Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956.

Bild:
<< vorherige Seite

peinigen, oder sonst hart zu sein -- aber lieber Moralist! das alles bin
ich nur dan nicht, wenn von Geldsachen die Rede ist. Sprichst du
hingegen von Ehre und guter Meinung des andern -- wahrhaftig dan
zieh' ich meinen alten Adam wieder an, den ich eben bei Seite geleget
hatte und nun hält mich nichts mehr ab, wieder neidisch zu sein --5
wiewol blos auf den Verstand des andern -- wieder schadenfroh zu
sein -- wiewol blos über seine Demüthigung, wenn ich im Disputiren
das Feld behielt -- ihm Qual durch meinen Tiefsin und meinen Ruhm
zu machen, und den leztern ihm wo möglich zum Theil zu mausen. So
eine Besserung kan ich aber keinen Tausch des Lasters gegen Tugend,10
sondern höchstens einen Tausch der Schwärze gegen Flekken nennen.



Allemal lass' ich das, was ich unterbreche, unvollendet. Ich wolte dir
noch viel auf deine zwei vortreflichen Briefe antworten; aber ich mus
es verschieben. Denn ich bin überhaupt durch das immerwährende
Brüten über meinem Manuskript ganz entkräftet und sieche an aller15
Hize und Kraftlosigkeit einer sizenden Henne. Das Verbessern ist
gegen das Schaffen, das Brüten gegen das Legen, wahre Hunds-
arbeit; und in der That hätt' ich den Rezensenten die Ausbrütung
meiner Satiren überlassen sollen: so hab' ich schon oft gelesen, daß man
Hunde zum Aussizen der Eier nimt, wiewol auch Kapaunen sehr20
wol dazu angehen.



Es ist kein gutes Zeichen für meine Selenkräfte, daß ich in Para-
graphen schreibe. -- Der H. Pfarrer in Rehau giebt zu Ostern ein
Buch heraus und hat schon seinen Verleger. Über das Vergnügen,
mich bei der Schöpfung desselben zu Rathe ziehen zu können und25
durch den glüklichen Zufal meiner Flucht einen so geschikten Accoucheur[144]
habhaft geworden zu sein, hat er es mir gern vergessen, daß ich ihm
seinen Katalogus verloren habe. Er hat einmal ein Buch unter der
Feder gehabt, das besser war als sein ieziges, welches er indessen auch
noch nicht ganz volendet hat. Wenn ich ihm doch alzeit meine wahre30
Meinung sagen dürfte, oder alzeit ihn von derselben überzeugen
könte! Aber glüklicherweise stelle ich mir dich zum Muster vor und
halte meinen Tadel so höflich zurük als du den deinigen: denn ge-
wöhnlich wartest du erst, bis andere meine Fehler aufdekken, eh' du

peinigen, oder ſonſt hart zu ſein — aber lieber Moraliſt! das alles bin
ich nur dan nicht, wenn von Geldſachen die Rede iſt. Sprichſt du
hingegen von Ehre und guter Meinung des andern — wahrhaftig dan
zieh’ ich meinen alten Adam wieder an, den ich eben bei Seite geleget
hatte und nun hält mich nichts mehr ab, wieder neidiſch zu ſein —5
wiewol blos auf den Verſtand des andern — wieder ſchadenfroh zu
ſein — wiewol blos über ſeine Demüthigung, wenn ich im Diſputiren
das Feld behielt — ihm Qual durch meinen Tiefſin und meinen Ruhm
zu machen, und den leztern ihm wo möglich zum Theil zu mauſen. So
eine Beſſerung kan ich aber keinen Tauſch des Laſters gegen Tugend,10
ſondern höchſtens einen Tauſch der Schwärze gegen Flekken nennen.



Allemal laſſ’ ich das, was ich unterbreche, unvollendet. Ich wolte dir
noch viel auf deine zwei vortreflichen Briefe antworten; aber ich mus
es verſchieben. Denn ich bin überhaupt durch das immerwährende
Brüten über meinem Manuſkript ganz entkräftet und ſieche an aller15
Hize und Kraftloſigkeit einer ſizenden Henne. Das Verbeſſern iſt
gegen das Schaffen, das Brüten gegen das Legen, wahre Hunds-
arbeit; und in der That hätt’ ich den Rezenſenten die Ausbrütung
meiner Satiren überlaſſen ſollen: ſo hab’ ich ſchon oft geleſen, daß man
Hunde zum Ausſizen der Eier nimt, wiewol auch Kapaunen ſehr20
wol dazu angehen.



