Gleichnis verwandelt das Mittagsmal in ein Abendmal, so wie umgekert die Christen das Mal, das Christus zu Nachts einsezte, in eine Mittagsmalzeit, oder fals man wie die Pariser um 5. zu Mittage isset, in ein Frühstük umgewandelt und transsubstanziret) also den Wein des h. Abendmals rechne ich nicht: weil ich gleich den Katholiken5 keinen dabei trinke und ihn wie sie schon im Esbaren existirend glaube ..... Ich vergesse über meinen Brief beinahe deinen. -- Das Dasein des neusten Buches gegen das Christentum hatte mir neulich schon Seiler bekant gemacht; nur den Titel desselben nicht, weil er ihn nicht wuste. Ich verspreche mir von allen solchen Büchern nicht viel10 Neues; die Materie hat sich unter der Behandlung so scharfsinniger Männer als fast alle Gegner der christlichen Religion gewesen, völlig erschöpft. Allein die Wiederholung der Gründe härtet doch wenigstens den Lesepöbel gegen das Anstössige in der Sache ab; vielleicht daß die [95]Wiederholung der Antworten in etlichen Jarhunderten das Christen-15 tum umsonst vom Schiksale andrer Religionen wird zu retten ver- suchen. Weist du was für neue Religionen noch nach unserm Tode das Licht der Welt erblikken können? Das Christentum trieb seinen Gipfel zwischen den Ruinen des Judentums hervor; warum solte es nicht ebenfals einer neuen Pflanze zum Boden dienen können? ...20
Über deine eigne Anklage in Rüksicht des Stolzes mus ich was sagen. Erstlich geh' zum Doktor und las dir eine Purganz gegen übertriebne Demut verschreiben. Blos dein Unterleib macht alle diese Pasquille auf deinen Kopf. Im Ernste: deine übertriebne Gering- schäzung deiner selbst ist eine der gewönlichen Folgen der Hypochondrie;25 der Hypochondrist sieht alle Gegenstände in Halbtrauer, und sich in ganzer. So hast du z. B. der übermässigen Reizbarkeit deiner kränk- lichen Nerven die grosse Bewunderung anzurechnen, womit dich der Genus geistiger Schönheiten erfüllet: denn ich wolte fast wetten, daß dir in derselben Wochen [!] dieselben Dichterschönheiten zu ver-30 schiednen Zeiten unter entgegengesezten oder wenigstens unänlichen Seiten erscheinen werden. Die Empfindung geistiger Unvolkommen- heit erreicht bei dir ihren so hohen Grad nur durch die heim- lich sich eindrängende Empfindung der körperlichen Unvolkommen- heit. --35
Doch die Sele, der Adam, hat auch etwas Schuld an dem Genus des Apfels, den ihm die Eva gegeben. -- Stolz bist du nicht: denn sonst
Gleichnis verwandelt das Mittagsmal in ein Abendmal, ſo wie umgekert die Chriſten das Mal, das Chriſtus zu Nachts einſezte, in eine Mittagsmalzeit, oder fals man wie die Pariſer um 5. zu Mittage iſſet, in ein Frühſtük umgewandelt und transſubſtanziret) alſo den Wein des h. Abendmals rechne ich nicht: weil ich gleich den Katholiken5 keinen dabei trinke und ihn wie ſie ſchon im Esbaren exiſtirend glaube ..... Ich vergeſſe über meinen Brief beinahe deinen. — Das Daſein des neuſten Buches gegen das Chriſtentum hatte mir neulich ſchon Seiler bekant gemacht; nur den Titel deſſelben nicht, weil er ihn nicht wuſte. Ich verſpreche mir von allen ſolchen Büchern nicht viel10 Neues; die Materie hat ſich unter der Behandlung ſo ſcharfſinniger Männer als faſt alle Gegner der chriſtlichen Religion geweſen, völlig erſchöpft. Allein die Wiederholung der Gründe härtet doch wenigſtens den Leſepöbel gegen das Anſtöſſige in der Sache ab; vielleicht daß die [95]Wiederholung der Antworten in etlichen Jarhunderten das Chriſten-15 tum umſonſt vom Schikſale andrer Religionen wird zu retten ver- ſuchen. Weiſt du was für neue Religionen noch nach unſerm Tode das Licht der Welt erblikken können? Das Chriſtentum trieb ſeinen Gipfel zwiſchen den Ruinen des Judentums hervor; warum ſolte es nicht ebenfals einer neuen Pflanze zum Boden dienen können? …20
