Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956.

Bild:
<< vorherige Seite

uns einander nicht abwesender als es seit meinem Hiersein 2 Stunden
taten; ich sah Sie zeither eben so wenig als ich Sie künftig sehen werde
und von Hof aus sprach ich mit Ihnen eben so oft durch das Sprachror
der Briefe als von Leipzig aus geschehen wird. Wir gleichen den
Nikariern, welche die Gewonheit haben, mit einander nur in einer5
gewissen Entfernung zu reden. Oder vielmer ich gleiche ihnen. Sie
werden hinzusezen: "Richtig! und zwar darum gleichst du hierinnen den
"Nikariern, weil du ihnen in einer andern Sache gleichest. Diese Leute
"sollen eine grobe Stimme haben, die bei ihnen die Wirkung der
"genanten Gewonheit ist" -- die aber bei mir die Ursache iener10
Gewonheit ist. Unfigürlich: ich besuche Sie selten, weil ich füle, wie
wenig ich Sie in der Nähe unterhalte, da ich doch andre so in der
Nähe unterhalte wie ich Sie in der Entfernung unterhalte und in einem
Gespräche wenigstens nicht weniger Wiz anbringe als in einem Briefe,
solte dieser Wiz auch nur 10lötig sein. Der Ursachen davon sind war-15
scheinlich merere als ich errate. Vielleicht nämlich darum -- weil man
über den Genus des Vergnügens gern die Wiedererstattung desselben
zu vergessen pflegt und den immer am wenigsten unterhält, der einen
am meisten unterhält. Vielleicht darum -- weil unsre Übereinstimmung
in den meisten Meinung[en] mit dem Widerspruch zugleich das Ver-20
gnügen, das er gewärt, aufhebt. Der Streit ist der Stal, welcher den
Wiz hervorschlägt. Man streichle die schwarze Kaze gerade den
Rükken hinunter, so wird ihr Fel nicht einen einzigen Funken von sich[113]
sprühen; aber wenn man das Streicheln vom Schwanze anfängt und
die Hand den Haren entgegenfürt, so springen die Funken davon,25
die ich mit wizigen Einfällen vergleiche. Vielleicht endlich darum --
um doch der "Vielleicht darum" ein Ende zu machen -- weil ich mir
das Verhältnis, worin ich sonst mit Ihnen stand, zu wenig aus dem
Sinne schlagen kan, als daß ich einer weniger ernsthaften Laune den
Zügel schiessen zu lassen vermöchte. Sobald die Laune ihre Luft-30
sprünge machen sol, so müssen ihr vorher die Fesseln der Höflichkeit
abgenommen worden sein, die eben soviel Ungelenksamkeit als
Schmerzen verursachen. Die Laune gleicht den Vögeln, welche blos im
Freien singen und ungeachtet sie nicht wie der Quäker Kriege hasset, so
hasset sie doch wie er Höflichkeit. Doch warum such' ich die Ursachen35
eines Felers auf, den vergeben zu müssen Sie sobald nicht Gelegenheit
haben werden und den Sie mir vielleicht williger verzeihen als ich? --

uns einander nicht abweſender als es ſeit meinem Hierſein 2 Stunden
taten; ich ſah Sie zeither eben ſo wenig als ich Sie künftig ſehen werde
und von Hof aus ſprach ich mit Ihnen eben ſo oft durch das Sprachror
der Briefe als von Leipzig aus geſchehen wird. Wir gleichen den
Nikariern, welche die Gewonheit haben, mit einander nur in einer5
gewiſſen Entfernung zu reden. Oder vielmer ich gleiche ihnen. Sie
werden hinzuſezen: „Richtig! und zwar darum gleichſt du hierinnen den
„Nikariern, weil du ihnen in einer andern Sache gleicheſt. Dieſe Leute
„ſollen eine grobe Stimme haben, die bei ihnen die Wirkung der
„genanten Gewonheit iſt“ — die aber bei mir die Urſache iener10
Gewonheit iſt. Unfigürlich: ich beſuche Sie ſelten, weil ich füle, wie
wenig ich Sie in der Nähe unterhalte, da ich doch andre ſo in der
Nähe unterhalte wie ich Sie in der Entfernung unterhalte und in einem
Geſpräche wenigſtens nicht weniger Wiz anbringe als in einem Briefe,
ſolte dieſer Wiz auch nur 10lötig ſein. Der Urſachen davon ſind war-15
ſcheinlich merere als ich errate. Vielleicht nämlich darum — weil man
über den Genus des Vergnügens gern die Wiedererſtattung deſſelben
zu vergeſſen pflegt und den immer am wenigſten unterhält, der einen
am meiſten unterhält. Vielleicht darum — weil unſre Übereinſtimmung
in den meiſten Meinung[en] mit dem Widerſpruch zugleich das Ver-20
gnügen, das er gewärt, aufhebt. Der Streit iſt der Stal, welcher den
Wiz hervorſchlägt. Man ſtreichle die ſchwarze Kaze gerade den
Rükken hinunter, ſo wird ihr Fel nicht einen einzigen Funken von ſich[113]
ſprühen; aber wenn man das Streicheln vom Schwanze anfängt und
die Hand den Haren entgegenfürt, ſo ſpringen die Funken davon,25
die ich mit wizigen Einfällen vergleiche. Vielleicht endlich darum —
um doch der „Vielleicht darum“ ein Ende zu machen — weil ich mir
das Verhältnis, worin ich ſonſt mit Ihnen ſtand, zu wenig aus dem
Sinne ſchlagen kan, als daß ich einer weniger ernſthaften Laune den
Zügel ſchieſſen zu laſſen vermöchte. Sobald die Laune ihre Luft-30
ſprünge machen ſol, ſo müſſen ihr vorher die Feſſeln der Höflichkeit
abgenommen worden ſein, die eben ſoviel Ungelenkſamkeit als
Schmerzen verurſachen. Die Laune gleicht den Vögeln, welche blos im
Freien ſingen und ungeachtet ſie nicht wie der Quäker Kriege haſſet, ſo
haſſet ſie doch wie er Höflichkeit. Doch warum ſuch’ ich die Urſachen35
eines Felers auf, den vergeben zu müſſen Sie ſobald nicht Gelegenheit
haben werden und den Sie mir vielleicht williger verzeihen als ich? —

