Händen des Systems und den Kant hält man für einen Kometen, auf dem der iüngste Tag flamt und der die Himmelsstufen zum Spasse auf und niederspringt -- Ich sorge, das wärmere Klima des Schiksals verzärtelt deinen Muth, dein Gehirn zu enthülsen d. i. zu zeigen und nicht durch Schritte sondern Sprünge das Glük einzuholen. Wie5 Michaelis den Reisenden Fragen mitgab, deren Auflösung sie mit- bringen solten: so geb' ich diesem Papier Fragen mit. Woher ent- stehen die Winde im Unterleibe -- d. i. warum richtet sich die aus den Speisen entwikkelte Luft nicht nach der Menge von der in der Speise sizenden Luft sondern nach der Schwierigkeit und Länge des10 Verdauens -- und die ausser dem Unterleib, mit denen dein Graf weniger zu thun hat? Wie können sie von gestörtem Gleichgewicht der [268]Luft entspringen, da sie in den wärmsten Ländern, wo Tagshize und Nachtkälte wechseln, und im Sommer am schwächsten sind und am stärksten in den Äquinokzien? Wie können sie stosweise wirken? Wie15 können sie -- diese 3te Frage thu' ich am 1 Jenner, wo ich dir lauter Feinde wünsche, damit dich niemand mit Wünschen geiselt -- schwach anfangen und nach Stössen endigen? ... wie wenn [ich] verdünte schaale Luft einsöge [?] -- Wenn dein Geschmak wollüstiger und regel- loser wäre: so würdest du am Ende auf den Speisetisch deines Grafens20 [!] gerade eine Antidiätetik hinpredigen und das ists erstemal, daß der Arzt Speisen verbietet, um sie selbst nicht zu bekommen ... Was dein Graf deinem Magen nüzt, nüzt er meinem Zwergfel und damit auch ienem ... da mich die Umarbeitung meines Buchs abnüzt ... Deine Aufrichtigkeit, die dir keinen verstellenden Brief zulies, begiesse und25 belege mit Gartenerde: es ist das edelste was noch auf dir Wurzel treiben kan. Jede Verstellung ist ein blasses wurmförmiges Kind der Schwäche und alter Gebrechen. Der beste Mensch könte sich schon deswegen nicht verstellen, weil er nichts zu verstellen hätte. Bei dir kan ich Wiz, Narheit, Dumheit etc. auskramen, wie ich wil: so vertraut bist30 du mir und ich kan mir gar nicht denken, wie ich an dich schreiben müste, wenn ich dir sagen wolte, daß ich mit dir bräche, oder wie du mir das nämliche sagen köntest. Ich kan die Universalgeschichte deines fortgerükten Schiksals kaum abwarten .. Die Federsche Behauptung [daß nicht die Organe, sondern die Seele empfinde] verdient dein35 Urtheil nicht. Er macht sie blos gegen die Materialisten, die reden als ob das Auge sähe etc. da doch, indes sich das ganze Leben das nämliche
Händen des Syſtems und den Kant hält man für einen Kometen, auf dem der iüngſte Tag flamt und der die Himmelsſtufen zum Spaſſe auf und niederſpringt — Ich ſorge, das wärmere Klima des Schikſals verzärtelt deinen Muth, dein Gehirn zu enthülſen d. i. zu zeigen und nicht durch Schritte ſondern Sprünge das Glük einzuholen. Wie5 Michaelis den Reiſenden Fragen mitgab, deren Auflöſung ſie mit- bringen ſolten: ſo geb’ ich dieſem Papier Fragen mit. Woher ent- ſtehen die Winde im Unterleibe — d. i. warum richtet ſich die aus den Speiſen entwikkelte Luft nicht nach der Menge von der in der Speiſe ſizenden Luft ſondern nach der Schwierigkeit und Länge des10 Verdauens — und die auſſer dem Unterleib, mit denen dein Graf weniger zu thun hat? Wie können ſie von geſtörtem Gleichgewicht der [268]Luft entſpringen, da ſie in den wärmſten Ländern, wo Tagshize und Nachtkälte wechſeln, und im Sommer am ſchwächſten ſind und am ſtärkſten in den Äquinokzien? Wie können ſie ſtosweiſe wirken? Wie15 können ſie — dieſe 3te Frage thu’ ich am 1 Jenner, wo ich dir lauter Feinde wünſche, damit dich niemand mit Wünſchen geiſelt — ſchwach anfangen und nach Stöſſen endigen? … wie wenn [ich] verdünte ſchaale Luft einſöge [?] — Wenn dein Geſchmak wollüſtiger und regel- loſer wäre: ſo würdeſt du am Ende auf den