den ziehenden Faulthiergang meines Briefstils) wenn nicht Ähnlichkeit des Kopfes, sondern blosse Ähnlichkeit des Herzens die Freundschaft machen können sol: so fehlet hier doch noch manches. Blosse gegen-[160] seitige Tugend kan Hochachtung erregen, aber eine Vereinigung wie zwischen Montaigne und Boethie stiftet sie wol schwerlich. Wenn ich5 einen fragte: warum liebst du nicht lieber dieses Mädgen, das wenig- stens eben so schön, gut und klug wie das ist, an dem du hängst: so würde er mir nichts zu antworten wissen; ich aber würde an seiner stat sagen: mit der Liebe ists wie mit der Freundschaft und wie mit allen Empfindungen, die auf tausend unsichtbaren und im freien schwebenden10 und fliegenden Fäden ruhen. -- Platner empfiehlet eine gewisse feine und höfliche Zurükhaltung, eine gewisse Etikette in der Freundschaft und warnet vor grosser Vertraulichkeit: du wirst aber gewis fühlen, daß diese Regel auf Montaignes Freundschaft gar nicht passet: passet sie freilich auf die gewöhnlichen, so ist es ein Beweis, daß sie wenig taugen15 und daß Freunde, die zu diesem wolthätigen Betruge ihre Zuflucht nehmen müssen, entweder viele Fehler haben, von deren Verlarvung die Dauer und der Grad ihrer Freundschaft abhängt, (d. h. also ihre Liebe hat Vorzüge zum Gegenstande, die beide gar nicht haben) oder sonst Volkommenheiten an einander wenig genug kennen, um20 nicht sich zu weigern, dafür Fehler zu übersehen.
Ich komme von der Freundschaft, nach einer bekanten poetischen Figur, auf die Hofleute und erzähle dir eine schöne Anekdote von einem. Unter dem vorigen Margrafen [!] war einmal ein Hofman, der hatte einen schönen Hund. Der schöne Hund war einmal mit dem25 Margrafen und seinem Hern und vielen Hofleuten in Einem Zimmer und lies seinen Urin ans Bein des gedachten Margrafen. Die ganze stehende Armee desselben fiel iezt mit Waffen über den Hund her; besonders that sich unter denen, die ihn hinausprügelten, sein Herr hervor. Zulezt gieng auch der Margraf den Weg des Hundes und sein30 Herr hielt an die Anwesenden folgende Rede: "Wenn ich ie etwas "gethan habe, was eines ächten Hofmans nicht ganz unwürdig ist, so "war es iezt. Der Hund, den wir mit einander hinausprügelten, ist "mein: ich habe kein Weib, kein Kind, keinen Freund; aber den Hund "hab' ich stat des allen und lieb' ihn. Sehen Sie indeß, da der Hund35 "in die Ungnade meines Fürsten fiel -- so kant' ich ihn nicht mehr und "schlug ihn mit."
den ziehenden Faulthiergang meines Briefſtils) wenn nicht Ähnlichkeit des Kopfes, ſondern bloſſe Ähnlichkeit des Herzens die Freundſchaft machen können ſol: ſo fehlet hier doch noch manches. Bloſſe gegen-[160] ſeitige Tugend kan Hochachtung erregen, aber eine Vereinigung wie zwiſchen Montaigne und Boethie ſtiftet ſie wol ſchwerlich. Wenn ich5 einen fragte: warum liebſt du nicht lieber dieſes Mädgen, das wenig- ſtens eben ſo ſchön, gut und klug wie das iſt, an dem du hängſt: ſo würde er mir nichts zu antworten wiſſen; ich aber würde an ſeiner ſtat ſagen: mit der Liebe iſts wie mit der Freundſchaft und wie mit allen Empfindungen, die auf tauſend unſichtbaren und im freien ſchwebenden10 und fliegenden Fäden ruhen. — Platner empfiehlet eine gewiſſe feine und höfliche Zurükhaltung, eine gewiſſe Etikette in der Freundſchaft und warnet vor groſſer Vertraulichkeit: du wirſt aber gewis fühlen, daß dieſe Regel auf Montaignes Freundſchaft gar nicht paſſet: paſſet ſie freilich auf die gewöhnlichen, ſo iſt es ein Beweis, daß ſie wenig taugen15 und daß Freunde, die zu dieſem wolthätigen Betruge ihre Zuflucht nehmen müſſen, entweder viele Fehler haben, von deren Verlarvung die Dauer und der Grad ihrer Freundſchaft abhängt, (d. h. alſo ihre Liebe hat Vorzüge zum Gegenſtande, die beide gar nicht haben) oder ſonſt Volkommenheiten an einander wenig genug kennen, um20 nicht ſich zu weigern, dafür Fehler zu überſehen.
