wahrhaftig ich hör' dich weit lieber. Mein Papa, der H. Richter, hat mir zwar auch im Deutschen Stunden gegeben -- denn er hält viel auf Privatinformazion --; aber mein Vater ist doch in allem ein sonderbarer Kauz. Er hat sich blos auf das Deutsche geleget -- neu- lich sagte er sogar zu mir: "die wahre Bestimmung des Menschen ist5 "eigentlich, daß er, eh' er die Welt verlässet, gut Deutsch reden lerne; "aber wie viele verfehlen sie und wie wenigen kan man die Grabschrift "sezen: hier ruhet ein Man, der Deutsch reden konte. Darum, lieber "Brief, lege dich blos auf deine Muttersprache; mit der komst du "überal fort und ieder wird dich schäzen" -- er ist daher bei allen guten10 Sprachmeistern Deutschlands herumgezogen und einem gewissen Lessing gab er für iede Woche, den Tag 14. Stunden, beinahe Einen Groschen Informirgeld -- gleichwol, -- -- du weist es ia. Indessen hätt' er doch endlich wol etwas gelernet; aber unglüklicher Weise wurde er in Leipzig mit einem alten Übersezer, der 4 oder 5.15 Treppen hoch (d. i. 5. Fächer hoch im Repositorium) bei Seilern wohnte, bekant. In diesen alten Man verliebte er sich nach und nach und er lag zulezt den ganzen Tag bei (über) ihm: von diesem lies er sich gewisse Bonsmots [!] eines gewissen alten englischen Spas- machers, Swifts, verdolmetschen, wiewol ich glaube, der alte Über-20 sezer hat ihn manchmal zum Narren gehabt. Allein wenn er nur nicht darüber auch zugleich die alte, hole, stammelnde Stimme des alten Mannes liebgewonnen hätte! Denn seitdem spricht er völlig wie der alte Übersezer und es bringt ihn nichts davon ab. -- Übrigens weis ich wol, ist mein Vater ein vortreflicher Man, ein Man von den25 grösten Talenten und er sagte mir gestern: er habe noch nichts ge- schrieben, was nicht, auch gleich in seiner ersten Gestalt, seinen völligen Beifal erhalten hätte. -- Aber ich rede ia allein in Einem fort und verstosse mich gegen die Regel des theatralischen Dialogs mit meinen langen Monologen so sehr als H. Prof. Hempel in seinem russischen30 Drama, dem dein H. Vater einen schönen Stok aus Vergessenheit geschenkt; ich ersuche dich daher, doch auch ein wenig zu reden. -- Dein[142] Brief:
Ich bin dieser Einkleidung schon müde. Was ich mit Einem Worte sagen könte, das sagt sie in 10. Dazu sind deine 2. Briefe nicht der Art,35 daß ich sie im lustigen Tone beantworten könte.
wahrhaftig ich hör’ dich weit lieber. Mein Papa, der H. Richter, hat mir zwar auch im Deutſchen Stunden gegeben — denn er hält viel auf Privatinformazion —; aber mein Vater iſt doch in allem ein ſonderbarer Kauz. Er hat ſich blos auf das Deutſche geleget — neu- lich ſagte er ſogar zu mir: „die wahre Beſtimmung des Menſchen iſt5 „eigentlich, daß er, eh’ er die Welt verläſſet, gut Deutſch reden lerne; „aber wie viele verfehlen ſie und wie wenigen kan man die Grabſchrift „ſezen: hier ruhet ein Man, der Deutſch reden konte. Darum, lieber „Brief, lege dich blos auf deine Mutterſprache; mit der komſt du „überal fort und ieder wird dich ſchäzen“ — er iſt daher bei allen guten10 Sprachmeiſtern Deutſchlands herumgezogen und einem gewiſſen Leſſing gab er für iede Woche, den Tag 14. Stunden, beinahe Einen Groſchen Informirgeld — gleichwol, — — du weiſt es ia. Indeſſen hätt’ er doch endlich wol etwas gelernet; aber unglüklicher Weiſe wurde er in Leipzig mit einem alten Überſezer, der 4 oder 5.15 Treppen hoch (d. i. 5. Fächer hoch im Repoſitorium) bei Seilern wohnte, bekant. In dieſen alten Man verliebte er ſich nach und nach und er lag zulezt den ganzen Tag bei (über) ihm: von dieſem lies er ſich gewiſſe Bonsmots [!] eines gewiſſen alten engliſchen Spas- machers, Swifts, verdolmetſchen, wiewol ich glaube, der alte Über-20 ſezer hat ihn manchmal zum Narren gehabt. Allein wenn er nur nicht darüber auch zugleich die alte, hole, ſtammelnde Stimme des alten Mannes liebgewonnen hätte! Denn ſeitdem ſpricht er völlig wie der alte Überſezer und es bringt ihn nichts davon ab. — Übrigens weis ich wol, iſt mein Vater ein vortreflicher Man, ein Man von den25 gröſten Talenten und er ſagte mir geſtern: er habe noch nichts ge- ſchrieben, was nicht, auch gleich in ſeiner erſten Geſtalt, ſeinen völligen Beifal erhalten hätte. — Aber ich rede ia allein in Einem fort und verſtoſſe mich gegen die Regel des theatraliſchen Dialogs mit meinen langen Monologen ſo ſehr als H. Prof. Hempel in ſeinem ruſſiſchen30 Drama, dem dein H. Vater einen ſchönen Stok aus Vergeſſenheit geſchenkt; ich erſuche dich daher, doch auch ein wenig zu reden. — Dein[142] Brief:
Ich bin dieſer Einkleidung ſchon müde. Was ich mit Einem Worte ſagen könte, das ſagt ſie in 10. Dazu ſind deine 2. Briefe nicht der Art,35 daß ich ſie im luſtigen Tone beantworten könte.
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ſonderbarer Kauz. Er hat ſich blos auf das Deutſche geleget — neu-
lich ſagte er ſogar zu mir: „die wahre Beſtimmung des Menſchen iſt 5
„eigentlich, daß er, eh’ er die Welt verläſſet, gut Deutſch reden lerne;
„aber wie viele verfehlen ſie und wie wenigen kan man die Grabſchrift
„ſezen: hier ruhet ein Man, der Deutſch reden konte. Darum, lieber
„Brief, lege dich blos auf deine Mutterſprache; mit der komſt du
„überal fort und ieder wird dich ſchäzen“ — er iſt daher bei allen guten 10
Sprachmeiſtern Deutſchlands herumgezogen und einem gewiſſen
Leſſing gab er für iede Woche, den Tag 14. Stunden, beinahe
Einen Groſchen Informirgeld — gleichwol, — — du weiſt es ia.
Indeſſen hätt’ er doch endlich wol etwas gelernet; aber unglüklicher
Weiſe wurde er in Leipzig mit einem alten Überſezer, der 4 oder 5. 15
Treppen hoch (d. i. 5. Fächer hoch im Repoſitorium) bei Seilern
wohnte, bekant. In dieſen alten Man verliebte er ſich nach und nach
und er lag zulezt den ganzen Tag bei (über) ihm: von dieſem lies er
ſich gewiſſe Bonsmots [!] eines gewiſſen alten engliſchen Spas-
machers, Swifts, verdolmetſchen, wiewol ich glaube, der alte Über- 20
ſezer hat ihn manchmal zum Narren gehabt. Allein wenn er nur nicht
darüber auch zugleich die alte, hole, ſtammelnde Stimme des alten
Mannes liebgewonnen hätte! Denn ſeitdem ſpricht er völlig wie der
alte Überſezer und es bringt ihn nichts davon ab. — Übrigens weis
ich wol, iſt mein Vater ein vortreflicher Man, ein Man von den 25
gröſten Talenten und er ſagte mir geſtern: er habe noch nichts ge-
ſchrieben, was nicht, auch gleich in ſeiner erſten Geſtalt, ſeinen völligen
Beifal erhalten hätte. — Aber ich rede ia allein in Einem fort und
verſtoſſe mich gegen die Regel des theatraliſchen Dialogs mit meinen
langen Monologen ſo ſehr als H. Prof. Hempel in ſeinem ruſſiſchen 30
Drama, dem dein H. Vater einen ſchönen Stok aus Vergeſſenheit
geſchenkt; ich erſuche dich daher, doch auch ein wenig zu reden. — Dein
Brief:
[142]
Ich bin dieſer Einkleidung ſchon müde. Was ich mit Einem Worte
ſagen könte, das ſagt ſie in 10. Dazu ſind deine 2. Briefe nicht der Art, 35
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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/157>, abgerufen am 21.11.2024.
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