sum in den Berg gegraben, kömts uns auf 2 Treppen mehr oder weniger nicht. Haben denn [die] Franzosen etc. nichts im griechischen Geschmak geschrieben? Wäre das: so wäre ohnehin an Mustern, die uns noch zu keinen Ebenbildern geführt, wenig gelegen; es ist aber nicht und die Omarsche Verbrennung der Alten würde [nur] ein wenig mehr5 schaden als wenn man den Herbstflor von einigen griechischen Tempeln umrisse -- wir hätten und bekämen doch noch Häuser im griechischen Geschmak. Die Muster haben ia selber ohne Muster geschrieben und Polyklet hat seine Bildsäule ohne Polyklets Bildsäule gemacht. In Italien ist troz dem Studium der geschriebnen Antiken die Literatur10 auf dem Siechbet. -- Bei mehr Fleis und besserm Unterricht könten wir alle noch 10 mal mehr lernen und doch noch am Sontag nach Gattendorf gehen. -- Die Denk- und Schreibart mus mit iedem Säkul schwelgender [?], gedrängter*)[werden] -- unsre polyhistori- schen Kentnisse, die wir in 1 Perioden pressen, unsre Bekantschaft mit15 allen Wahrheiten, an denen nichts weiter neu zu machen ist als der [353]Ueberzug etc. Fürs ganze Tonsystem der geistigen Kräfte ist unsere Period[ik] besser und Monboddo, der uns wieder nach Attika werfen wil, kan die umrollende Erdkugel nicht anhalten. -- .. (Aber mit Erstaunen seh' ich, daß ich nicht 3 mal "meines Bedünkens" gesagt,20 da doch wahre Bescheidenheit sich ohne diese Dezenz-Wickelschwänze kaum denken lässet, obgleich ieder kein andres Erachten und Bedünken haben kan als sein eignes. Ich wil also im nächsten Absaz nicht ohne alle gelehrte Modestie schreiben.) -- Ich meines Orts glaube, was das bessere Edieren anlangt: so möchte das, da der Geist eines Autors nicht25 in 20 Lesarten seshaft ist, wol nicht das Hauptsäch[lichste] zum Fassen dieses Geists beitragen, so wenig als einer, der einen deutschen Auktor nicht mit seinen Drukfehlern begrif, ihn deshalb in einer neuen von Erratis gesäuberten Edizion zu begreifen versteht. Indes kan ich mich irren, so wie auch darin, daß ich muthmasse, auch in Betref des bessern30 Erklärens dürft' es [nicht] anders sein: Es mag nun der alte Auktor Lesern oder Primanern besser erklärt werden etc.: so lässet sich noch darüber disputieren, ob die Nominal- und Realkentnisse, noch so reich- lich ausgespendet, einen dummen Leser in Stand sezen, den Auktor
*) Die Alten waren mit Worten und Gedanken freigebig, die Neuen sind mit35 beiden karg.
sum in den Berg gegraben, kömts uns auf 2 Treppen mehr oder weniger nicht. Haben denn [die] Franzoſen ꝛc. nichts im griechiſchen Geſchmak geſchrieben? Wäre das: ſo wäre ohnehin an Muſtern, die uns noch zu keinen Ebenbildern geführt, wenig gelegen; es iſt aber nicht und die Omarſche Verbrennung der Alten würde [nur] ein wenig mehr5 ſchaden als wenn man den Herbſtflor von einigen griechiſchen Tempeln umriſſe — wir hätten und bekämen doch noch Häuſer im griechiſchen Geſchmak. Die Muſter haben ia ſelber ohne Muſter geſchrieben und Polyklet hat ſeine Bildſäule ohne Polyklets Bildſäule gemacht. In Italien iſt troz dem Studium der geſchriebnen Antiken die Literatur10 auf dem Siechbet. — Bei mehr Fleis und beſſerm Unterricht könten wir alle noch 10 mal mehr lernen und doch noch am Sontag nach Gattendorf gehen. — Die Denk- und Schreibart mus mit iedem Säkul ſchwelgender [?], gedrängter*)[werden] — unſre polyhiſtori- ſchen Kentniſſe, die wir in 1 Perioden preſſen, unſre Bekantſchaft mit15 allen Wahrheiten, an denen nichts weiter neu zu machen iſt als der [353]Ueberzug ꝛc. Fürs ganze Tonſyſtem der geiſtigen Kräfte iſt unſere Period[ik] beſſer und Monboddo, der uns wieder nach Attika werfen wil, kan die umrollende Erdkugel nicht anhalten. — .. (Aber mit Erſtaunen ſeh’ ich, daß ich nicht 3 mal „meines Bedünkens“ geſagt,20 da doch wahre Beſcheidenheit ſich ohne dieſe Dezenz-Wickelſchwänze kaum denken läſſet, obgleich ieder kein andres Erachten und Bedünken haben kan als ſein eignes. Ich wil alſo im nächſten Abſaz nicht ohne alle gelehrte Modeſtie ſchreiben.) — Ich meines Orts glaube, was das beſſere Edieren anlangt: ſo möchte das, da der Geiſt eines Autors nicht25 in 20 Lesarten ſeshaft iſt, wol nicht das Hauptſäch[lichſte] zum Faſſen dieſes Geiſts beitragen, ſo wenig als einer, der einen deutſchen Auktor nicht mit ſeinen Drukfehlern begrif, ihn deshalb in einer neuen von Erratis geſäuberten Edizion zu begreifen verſteht. Indes kan ich mich irren, ſo wie auch darin, daß ich muthmaſſe, auch in Betref des beſſern30 Erklärens dürft’ es [nicht] anders ſein: Es mag nun der alte Auktor Leſern oder Primanern beſſer erklärt werden ꝛc.: ſo läſſet ſich noch darüber diſputieren, ob die Nominal- und Realkentniſſe, noch ſo reich- lich ausgeſpendet, einen dummen Leſer in Stand ſezen, den Auktor
*) Die Alten waren mit Worten und Gedanken freigebig, die Neuen ſind mit35 beiden karg.
