Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956.darnach zuzuschneiden -- er kan nicht genug von hinten nach vorn ar- Die christlichen Sekten machten noch grössere Zwischenräume als *) Du must das Medium, wodurch der Leser die Hauptsache sieht, verdünnen
und verkleinern: sonst lieferst [du] stat eines Profils ein Kniestük und jede Be- stimmung zerfasert sich in Unterbestimmungen. Diese Kardinalregel Voltaires35 "man muß nicht alles sagen" kent und achtet und verlezt niemand mehr als der, der ihr zu Gefallen eine so lange Note gemacht. darnach zuzuſchneiden — er kan nicht genug von hinten nach vorn ar- Die chriſtlichen Sekten machten noch gröſſere Zwiſchenräume als *) Du muſt das Medium, wodurch der Leſer die Hauptſache ſieht, verdünnen
und verkleinern: ſonſt lieferſt [du] ſtat eines Profils ein Knieſtük und jede Be- ſtimmung zerfaſert ſich in Unterbeſtimmungen. Dieſe Kardinalregel Voltaires35 „man muß nicht alles ſagen“ kent und achtet und verlezt niemand mehr als der, der ihr zu Gefallen eine ſo lange Note gemacht. <TEI> <text> <body> <div type="letter" n="1"> <p><pb facs="#f0370" n="344"/> darnach zuzuſchneiden — er kan nicht genug von hinten nach vorn ar-<lb/> beiten. — Die Schwierigkeit, wie drei ſo verſchiedene Menſchen Arten<lb/> — Römer, Barbaren und Chriſten — ſich koagulieren oder ſcheiden<lb/> werden — Oſzillieren des Wagbalkens, an deſſen einem Pol der<lb/><note place="left"><ref target="1922_Bd#_363">[363]</ref></note>Staat und an deſſen anderm die Kirche hängt.<note place="foot" n="*)">Du muſt das Medium, wodurch der Leſer die Hauptſache ſieht, verdünnen<lb/> und verkleinern: ſonſt lieferſt <metamark>[</metamark>du<metamark>]</metamark> ſtat eines Profils ein Knieſtük und jede Be-<lb/> ſtimmung zerfaſert ſich in Unterbeſtimmungen. Dieſe Kardinalregel Voltaires<lb n="35"/> „man muß nicht alles ſagen“ kent und achtet und verlezt niemand mehr als der, der<lb/> ihr zu Gefallen eine ſo lange Note gemacht.</note> — <metamark>[</metamark>Das<metamark>]</metamark> Reſultat<lb n="5"/> muß <hi rendition="#g">vor</hi> dem Beweiſe <metamark>[</metamark>ſtehen<metamark>]</metamark>. — Im Grund, wenn ich mich an den<lb/> Eindruk deiner Aequazions Geſchichte erinnere, beſonders daran, wie die<lb/> kleine Quelle einen zulezt mit 100 zuſammenrinnenden Bächen ergreift<lb/> und hinreiſſet und wie der Enthuſiaſmus gegen das Ende den Leſer ſo<lb/> gut wie den Verfaſſer hebt: ſo ſolt’ ich mich nicht zwingen, deinen<lb n="10"/> partheiiſchen Tadel zu meinem zu machen. Deine Abhandlung wird<lb/> wie ihr Geburts Jahrhundert gegen ihr Ende am fruchtbarſten und<lb/> neueſten. Ich wolte, ich wäre der gröſte lebende Hiſtoriker, um dich in<lb/> meiner Nachahmung durch etwas ſtärkeres als durch meinen Wunſch<lb/> zu befeſtigen — weil die Geſchichte mit deiner faſt dominierenden<lb n="15"/> Neigung zur Menſchenkentnis in der nüzlichſten Harmonie zuſammen-<lb/> kömt und weil die Geſchichte unter <metamark>[</metamark>die<metamark>]</metamark> Wiſſenſchaften gehört, in der<lb/><metamark>[</metamark>!<metamark>]</metamark> die meiſten andern wie die meiſten Seelenkräfte <metamark>[?]</metamark> konvergieren.<lb/> Eher wolt’ ich ein Dentiſt werden als mich auf einen Erkentnis Zweig<lb/> ſezen, wo ich für alle andere Wiſſenſchaften dum und tod wäre. Zum<lb n="20"/> Glük hängt Satire <metamark>[?]</metamark> mit einigen Wiſſenſchaften von ferne zuſammen.