Es iſt kein gutes Zeichen für meine Selenkräfte, daß ich in Para-
graphen ſchreibe. — Der H. Pfarrer in Rehau giebt zu Oſtern ein
Buch heraus und hat ſchon ſeinen Verleger. Über das Vergnügen,
mich bei der Schöpfung deſſelben zu Rathe ziehen zu können und25
durch den glüklichen Zufal meiner Flucht einen ſo geſchikten Accoucheur[144]
habhaft geworden zu ſein, hat er es mir gern vergeſſen, daß ich ihm
ſeinen Katalogus verloren habe. Er hat einmal ein Buch unter der
Feder gehabt, das beſſer war als ſein ieziges, welches er indeſſen auch
noch nicht ganz volendet hat. Wenn ich ihm doch alzeit meine wahre30
Meinung ſagen dürfte, oder alzeit ihn von derſelben überzeugen
könte! Aber glüklicherweiſe ſtelle ich mir dich zum Muſter vor und
halte meinen Tadel ſo höflich zurük als du den deinigen: denn ge-
wöhnlich warteſt du erſt, bis andere meine Fehler aufdekken, eh’ du

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <p><pb facs="#f0159" n="135"/>
peinigen, oder &#x017F;on&#x017F;t hart zu &#x017F;ein &#x2014; aber lieber Morali&#x017F;t! das alles bin<lb/>
ich nur dan nicht, wenn von Geld&#x017F;achen die Rede i&#x017F;t. Sprich&#x017F;t du<lb/>
hingegen von Ehre und guter Meinung des andern &#x2014; wahrhaftig dan<lb/>
zieh&#x2019; ich meinen alten Adam wieder an, den ich eben bei Seite geleget<lb/>
hatte und nun hält mich nichts mehr ab, wieder neidi&#x017F;ch zu &#x017F;ein &#x2014;<lb n="5"/>
wiewol blos auf den Ver&#x017F;tand des andern &#x2014; wieder &#x017F;chadenfroh zu<lb/>
&#x017F;ein &#x2014; wiewol blos über &#x017F;eine Demüthigung, wenn ich im Di&#x017F;putiren<lb/>
das Feld behielt &#x2014; ihm Qual durch meinen Tief&#x017F;in und meinen Ruhm<lb/>
zu machen, und den leztern ihm wo möglich zum Theil zu mau&#x017F;en. So<lb/>
eine Be&#x017F;&#x017F;erung kan ich aber keinen Tau&#x017F;ch des La&#x017F;ters gegen Tugend,<lb n="10"/>
&#x017F;ondern höch&#x017F;tens einen Tau&#x017F;ch der Schwärze gegen Flekken nennen.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p>Allemal la&#x017F;&#x017F;&#x2019; ich das, was ich unterbreche, unvollendet. Ich wolte dir<lb/>
noch viel auf deine zwei vortreflichen Briefe antworten; aber ich mus<lb/>
es ver&#x017F;chieben. Denn ich bin überhaupt durch das immerwährende<lb/>
Brüten über meinem Manu&#x017F;kript ganz entkräftet und &#x017F;ieche an aller<lb n="15"/> <hi rendition="#g">Hize</hi> und <hi rendition="#g">Kraftlo&#x017F;igkeit</hi> einer &#x017F;izenden Henne. Das Verbe&#x017F;&#x017F;ern i&#x017F;t<lb/>
gegen das Schaffen, das Brüten gegen das Legen, wahre <hi rendition="#g">Hunds-</hi><lb/>
arbeit; und in der That hätt&#x2019; ich den Rezen&#x017F;enten die Ausbrütung<lb/>
meiner Satiren überla&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ollen: &#x017F;o hab&#x2019; ich &#x017F;chon oft gele&#x017F;en, daß man<lb/><hi rendition="#g">Hunde</hi> zum Aus&#x017F;izen der Eier nimt, wiewol auch <hi rendition="#g">Kapaunen</hi> &#x017F;ehr<lb n="20"/>
wol dazu angehen.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p>Es i&#x017F;t kein gutes Zeichen für meine Selenkräfte, daß ich in Para-<lb/>
graphen &#x017F;chreibe. &#x2014; Der H. Pfarrer in Rehau giebt zu O&#x017F;tern ein<lb/>
Buch heraus und hat &#x017F;chon &#x017F;einen Verleger. Über das Vergnügen,<lb/>
mich bei der Schöpfung de&#x017F;&#x017F;elben zu Rathe ziehen zu können und<lb n="25"/>