Über deine eigne Anklage in Rükſicht des Stolzes mus ich was ſagen. Erſtlich geh’ zum Doktor und las dir eine Purganz gegen übertriebne Demut verſchreiben. Blos dein Unterleib macht alle dieſe Paſquille auf deinen Kopf. Im Ernſte: deine übertriebne Gering- ſchäzung deiner ſelbſt iſt eine der gewönlichen Folgen der Hypochondrie;25 der Hypochondriſt ſieht alle Gegenſtände in Halbtrauer, und ſich in ganzer. So haſt du z. B. der übermäſſigen Reizbarkeit deiner kränk- lichen Nerven die groſſe Bewunderung anzurechnen, womit dich der Genus geiſtiger Schönheiten erfüllet: denn ich wolte faſt wetten, daß dir in derſelben Wochen [!] dieſelben Dichterſchönheiten zu ver-30 ſchiednen Zeiten unter entgegengeſezten oder wenigſtens unänlichen Seiten erſcheinen werden. Die Empfindung geiſtiger Unvolkommen- heit erreicht bei dir ihren ſo hohen Grad nur durch die heim- lich ſich eindrängende Empfindung der körperlichen Unvolkommen- heit. —35
Doch die Sele, der Adam, hat auch etwas Schuld an dem Genus des Apfels, den ihm die Eva gegeben. — Stolz biſt du nicht: denn ſonſt
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Gleichnis verwandelt das Mittagsmal in ein Abendmal, ſo wie
umgekert die Chriſten das Mal, das Chriſtus zu Nachts einſezte, in
eine Mittagsmalzeit, oder fals man wie die Pariſer um 5. zu Mittage
iſſet, in ein Frühſtük umgewandelt und transſubſtanziret) alſo den
Wein des h. Abendmals rechne ich nicht: weil ich gleich den Katholiken 5
keinen dabei trinke und ihn wie ſie ſchon im Esbaren exiſtirend
glaube ..... Ich vergeſſe über meinen Brief beinahe deinen. — Das
Daſein des neuſten Buches gegen das Chriſtentum hatte mir neulich
ſchon Seiler bekant gemacht; nur den Titel deſſelben nicht, weil er ihn
nicht wuſte. Ich verſpreche mir von allen ſolchen Büchern nicht viel 10
Neues; die Materie hat ſich unter der Behandlung ſo ſcharfſinniger
Männer als faſt alle Gegner der chriſtlichen Religion geweſen, völlig
erſchöpft. Allein die Wiederholung der Gründe härtet doch wenigſtens
den Leſepöbel gegen das Anſtöſſige in der Sache ab; vielleicht daß die
Wiederholung der Antworten in etlichen Jarhunderten das Chriſten- 15
tum umſonſt vom Schikſale andrer Religionen wird zu retten ver-
ſuchen. Weiſt du was für neue Religionen noch nach unſerm Tode das
Licht der Welt erblikken können? Das Chriſtentum trieb ſeinen Gipfel
zwiſchen den Ruinen des Judentums hervor; warum ſolte es nicht
ebenfals einer neuen Pflanze zum Boden dienen können? … 20
[95] Über deine eigne Anklage in Rükſicht des Stolzes mus ich was
ſagen. Erſtlich geh’ zum Doktor und las dir eine Purganz gegen
übertriebne Demut verſchreiben. Blos dein Unterleib macht alle dieſe
Paſquille auf deinen Kopf. Im Ernſte: deine übertriebne Gering-
ſchäzung deiner ſelbſt iſt eine der gewönlichen Folgen der Hypochondrie; 25
der Hypochondriſt ſieht alle Gegenſtände in Halbtrauer, und ſich in
ganzer. So haſt du z. B. der übermäſſigen Reizbarkeit deiner kränk-
lichen Nerven die groſſe Bewunderung anzurechnen, womit dich der
Genus geiſtiger Schönheiten erfüllet: denn ich wolte faſt wetten, daß
dir in derſelben Wochen [!] dieſelben Dichterſchönheiten zu ver- 30
ſchiednen Zeiten unter entgegengeſezten oder wenigſtens unänlichen
Seiten erſcheinen werden. Die Empfindung geiſtiger Unvolkommen-
heit erreicht bei dir ihren ſo hohen Grad nur durch die heim-
lich ſich eindrängende Empfindung der körperlichen Unvolkommen-
heit. — 35
Doch die Sele, der Adam, hat auch etwas Schuld an dem Genus
des Apfels, den ihm die Eva gegeben. — Stolz biſt du nicht: denn ſonſt
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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/111>, abgerufen am 21.11.2024.
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