</p><lb/> <p>Die chriſtlichen Sekten machten noch gröſſere Zwiſchenräume als<lb/> je die verſchiednen Latrien der Heiden thaten, die ja auch fremde Götter,<lb/> die nichts waren als die Schuzheiligen der Katholiken, zu ihren<lb/> machten. — Schwerlich wäre unter den zuſammen gezwungnen<lb n="25"/> erkaperten Ländern Alexanders, die weder Geſeze noch Jahre <metamark>[?]</metamark><lb/> ſondern Furcht ſeiner Gegenwart aneinander hielt, und die ſich nur<lb/> ſolange niederdukten als er den Zepter aufhob, irgend einem Kopf dieſe<lb/> Aequazion möglich geweſen. — Gröſte Jammer in der Geſchichte,<lb/> daß keiner wie das Vieh verglich ſondern lauter iſolierte Ideen nicht<lb n="30"/> ſowol hatte als ſpedierte. — Für hiſtoriſche Tropfen wie ich. — das<lb/> Schöne fortgeht und nirgend aufhört als im leeren Raum. — Die<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [344/0370]
darnach zuzuſchneiden — er kan nicht genug von hinten nach vorn ar-
beiten. — Die Schwierigkeit, wie drei ſo verſchiedene Menſchen Arten
— Römer, Barbaren und Chriſten — ſich koagulieren oder ſcheiden
werden — Oſzillieren des Wagbalkens, an deſſen einem Pol der
Staat und an deſſen anderm die Kirche hängt. *) — [Das] Reſultat 5
muß vor dem Beweiſe [ſtehen]. — Im Grund, wenn ich mich an den
Eindruk deiner Aequazions Geſchichte erinnere, beſonders daran, wie die
kleine Quelle einen zulezt mit 100 zuſammenrinnenden Bächen ergreift
und hinreiſſet und wie der Enthuſiaſmus gegen das Ende den Leſer ſo
gut wie den Verfaſſer hebt: ſo ſolt’ ich mich nicht zwingen, deinen 10
partheiiſchen Tadel zu meinem zu machen. Deine Abhandlung wird
wie ihr Geburts Jahrhundert gegen ihr Ende am fruchtbarſten und
neueſten. Ich wolte, ich wäre der gröſte lebende Hiſtoriker, um dich in
meiner Nachahmung durch etwas ſtärkeres als durch meinen Wunſch
zu befeſtigen — weil die Geſchichte mit deiner faſt dominierenden 15
Neigung zur Menſchenkentnis in der nüzlichſten Harmonie zuſammen-
kömt und weil die Geſchichte unter [die] Wiſſenſchaften gehört, in der
[!] die meiſten andern wie die meiſten Seelenkräfte [?] konvergieren.
Eher wolt’ ich ein Dentiſt werden als mich auf einen Erkentnis Zweig
ſezen, wo ich für alle andere Wiſſenſchaften dum und tod wäre. Zum 20
Glük hängt Satire [?] mit einigen Wiſſenſchaften von ferne zuſammen.
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Die chriſtlichen Sekten machten noch gröſſere Zwiſchenräume als
je die verſchiednen Latrien der Heiden thaten, die ja auch fremde Götter,
die nichts waren als die Schuzheiligen der Katholiken, zu ihren
machten. — Schwerlich wäre unter den zuſammen gezwungnen 25
erkaperten Ländern Alexanders, die weder Geſeze noch Jahre [?]
ſondern Furcht ſeiner Gegenwart aneinander hielt, und die ſich nur
ſolange niederdukten als er den Zepter aufhob, irgend einem Kopf dieſe
Aequazion möglich geweſen. — Gröſte Jammer in der Geſchichte,
daß keiner wie das Vieh verglich ſondern lauter iſolierte Ideen nicht 30
ſowol hatte als ſpedierte. — Für hiſtoriſche Tropfen wie ich. — das
Schöne fortgeht und nirgend aufhört als im leeren Raum. — Die
*) Du muſt das Medium, wodurch der Leſer die Hauptſache ſieht, verdünnen
und verkleinern: ſonſt lieferſt [du] ſtat eines Profils ein Knieſtük und jede Be-
ſtimmung zerfaſert ſich in Unterbeſtimmungen. Dieſe Kardinalregel Voltaires 35
„man muß nicht alles ſagen“ kent und achtet und verlezt niemand mehr als der, der
ihr zu Gefallen eine ſo lange Note gemacht.
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Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen). Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
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