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <p><pb facs="#f0128" n="105"/>
uns einander nicht abwe&#x017F;ender als es &#x017F;eit meinem Hier&#x017F;ein 2 Stunden<lb/>
taten; ich &#x017F;ah Sie zeither eben &#x017F;o wenig als ich Sie künftig &#x017F;ehen werde<lb/>
und von Hof aus &#x017F;prach ich mit Ihnen eben &#x017F;o oft durch das Sprachror<lb/>
der Briefe als von Leipzig aus ge&#x017F;chehen wird. Wir gleichen den<lb/>
Nikariern, welche die Gewonheit haben, mit einander nur in einer<lb n="5"/>
gewi&#x017F;&#x017F;en <hi rendition="#g">Entfernung</hi> zu reden. Oder vielmer <hi rendition="#g">ich</hi> gleiche ihnen. Sie<lb/>
werden hinzu&#x017F;ezen: &#x201E;Richtig! und zwar darum gleich&#x017F;t du hierinnen den<lb/>
&#x201E;Nikariern, weil du ihnen in einer andern Sache gleiche&#x017F;t. Die&#x017F;e Leute<lb/>
&#x201E;&#x017F;ollen eine <hi rendition="#g">grobe</hi> Stimme haben, die bei ihnen die <hi rendition="#g">Wirkung</hi> der<lb/>
&#x201E;genanten Gewonheit i&#x017F;t&#x201C; &#x2014; die aber bei mir die <hi rendition="#g">Ur&#x017F;ache</hi> iener<lb n="10"/>
Gewonheit i&#x017F;t. Unfigürlich: ich be&#x017F;uche Sie &#x017F;elten, weil ich füle, wie<lb/>
wenig ich Sie in der Nähe unterhalte, da ich doch andre &#x017F;o in der<lb/>
Nähe unterhalte wie ich Sie in der Entfernung unterhalte und in einem<lb/>
Ge&#x017F;präche wenig&#x017F;tens nicht weniger Wiz anbringe als in einem Briefe,<lb/>
&#x017F;olte die&#x017F;er Wiz auch nur 10lötig &#x017F;ein. Der Ur&#x017F;achen davon &#x017F;ind war-<lb n="15"/>
&#x017F;cheinlich merere als ich errate. Vielleicht nämlich darum &#x2014; weil man<lb/>
über den Genus des Vergnügens gern die Wiederer&#x017F;tattung de&#x017F;&#x017F;elben<lb/>
zu verge&#x017F;&#x017F;en pflegt und den immer am wenig&#x017F;ten unterhält, der einen<lb/>
am mei&#x017F;ten unterhält. Vielleicht darum &#x2014; weil un&#x017F;re Überein&#x017F;timmung<lb/>
in den mei&#x017F;ten Meinung<metamark>[</metamark>en<metamark>]</metamark> mit dem Wider&#x017F;pruch zugleich das Ver-<lb n="20"/>
gnügen, das er gewärt, aufhebt. Der Streit i&#x017F;t der Stal, welcher den<lb/>
Wiz hervor&#x017F;chlägt. Man &#x017F;treichle die &#x017F;chwarze Kaze gerade den<lb/>
Rükken hinunter, &#x017F;o wird ihr Fel nicht einen einzigen Funken von &#x017F;ich<note place="right"><ref target="1922_Bd#_113">[113]</ref></note><lb/>
&#x017F;prühen; aber wenn man das Streicheln vom Schwanze anfängt und<lb/>
die Hand den Haren <hi rendition="#g">entgegenf</hi>ürt, &#x017F;o &#x017F;pringen die Funken davon,<lb n="25"/>
die ich mit wizigen Einfällen vergleiche. Vielleicht endlich darum &#x2014;<lb/>
um doch der &#x201E;Vielleicht darum&#x201C; ein Ende zu machen &#x2014; weil ich mir<lb/>
das Verhältnis, worin ich &#x017F;on&#x017F;t mit Ihnen &#x017F;tand, zu wenig aus dem<lb/>
Sinne &#x017F;chlagen kan, als daß ich einer weniger ern&#x017F;thaften Laune den<lb/>
Zügel &#x017F;chie&#x017F;&#x017F;en zu la&#x017F;&#x017F;en vermöchte. Sobald die Laune ihre Luft-<lb n="30"/>
&#x017F;prünge machen &#x017F;ol, &#x017F;o mü&#x017F;&#x017F;en ihr vorher die Fe&#x017F;&#x017F;eln der Höflichkeit<lb/>
abgenommen worden &#x017F;ein, die eben &#x017F;oviel Ungelenk&#x017F;amkeit als<lb/>
