pythagorische [!] Stilschweigen, das du zu beobachten anfängst und das sowol die Weisen als die Mönche so sehr empfehlen, zu Bette. Dieses Vergnügen mus sich nun in den Traum verwandelt haben, den ich hier iezt mittheile, um dich in einen ähnlichen zu wiegen.
Mir träumte, du wärest zu mir gekommen. Anfangs hielt' ich deine5 Erscheinung gar für einen Traum, bis mich endlich deine Annäherung überführte, daß du es wirklich selber seist. Meine erste Frage war, "hast du keinen Brief von dir, denn du hast mir lange nicht ge- "schrieben; ich wolte wetten, du bist dein eigner Briefträger geworden." Deine Antwort war: "von mir hab' ich keine Briefe an dich, aber10 "hier ist der grosse Pak (du zogst ihn sofort aus der Tasche) von "Briefen, die andere an dich geschrieben. Da ist auch der Don Quixotte, "auf den ich dich nicht länger warten lassen wil. Ich schriebe dir "übrigens gern; aber ich habe soviel zu thun und ich mus besonders "soviel Zeit mit der Lesung deiner Briefe verzetteln. Wenn du ihrer15 "weniger an mich abliessest: so hätte ich vielleicht mehr Zeit, auf sie "zu antworten. Indessen wird mein Kutscher stat der Briefe 24 lere "Bögen nachbringen, die deiner Feder den weitesten Spielraum an- "bieten und mit denen du meine Briefe ordentlich durchschiessen kanst, "um deine eignen Anmerkungen einzutragen." -- "Aber, sagte ich,20 "so must du desto öfter selber kommen." -- "Eben das wolte ich dir iezt "sagen; ich habe mir vorgenommen, beinahe alle Abende zu dir zu "reisen und du kanst dich darauf verlassen." -- "Sonach kan ich mich,[171] "ohne Widerrede der Kunstrichter, ganz wol mit den Mönchen in Ver- "gleichung stellen, die am Tage fasten müssen, zu Nachts aber sich25 "gütlich thun. Und nu, mit dem Pfarrer in Rehau seiner A. Deutsch. "Bibliothek?" -- Gerade da ich das fragte, trat der Pfarrer selber hinein, an dem du anfangs nichts bewundertest als sein vorgestossenes Kin. Ihr sprachet lange mit einander; endlich kamet ihr auf die A. D. B. und ich erinnere mich noch wol, daß der Pfarrer vom30 Preise bis auf 50 fl. freiwillig heruntergieng und zugleich von 120rtl. sprach, die ihm die 65 Bände gekostet hätten. Allein ich kan mich mit aller Anstrengung nicht mehr auf das besinnen, was du ihm antwor[te]test; ich bitte dich daher, es mir noch einmal zu schreiben und mir nicht aus, sondern in den Traum hinein zu helfen. -- Wir giengen nun ausein-35 ander und ich fühlte es ungern, daß soviele Vergnügungen die Flüchtig- keit eines Traumes nachahmen. Zulezt versprachst du noch, mir
11 Jean Paul Briefe. I.
pythagoriſche [!] Stilſchweigen, das du zu beobachten anfängſt und das ſowol die Weiſen als die Mönche ſo ſehr empfehlen, zu Bette. Dieſes Vergnügen mus ſich nun in den Traum verwandelt haben, den ich hier iezt mittheile, um dich in einen ähnlichen zu wiegen.
Mir träumte, du wäreſt zu mir gekommen. Anfangs hielt’ ich deine5 Erſcheinung gar für einen Traum, bis mich endlich deine Annäherung überführte, daß du es wirklich ſelber ſeiſt. Meine erſte Frage war, „haſt du keinen Brief von dir, denn du haſt mir lange nicht ge- „ſchrieben; ich wolte wetten, du biſt dein eigner Briefträger geworden.“ Deine Antwort war: „von mir hab’ ich keine Briefe an dich, aber10 „hier iſt der groſſe Pak (du zogſt ihn ſofort aus der Taſche) von „Briefen, die andere an dich geſchrieben. Da iſt auch der Don Quixotte, „auf den ich dich nicht länger warten laſſen wil. Ich ſchriebe dir „übrigens gern; aber ich habe ſoviel zu thun und ich mus beſonders „ſoviel Zeit mit der Leſung deiner Briefe verzetteln. Wenn du ihrer15 „weniger an mich ablieſſeſt: ſo hätte ich vielleicht mehr Zeit, auf ſie „zu antworten. Indeſſen wird mein Kutſcher ſtat der Briefe 24 lere „Bögen nachbringen, die deiner Feder den weiteſten Spielraum an- „bieten und mit denen du meine Briefe ordentlich durchſchieſſen kanſt, „um deine eignen Anmerkungen einzutragen.“ — „Aber, ſagte ich,20 „ſo muſt du deſto öfter ſelber kommen.