Ich komme von der Freundſchaft, nach einer bekanten poetiſchen Figur, auf die Hofleute und erzähle dir eine ſchöne Anekdote von einem. Unter dem vorigen Margrafen [!] war einmal ein Hofman, der hatte einen ſchönen Hund. Der ſchöne Hund war einmal mit dem25 Margrafen und ſeinem Hern und vielen Hofleuten in Einem Zimmer und lies ſeinen Urin ans Bein des gedachten Margrafen. Die ganze ſtehende Armee deſſelben fiel iezt mit Waffen über den Hund her; beſonders that ſich unter denen, die ihn hinausprügelten, ſein Herr hervor. Zulezt gieng auch der Margraf den Weg des Hundes und ſein30 Herr hielt an die Anweſenden folgende Rede: „Wenn ich ie etwas „gethan habe, was eines ächten Hofmans nicht ganz unwürdig iſt, ſo „war es iezt. Der Hund, den wir mit einander hinausprügelten, iſt „mein: ich habe kein Weib, kein Kind, keinen Freund; aber den Hund „hab’ ich ſtat des allen und lieb’ ihn. Sehen Sie indeß, da der Hund35 „in die Ungnade meines Fürſten fiel — ſo kant’ ich ihn nicht mehr und „ſchlug ihn mit.“
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den ziehenden Faulthiergang meines Briefſtils) wenn nicht Ähnlichkeit
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zwiſchen Montaigne und Boethie ſtiftet ſie wol ſchwerlich. Wenn ich 5
einen fragte: warum liebſt du nicht lieber dieſes Mädgen, das wenig-
ſtens eben ſo ſchön, gut und klug wie das iſt, an dem du hängſt: ſo
würde er mir nichts zu antworten wiſſen; ich aber würde an ſeiner ſtat
ſagen: mit der Liebe iſts wie mit der Freundſchaft und wie mit allen
Empfindungen, die auf tauſend unſichtbaren und im freien ſchwebenden 10
und fliegenden Fäden ruhen. — Platner empfiehlet eine gewiſſe feine
und höfliche Zurükhaltung, eine gewiſſe Etikette in der Freundſchaft
und warnet vor groſſer Vertraulichkeit: du wirſt aber gewis fühlen,
daß dieſe Regel auf Montaignes Freundſchaft gar nicht paſſet: paſſet ſie
freilich auf die gewöhnlichen, ſo iſt es ein Beweis, daß ſie wenig taugen 15
und daß Freunde, die zu dieſem wolthätigen Betruge ihre Zuflucht
nehmen müſſen, entweder viele Fehler haben, von deren Verlarvung
die Dauer und der Grad ihrer Freundſchaft abhängt, (d. h. alſo ihre
Liebe hat Vorzüge zum Gegenſtande, die beide gar nicht haben)
oder ſonſt Volkommenheiten an einander wenig genug kennen, um 20
nicht ſich zu weigern, dafür Fehler zu überſehen.
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Ich komme von der Freundſchaft, nach einer bekanten poetiſchen
Figur, auf die Hofleute und erzähle dir eine ſchöne Anekdote von
einem. Unter dem vorigen Margrafen [!] war einmal ein Hofman,
der hatte einen ſchönen Hund. Der ſchöne Hund war einmal mit dem 25
Margrafen und ſeinem Hern und vielen Hofleuten in Einem Zimmer
und lies ſeinen Urin ans Bein des gedachten Margrafen. Die ganze
ſtehende Armee deſſelben fiel iezt mit Waffen über den Hund her;
beſonders that ſich unter denen, die ihn hinausprügelten, ſein Herr
hervor. Zulezt gieng auch der Margraf den Weg des Hundes und ſein 30
Herr hielt an die Anweſenden folgende Rede: „Wenn ich ie etwas
„gethan habe, was eines ächten Hofmans nicht ganz unwürdig iſt, ſo
„war es iezt. Der Hund, den wir mit einander hinausprügelten, iſt
„mein: ich habe kein Weib, kein Kind, keinen Freund; aber den Hund
„hab’ ich ſtat des allen und lieb’ ihn. Sehen Sie indeß, da der Hund 35
„in die Ungnade meines Fürſten fiel — ſo kant’ ich ihn nicht mehr und
„ſchlug ihn mit.“
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/175>, abgerufen am 18.12.2024.
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