Schmerzen verur&#x017F;achen. Die Laune gleicht den Vögeln, welche blos im<lb/>
Freien &#x017F;ingen und ungeachtet &#x017F;ie nicht wie der Quäker Kriege ha&#x017F;&#x017F;et, &#x017F;o<lb/>
ha&#x017F;&#x017F;et &#x017F;ie doch wie er Höflichkeit. Doch warum &#x017F;uch&#x2019; ich die Ur&#x017F;achen<lb n="35"/>
eines Felers auf, den vergeben zu mü&#x017F;&#x017F;en Sie &#x017F;obald nicht Gelegenheit<lb/>
haben werden und den Sie mir vielleicht williger verzeihen als ich? &#x2014;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[105/0128] uns einander nicht abweſender als es ſeit meinem Hierſein 2 Stunden taten; ich ſah Sie zeither eben ſo wenig als ich Sie künftig ſehen werde und von Hof aus ſprach ich mit Ihnen eben ſo oft durch das Sprachror der Briefe als von Leipzig aus geſchehen wird. Wir gleichen den Nikariern, welche die Gewonheit haben, mit einander nur in einer 5 gewiſſen Entfernung zu reden. Oder vielmer ich gleiche ihnen. Sie werden hinzuſezen: „Richtig! und zwar darum gleichſt du hierinnen den „Nikariern, weil du ihnen in einer andern Sache gleicheſt. Dieſe Leute „ſollen eine grobe Stimme haben, die bei ihnen die Wirkung der „genanten Gewonheit iſt“ — die aber bei mir die Urſache iener 10 Gewonheit iſt. Unfigürlich: ich beſuche Sie ſelten, weil ich füle, wie wenig ich Sie in der Nähe unterhalte, da ich doch andre ſo in der Nähe unterhalte wie ich Sie in der Entfernung unterhalte und in einem Geſpräche wenigſtens nicht weniger Wiz anbringe als in einem Briefe, ſolte dieſer Wiz auch nur 10lötig ſein. Der Urſachen davon ſind war- 15 ſcheinlich merere als ich errate. Vielleicht nämlich darum — weil man über den Genus des Vergnügens gern die Wiedererſtattung deſſelben zu vergeſſen pflegt und den immer am wenigſten unterhält, der einen am meiſten unterhält. Vielleicht darum — weil unſre Übereinſtimmung in den meiſten Meinung[en] mit dem Widerſpruch zugleich das Ver- 20 gnügen, das er gewärt, aufhebt. Der Streit iſt der Stal, welcher den Wiz hervorſchlägt. Man ſtreichle die ſchwarze Kaze gerade den Rükken hinunter, ſo wird ihr Fel nicht einen einzigen Funken von ſich ſprühen; aber wenn man das Streicheln vom Schwanze anfängt und die Hand den Haren entgegenfürt, ſo ſpringen die Funken davon, 25 die ich mit wizigen Einfällen vergleiche. Vielleicht endlich darum — um doch der „Vielleicht darum“ ein Ende zu machen — weil ich mir das Verhältnis, worin ich ſonſt mit Ihnen ſtand, zu wenig aus dem Sinne ſchlagen kan, als daß ich einer weniger ernſthaften Laune den Zügel ſchieſſen zu laſſen vermöchte. Sobald die Laune ihre Luft- 30 ſprünge machen ſol, ſo müſſen ihr vorher die Feſſeln der Höflichkeit abgenommen worden ſein, die eben ſoviel Ungelenkſamkeit als Schmerzen verurſachen. Die Laune gleicht den Vögeln, welche blos im Freien ſingen und ungeachtet ſie nicht wie der Quäker Kriege haſſet, ſo haſſet ſie doch wie er Höflichkeit. Doch warum ſuch’ ich die Urſachen 35 eines Felers auf, den vergeben zu müſſen Sie ſobald nicht Gelegenheit haben werden und den Sie mir vielleicht williger verzeihen als ich? — [113]

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T14:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T14:52:17Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/128
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/128>, abgerufen am 21.11.2024.