“ — „Eben das wolte ich dir iezt „ſagen; ich habe mir vorgenommen, beinahe alle Abende zu dir zu „reiſen und du kanſt dich darauf verlaſſen.“ — „Sonach kan ich mich,[171] „ohne Widerrede der Kunſtrichter, ganz wol mit den Mönchen in Ver- „gleichung ſtellen, die am Tage faſten müſſen, zu Nachts aber ſich25 „gütlich thun. Und nu, mit dem Pfarrer in Rehau ſeiner A. Deutſch. „Bibliothek?“ — Gerade da ich das fragte, trat der Pfarrer ſelber hinein, an dem du anfangs nichts bewunderteſt als ſein vorgeſtoſſenes Kin. Ihr ſprachet lange mit einander; endlich kamet ihr auf die A. D. B. und ich erinnere mich noch wol, daß der Pfarrer vom30 Preiſe bis auf 50 fl. freiwillig heruntergieng und zugleich von 120rtl. ſprach, die ihm die 65 Bände gekoſtet hätten. Allein ich kan mich mit aller Anſtrengung nicht mehr auf das beſinnen, was du ihm antwor[te]teſt; ich bitte dich daher, es mir noch einmal zu ſchreiben und mir nicht aus, ſondern in den Traum hinein zu helfen. — Wir giengen nun ausein-35 ander und ich fühlte es ungern, daß ſoviele Vergnügungen die Flüchtig- keit eines Traumes nachahmen. Zulezt verſprachſt du noch, mir
11 Jean Paul Briefe. I.
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pythagoriſche [!] Stilſchweigen, das du zu beobachten anfängſt und
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Dieſes Vergnügen mus ſich nun in den Traum verwandelt haben, den
ich hier iezt mittheile, um dich in einen ähnlichen zu wiegen.
Mir träumte, du wäreſt zu mir gekommen. Anfangs hielt’ ich deine 5
Erſcheinung gar für einen Traum, bis mich endlich deine Annäherung
überführte, daß du es wirklich ſelber ſeiſt. Meine erſte Frage war,
„haſt du keinen Brief von dir, denn du haſt mir lange nicht ge-
„ſchrieben; ich wolte wetten, du biſt dein eigner Briefträger geworden.“
Deine Antwort war: „von mir hab’ ich keine Briefe an dich, aber 10
„hier iſt der groſſe Pak (du zogſt ihn ſofort aus der Taſche) von
„Briefen, die andere an dich geſchrieben. Da iſt auch der Don Quixotte,
„auf den ich dich nicht länger warten laſſen wil. Ich ſchriebe dir
„übrigens gern; aber ich habe ſoviel zu thun und ich mus beſonders
„ſoviel Zeit mit der Leſung deiner Briefe verzetteln. Wenn du ihrer 15
„weniger an mich ablieſſeſt: ſo hätte ich vielleicht mehr Zeit, auf ſie
„zu antworten. Indeſſen wird mein Kutſcher ſtat der Briefe 24 lere
„Bögen nachbringen, die deiner Feder den weiteſten Spielraum an-
„bieten und mit denen du meine Briefe ordentlich durchſchieſſen kanſt,
„um deine eignen Anmerkungen einzutragen.“ — „Aber, ſagte ich, 20
„ſo muſt du deſto öfter ſelber kommen.“ — „Eben das wolte ich dir iezt
„ſagen; ich habe mir vorgenommen, beinahe alle Abende zu dir zu
„reiſen und du kanſt dich darauf verlaſſen.“ — „Sonach kan ich mich,
„ohne Widerrede der Kunſtrichter, ganz wol mit den Mönchen in Ver-
„gleichung ſtellen, die am Tage faſten müſſen, zu Nachts aber ſich 25
„gütlich thun. Und nu, mit dem Pfarrer in Rehau ſeiner A. Deutſch.
„Bibliothek?“ — Gerade da ich das fragte, trat der Pfarrer ſelber
hinein, an dem du anfangs nichts bewunderteſt als ſein vorgeſtoſſenes
Kin. Ihr ſprachet lange mit einander; endlich kamet ihr auf die
A. D. B. und ich erinnere mich noch wol, daß der Pfarrer vom 30
Preiſe bis auf 50 fl. freiwillig heruntergieng und zugleich von 120rtl.
ſprach, die ihm die 65 Bände gekoſtet hätten. Allein ich kan mich mit aller
Anſtrengung nicht mehr auf das beſinnen, was du ihm antwor[te]teſt;
ich bitte dich daher, es mir noch einmal zu ſchreiben und mir nicht aus,
ſondern in den Traum hinein zu helfen. — Wir giengen nun ausein- 35
ander und ich fühlte es ungern, daß ſoviele Vergnügungen die Flüchtig-
keit eines Traumes nachahmen. Zulezt verſprachſt du noch, mir
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11 Jean Paul Briefe. I.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/186>, abgerufen am 24.11.2024.
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