durch den glüklichen Zufal meiner Flucht einen &#x017F;o ge&#x017F;chikten Accoucheur<note place="right"><ref target="1922_Bd#_144">[144]</ref></note><lb/>
habhaft geworden zu &#x017F;ein, hat er es mir gern verge&#x017F;&#x017F;en, daß ich ihm<lb/>
&#x017F;einen Katalogus verloren habe. Er hat einmal ein Buch unter der<lb/>
Feder gehabt, das be&#x017F;&#x017F;er war als &#x017F;ein ieziges, welches er inde&#x017F;&#x017F;en auch<lb/>
noch nicht ganz volendet hat. Wenn ich ihm doch alzeit meine wahre<lb n="30"/>
Meinung &#x017F;agen dürfte, oder alzeit ihn von der&#x017F;elben überzeugen<lb/>
könte! Aber glüklicherwei&#x017F;e &#x017F;telle ich mir dich zum Mu&#x017F;ter vor und<lb/>
halte meinen Tadel &#x017F;o höflich zurük als du den deinigen: denn ge-<lb/>
wöhnlich warte&#x017F;t du er&#x017F;t, bis andere meine Fehler aufdekken, eh&#x2019; du<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[135/0159] peinigen, oder ſonſt hart zu ſein — aber lieber Moraliſt! das alles bin ich nur dan nicht, wenn von Geldſachen die Rede iſt. Sprichſt du hingegen von Ehre und guter Meinung des andern — wahrhaftig dan zieh’ ich meinen alten Adam wieder an, den ich eben bei Seite geleget hatte und nun hält mich nichts mehr ab, wieder neidiſch zu ſein — 5 wiewol blos auf den Verſtand des andern — wieder ſchadenfroh zu ſein — wiewol blos über ſeine Demüthigung, wenn ich im Diſputiren das Feld behielt — ihm Qual durch meinen Tiefſin und meinen Ruhm zu machen, und den leztern ihm wo möglich zum Theil zu mauſen. So eine Beſſerung kan ich aber keinen Tauſch des Laſters gegen Tugend, 10 ſondern höchſtens einen Tauſch der Schwärze gegen Flekken nennen. Allemal laſſ’ ich das, was ich unterbreche, unvollendet. Ich wolte dir noch viel auf deine zwei vortreflichen Briefe antworten; aber ich mus es verſchieben. Denn ich bin überhaupt durch das immerwährende Brüten über meinem Manuſkript ganz entkräftet und ſieche an aller 15 Hize und Kraftloſigkeit einer ſizenden Henne. Das Verbeſſern iſt gegen das Schaffen, das Brüten gegen das Legen, wahre Hunds- arbeit; und in der That hätt’ ich den Rezenſenten die Ausbrütung meiner Satiren überlaſſen ſollen: ſo hab’ ich ſchon oft geleſen, daß man Hunde zum Ausſizen der Eier nimt, wiewol auch Kapaunen ſehr 20 wol dazu angehen. Es iſt kein gutes Zeichen für meine Selenkräfte, daß ich in Para- graphen ſchreibe. — Der H. Pfarrer in Rehau giebt zu Oſtern ein Buch heraus und hat ſchon ſeinen Verleger. Über das Vergnügen, mich bei der Schöpfung deſſelben zu Rathe ziehen zu können und 25 durch den glüklichen Zufal meiner Flucht einen ſo geſchikten Accoucheur habhaft geworden zu ſein, hat er es mir gern vergeſſen, daß ich ihm ſeinen Katalogus verloren habe. Er hat einmal ein Buch unter der Feder gehabt, das beſſer war als ſein ieziges, welches er indeſſen auch noch nicht ganz volendet hat. Wenn ich ihm doch alzeit meine wahre 30 Meinung ſagen dürfte, oder alzeit ihn von derſelben überzeugen könte! Aber glüklicherweiſe ſtelle ich mir dich zum Muſter vor und halte meinen Tadel ſo höflich zurük als du den deinigen: denn ge- wöhnlich warteſt du erſt, bis andere meine Fehler aufdekken, eh’ du [144]

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T14:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T14:52:17Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/159
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/159>, abgerufen am 21.11.2024.