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sum in den Berg gegraben, kömts uns auf 2 Treppen mehr oder weniger
nicht. Haben denn [die] Franzoſen ꝛc. nichts im griechiſchen Geſchmak
geſchrieben? Wäre das: ſo wäre ohnehin an Muſtern, die uns noch zu
keinen Ebenbildern geführt, wenig gelegen; es iſt aber nicht und die
Omarſche Verbrennung der Alten würde [nur] ein wenig mehr 5
ſchaden als wenn man den Herbſtflor von einigen griechiſchen Tempeln
umriſſe — wir hätten und bekämen doch noch Häuſer im griechiſchen
Geſchmak. Die Muſter haben ia ſelber ohne Muſter geſchrieben und
Polyklet hat ſeine Bildſäule ohne Polyklets Bildſäule gemacht. In
Italien iſt troz dem Studium der geſchriebnen Antiken die Literatur 10
auf dem Siechbet. — Bei mehr Fleis und beſſerm Unterricht könten
wir alle noch 10 mal mehr lernen und doch noch am Sontag nach
Gattendorf gehen. — Die Denk- und Schreibart mus mit iedem
Säkul ſchwelgender [?], gedrängter *) [werden] — unſre polyhiſtori-
ſchen Kentniſſe, die wir in 1 Perioden preſſen, unſre Bekantſchaft mit 15
allen Wahrheiten, an denen nichts weiter neu zu machen iſt als der
Ueberzug ꝛc. Fürs ganze Tonſyſtem der geiſtigen Kräfte iſt unſere
Period[ik] beſſer und Monboddo, der uns wieder nach Attika werfen
wil, kan die umrollende Erdkugel nicht anhalten. — .. (Aber mit
Erſtaunen ſeh’ ich, daß ich nicht 3 mal „meines Bedünkens“ geſagt, 20
da doch wahre Beſcheidenheit ſich ohne dieſe Dezenz-Wickelſchwänze
kaum denken läſſet, obgleich ieder kein andres Erachten und Bedünken
haben kan als ſein eignes. Ich wil alſo im nächſten Abſaz nicht ohne
alle gelehrte Modeſtie ſchreiben.) — Ich meines Orts glaube, was das
beſſere Edieren anlangt: ſo möchte das, da der Geiſt eines Autors nicht 25
in 20 Lesarten ſeshaft iſt, wol nicht das Hauptſäch[lichſte] zum Faſſen
dieſes Geiſts beitragen, ſo wenig als einer, der einen deutſchen Auktor
nicht mit ſeinen Drukfehlern begrif, ihn deshalb in einer neuen von
Erratis geſäuberten Edizion zu begreifen verſteht. Indes kan ich mich
irren, ſo wie auch darin, daß ich muthmaſſe, auch in Betref des beſſern 30
Erklärens dürft’ es [nicht] anders ſein: Es mag nun der alte Auktor
Leſern oder Primanern beſſer erklärt werden ꝛc.: ſo läſſet ſich noch
darüber diſputieren, ob die Nominal- und Realkentniſſe, noch ſo reich-
lich ausgeſpendet, einen dummen Leſer in Stand ſezen, den Auktor
[353]
*) Die Alten waren mit Worten und Gedanken freigebig, die Neuen ſind mit 35
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/360>, abgerufen am 25.11.2024.
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