Speiſetiſch deines Grafens20 [!] gerade eine Antidiätetik hinpredigen und das iſts erſtemal, daß der Arzt Speiſen verbietet, um ſie ſelbſt nicht zu bekommen … Was dein Graf deinem Magen nüzt, nüzt er meinem Zwergfel und damit auch ienem … da mich die Umarbeitung meines Buchs abnüzt … Deine Aufrichtigkeit, die dir keinen verſtellenden Brief zulies, begieſſe und25 belege mit Gartenerde: es iſt das edelſte was noch auf dir Wurzel treiben kan. Jede Verſtellung iſt ein blaſſes wurmförmiges Kind der Schwäche und alter Gebrechen. Der beſte Menſch könte ſich ſchon deswegen nicht verſtellen, weil er nichts zu verſtellen hätte. Bei dir kan ich Wiz, Narheit, Dumheit ꝛc. auskramen, wie ich wil: ſo vertraut biſt30 du mir und ich kan mir gar nicht denken, wie ich an dich ſchreiben müſte, wenn ich dir ſagen wolte, daß ich mit dir bräche, oder wie du mir das nämliche ſagen könteſt. Ich kan die Univerſalgeſchichte deines fortgerükten Schikſals kaum abwarten .. Die Federſche Behauptung [daß nicht die Organe, ſondern die Seele empfinde] verdient dein35 Urtheil nicht. Er macht ſie blos gegen die Materialiſten, die reden als ob das Auge ſähe ꝛc. da doch, indes ſich das ganze Leben das nämliche
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Händen des Syſtems und den Kant hält man für einen Kometen, auf
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verzärtelt deinen Muth, dein Gehirn zu enthülſen d. i. zu zeigen und
nicht durch Schritte ſondern Sprünge das Glük einzuholen. Wie 5
Michaelis den Reiſenden Fragen mitgab, deren Auflöſung ſie mit-
bringen ſolten: ſo geb’ ich dieſem Papier Fragen mit. Woher ent-
ſtehen die Winde im Unterleibe — d. i. warum richtet ſich die aus
den Speiſen entwikkelte Luft nicht nach der Menge von der in der
Speiſe ſizenden Luft ſondern nach der Schwierigkeit und Länge des 10
Verdauens — und die auſſer dem Unterleib, mit denen dein Graf
weniger zu thun hat? Wie können ſie von geſtörtem Gleichgewicht der
Luft entſpringen, da ſie in den wärmſten Ländern, wo Tagshize und
Nachtkälte wechſeln, und im Sommer am ſchwächſten ſind und am
ſtärkſten in den Äquinokzien? Wie können ſie ſtosweiſe wirken? Wie 15
können ſie — dieſe 3te Frage thu’ ich am 1 Jenner, wo ich dir lauter
Feinde wünſche, damit dich niemand mit Wünſchen geiſelt — ſchwach
anfangen und nach Stöſſen endigen? … wie wenn [ich] verdünte
ſchaale Luft einſöge [?] — Wenn dein Geſchmak wollüſtiger und regel-
loſer wäre: ſo würdeſt du am Ende auf den Speiſetiſch deines Grafens 20
[!] gerade eine Antidiätetik hinpredigen und das iſts erſtemal, daß der
Arzt Speiſen verbietet, um ſie ſelbſt nicht zu bekommen … Was dein
Graf deinem Magen nüzt, nüzt er meinem Zwergfel und damit auch
ienem … da mich die Umarbeitung meines Buchs abnüzt … Deine
Aufrichtigkeit, die dir keinen verſtellenden Brief zulies, begieſſe und 25
belege mit Gartenerde: es iſt das edelſte was noch auf dir Wurzel
treiben kan. Jede Verſtellung iſt ein blaſſes wurmförmiges Kind der
Schwäche und alter Gebrechen. Der beſte Menſch könte ſich ſchon
deswegen nicht verſtellen, weil er nichts zu verſtellen hätte. Bei dir kan
ich Wiz, Narheit, Dumheit ꝛc. auskramen, wie ich wil: ſo vertraut biſt 30
du mir und ich kan mir gar nicht denken, wie ich an dich ſchreiben
müſte, wenn ich dir ſagen wolte, daß ich mit dir bräche, oder wie du
mir das nämliche ſagen könteſt. Ich kan die Univerſalgeſchichte deines
fortgerükten Schikſals kaum abwarten .. Die Federſche Behauptung
[daß nicht die Organe, ſondern die Seele empfinde] verdient dein 35
Urtheil nicht. Er macht ſie blos gegen die Materialiſten, die reden als
ob das Auge ſähe ꝛc. da doch, indes ſich das ganze Leben das nämliche
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/279>, abgerufen am 21.11.2024.
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