Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956.

Bild:
<< vorherige Seite
*1. An Adam Lorenz von Oerthel in Hof.[1]

Ach die wenigen Zeilen haben mir Thränen verursacht, mir -- der
wenig Freud' hat; denn wo wäre sie? -- und der auch diese einigen
bald missen mus. Wenn ich vielleicht weg bin: so seh' zu Nachts zu5
deinen Gängen in den Garten hin, wenn sie der Volmond beschim-
mert -- und denke dan d'ran -- wie wir ienseits hinüber über das be-
leuchtete Wasser blikten -- wie eine freundschaftliche Thräne dem
Aug' entdrang -- zum Alvater hinauf -- -- Ach! die Tage der
Kindheit sind hin -- die Tage des Schülers bei beiden auch bald vol-10
endet -- bald's ganze Leben -- -- Hier kamst du und unterbrachst mich;
ich las das Papier, das du mir gegeben hast; und nun kan ich nicht
mehr schreiben -- -- fliesset Thränen. -- --

Doch noch was. -- Lauter Sterbegedanken umgeben mich iezt --
vielleicht dich auch; und dies ist beste Zubereitung. -- -- Nun schim-15
merst ruhiger Mond! senkest Ruhe in gequälte Seelen -- Schauerlich
ist's, unter Mondsblinkern, al die harmlosen, nachbarlichen Hügel --
bei'n Gräbern wandelnd -- zu spähn! Schauerlich wenn's so todenleise
um dich her ist, und's dich ergreift das grosse alumspannende Gefühl --
edel ist's, nächtlich die Gräber der süsschlummernden Freunde zu be-20
suchen -- und ach! den betrauern, den nun der Wurm zernagt. -- Lese
in Yorik's Reisen im 1ten Theil das, wo er beim Grabe des Mönchs
war. -- --

Von diesem Geschriebenen rede mit mir ia kein Wort -- schreiben
kanst allenfals. -- --25

Dein Freund Richter
1 Jean Paul Briefe. I.
*1. An Adam Lorenz von Oerthel in Hof.[1]

Ach die wenigen Zeilen haben mir Thränen verurſacht, mir — der
wenig Freud’ hat; denn wo wäre ſie? — und der auch dieſe einigen
bald miſſen mus. Wenn ich vielleicht weg bin: ſo ſeh’ zu Nachts zu5
deinen Gängen in den Garten hin, wenn ſie der Volmond beſchim-
mert — und denke dan d’ran — wie wir ienſeits hinüber über das be-
leuchtete Waſſer blikten — wie eine freundſchaftliche Thräne dem
Aug’ entdrang — zum Alvater hinauf — — Ach! die Tage der
Kindheit ſind hin — die Tage des Schülers bei beiden auch bald vol-10
endet — bald’s ganze Leben — — Hier kamſt du und unterbrachſt mich;
ich las das Papier, das du mir gegeben haſt; und nun kan ich nicht
mehr ſchreiben — — flieſſet Thränen. — —

Doch noch was. — Lauter Sterbegedanken umgeben mich iezt —
vielleicht dich auch; und dies iſt beſte Zubereitung. — — Nun ſchim-15
merſt ruhiger Mond! ſenkeſt Ruhe in gequälte Seelen — Schauerlich
iſt’s, unter Mondsblinkern, al die harmloſen, nachbarlichen Hügel —
bei’n Gräbern wandelnd — zu ſpähn! Schauerlich wenn’s ſo todenleiſe
um dich her iſt, und’s dich ergreift das groſſe alumſpannende Gefühl —
edel iſt’s, nächtlich die Gräber der ſüsſchlummernden Freunde zu be-20
ſuchen — und ach! den betrauern, den nun der Wurm zernagt. — Leſe
in Yorik’s Reiſen im 1ten Theil das, wo er beim Grabe des Mönchs
war. — —

Von dieſem Geſchriebenen rede mit mir ia kein Wort — ſchreiben
kanſt allenfals. — —25

