihnen beim Aufwachen verſchwindet..... Doch dies iſt eine
Grille, deren Möglichkeit zu glauben ich nur durch folgende Lage
bewogen werden konte. Leſe einmal das, was ich iezt vom Doppel-
maier erzälen werde. Ein[e] gewiſſe Piece kam hier unter dem Titel
„Abhandlung über die von H. Theden bekantgemachte Spiesglas- 15
„tinktur von einem Schüler aus der Geſelſchaft warer Naturforſcher.
„Amſterdam. 1783“ — heraus, in welchem die Alchymie und beſonders
der annulus Platonis in Schuz genommen werden. Dumme ſchreiben
ſie dem Fiſcher zu; Klügere raten aus dem Stil auf den Doppelmaier.
Wie recht die leztern haben, ſeh’ aus dem lezten Abſaze dieſes Büchel- 20
gens, der ſo heiſt: „Und nun, ihr kleinen mutwilligen Spötter! iſt der
„Annulus Platonis noch immer das Buch, welches nichts als alchy-
„miſtiſchen Unſin enthält, oder in welchem er ſich wie der Papagai in
„ſeinem Ringe wiegt? Schlagt an euer Herz und bekent es, daß euch
„Blindheit oder ſonſt eine unangeneme Lage eures Lebens 25
„zwingt, ſo unbeſonnen von ihm zu urteilen. Seid künftighin billiger
„und beurteilt nicht Gegenſtände, dazu das ſo nötige Licht euch felet,
„ſolche in ihrem ganzen Umfange zu erkennen. Prüfet — aber mit
„Vernunft.“ — Nun leſe die Note auf der 23. Seite der Grönländi-
ſchen Prozeſſe. Du kanſt noch wenn du wilſt die Rezenſion des 30
annulus in der A. D. Bibliothek leſen. Ich bin zu vol um mer darüber
zu ſagen. Nur mus ich dir bekennen daß die erſte Empfindung beim
Durchleſen dieſer Stelle — Vergnügen war.
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Den 2 Jul.
Endlich iſt dein Brief gekommen; freilich lang für den, der ihn 35
ſchrieb, aber immer kurz für den, der ihn lieſt. Nur weis ich nicht,
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/107>, abgerufen am 21.11.2024.
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