Dein Freund Richter
1 Jean Paul Briefe. I.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0023" n="1"/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>*1. An <hi rendition="#g">Adam Lorenz von Oerthel in Hof.</hi><note place="right"><ref target="1922_Bd#_1">[1]</ref></note></head><lb/>
        <dateline> <hi rendition="#right"><metamark>[</metamark>Hof, vor 11. Okt. 1780<metamark>]</metamark></hi> </dateline><lb/>
        <p>Ach die wenigen Zeilen haben mir Thränen verur&#x017F;acht, mir &#x2014; der<lb/>
wenig Freud&#x2019; hat; denn wo wäre &#x017F;ie? &#x2014; und der auch die&#x017F;e einigen<lb/>
bald mi&#x017F;&#x017F;en mus. Wenn ich vielleicht weg bin: &#x017F;o &#x017F;eh&#x2019; zu Nachts zu<lb n="5"/>
deinen Gängen in den Garten hin, wenn &#x017F;ie der Volmond be&#x017F;chim-<lb/>
mert &#x2014; und denke dan d&#x2019;ran &#x2014; wie wir ien&#x017F;eits hinüber über das be-<lb/>
leuchtete Wa&#x017F;&#x017F;er blikten &#x2014; wie eine freund&#x017F;chaftliche Thräne dem<lb/>
Aug&#x2019; entdrang &#x2014; zum Alvater hinauf &#x2014; &#x2014; Ach! die Tage der<lb/>
Kindheit &#x017F;ind hin &#x2014; die Tage des Schülers bei beiden auch bald vol-<lb n="10"/>
endet &#x2014; bald&#x2019;s ganze Leben &#x2014; &#x2014; Hier kam&#x017F;t du und unterbrach&#x017F;t mich;<lb/>
ich las das Papier, das du mir gegeben ha&#x017F;t; und nun kan ich nicht<lb/>
mehr &#x017F;chreiben &#x2014; &#x2014; flie&#x017F;&#x017F;et Thränen. &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
        <p>Doch noch was. &#x2014; Lauter Sterbegedanken umgeben mich iezt &#x2014;<lb/>
vielleicht dich auch; und dies i&#x017F;t be&#x017F;te Zubereitung. &#x2014; &#x2014; Nun &#x017F;chim-<lb n="15"/>
mer&#x017F;t ruhiger Mond! &#x017F;enke&#x017F;t Ruhe in gequälte Seelen &#x2014; Schauerlich<lb/>
i&#x017F;t&#x2019;s, unter Mondsblinkern, al die harmlo&#x017F;en, nachbarlichen Hügel &#x2014;<lb/>
bei&#x2019;n Gräbern wandelnd &#x2014; zu &#x017F;pähn! Schauerlich wenn&#x2019;s &#x017F;o todenlei&#x017F;e<lb/>
um dich her i&#x017F;t, und&#x2019;s dich ergreift das gro&#x017F;&#x017F;e alum&#x017F;pannende Gefühl &#x2014;<lb/>
edel i&#x017F;t&#x2019;s, nächtlich die Gräber der &#x017F;üs&#x017F;chlummernden Freunde zu be-<lb n="20"/>
&#x017F;uchen &#x2014; und ach! den betrauern, den nun der Wurm zernagt. &#x2014; Le&#x017F;e<lb/>
in <hi rendition="#g">Yorik&#x2019;s</hi> Rei&#x017F;en im 1<hi rendition="#sup">ten</hi> Theil das, wo er beim Grabe des Mönchs<lb/>
war. &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
        <p>Von die&#x017F;em Ge&#x017F;chriebenen rede mit mir ia kein Wort &#x2014; &#x017F;chreiben<lb/>
kan&#x017F;t allenfals. &#x2014; &#x2014;<lb n="25"/>
</p>
        <closer>
          <salute> <hi rendition="#right">Dein Freund Richter</hi> </salute>
        </closer><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">1 Jean Paul Briefe. <hi rendition="#aq">I.</hi></fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1/0023] *1. An Adam Lorenz von Oerthel in Hof. [Hof, vor 11. Okt. 1780] Ach die wenigen Zeilen haben mir Thränen verurſacht, mir — der wenig Freud’ hat; denn wo wäre ſie? — und der auch dieſe einigen bald miſſen mus. Wenn ich vielleicht weg bin: ſo ſeh’ zu Nachts zu 5 deinen Gängen in den Garten hin, wenn ſie der Volmond beſchim- mert — und denke dan d’ran — wie wir ienſeits hinüber über das be- leuchtete Waſſer blikten — wie eine freundſchaftliche Thräne dem Aug’ entdrang — zum Alvater hinauf — — Ach! die Tage der Kindheit ſind hin — die Tage des Schülers bei beiden auch bald vol- 10 endet — bald’s ganze Leben — — Hier kamſt du und unterbrachſt mich; ich las das Papier, das du mir gegeben haſt; und nun kan ich nicht mehr ſchreiben — — flieſſet Thränen. — — Doch noch was. — Lauter Sterbegedanken umgeben mich iezt — vielleicht dich auch; und dies iſt beſte Zubereitung. — — Nun ſchim- 15 merſt ruhiger Mond! ſenkeſt Ruhe in gequälte Seelen — Schauerlich iſt’s, unter Mondsblinkern, al die harmloſen, nachbarlichen Hügel — bei’n Gräbern wandelnd — zu ſpähn! Schauerlich wenn’s ſo todenleiſe um dich her iſt, und’s dich ergreift das groſſe alumſpannende Gefühl — edel iſt’s, nächtlich die Gräber der ſüsſchlummernden Freunde zu be- 20 ſuchen — und ach! den betrauern, den nun der Wurm zernagt. — Leſe in Yorik’s Reiſen im 1ten Theil das, wo er beim Grabe des Mönchs war. — — Von dieſem Geſchriebenen rede mit mir ia kein Wort — ſchreiben kanſt allenfals. — — 25 Dein Freund Richter 1 Jean Paul Briefe. I.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T14:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T14:52:17Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/23
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 1. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/23>, abgerufen am 03.12.2024.