Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956.

Bild:
<< vorherige Seite

darnach zuzuschneiden -- er kan nicht genug von hinten nach vorn ar-
beiten. -- Die Schwierigkeit, wie drei so verschiedene Menschen Arten
-- Römer, Barbaren und Christen -- sich koagulieren oder scheiden
werden -- Oßillieren des Wagbalkens, an dessen einem Pol der
[363]Staat und an dessen anderm die Kirche hängt.*) -- [Das] Resultat5
muß vor dem Beweise [stehen]. -- Im Grund, wenn ich mich an den
Eindruk deiner Aequazions Geschichte erinnere, besonders daran, wie die
kleine Quelle einen zulezt mit 100 zusammenrinnenden Bächen ergreift
und hinreisset und wie der Enthusiasmus gegen das Ende den Leser so
gut wie den Verfasser hebt: so solt' ich mich nicht zwingen, deinen10
partheiischen Tadel zu meinem zu machen. Deine Abhandlung wird
wie ihr Geburts Jahrhundert gegen ihr Ende am fruchtbarsten und
neuesten. Ich wolte, ich wäre der gröste lebende Historiker, um dich in
meiner Nachahmung durch etwas stärkeres als durch meinen Wunsch
zu befestigen -- weil die Geschichte mit deiner fast dominierenden15
Neigung zur Menschenkentnis in der nüzlichsten Harmonie zusammen-
kömt und weil die Geschichte unter [die] Wissenschaften gehört, in der
[!] die meisten andern wie die meisten Seelenkräfte [?] konvergieren.
Eher wolt' ich ein Dentist werden als mich auf einen Erkentnis Zweig
sezen, wo ich für alle andere Wissenschaften dum und tod wäre. Zum20
Glük hängt Satire [?] mit einigen Wissenschaften von ferne zusammen.

Die christlichen Sekten machten noch grössere Zwischenräume als
je die verschiednen Latrien der Heiden thaten, die ja auch fremde Götter,
die nichts waren als die Schuzheiligen der Katholiken, zu ihren
machten. -- Schwerlich wäre unter den zusammen gezwungnen25
erkaperten Ländern Alexanders, die weder Geseze noch Jahre [?]
sondern Furcht seiner Gegenwart aneinander hielt, und die sich nur
solange niederdukten als er den Zepter aufhob, irgend einem Kopf diese
Aequazion möglich gewesen. -- Gröste Jammer in der Geschichte,
daß keiner wie das Vieh verglich sondern lauter isolierte Ideen nicht30
sowol hatte als spedierte. -- Für historische Tropfen wie ich. -- das
Schöne fortgeht und nirgend aufhört als im leeren Raum. -- Die

*) Du must das Medium, wodurch der Leser die Hauptsache sieht, verdünnen
und verkleinern: sonst lieferst [du] stat eines Profils ein Kniestük und jede Be-
stimmung zerfasert sich in Unterbestimmungen. Diese Kardinalregel Voltaires35
"man muß nicht alles sagen" kent und achtet und verlezt niemand mehr als der, der
ihr zu Gefallen eine so lange Note gemacht.

darnach zuzuſchneiden — er kan nicht genug von hinten nach vorn ar-
beiten. — Die Schwierigkeit, wie drei ſo verſchiedene Menſchen Arten
— Römer, Barbaren und Chriſten — ſich koagulieren oder ſcheiden
werden — Oſzillieren des Wagbalkens, an deſſen einem Pol der
[363]Staat und an deſſen anderm die Kirche hängt.*)[Das] Reſultat5
muß vor dem Beweiſe [ſtehen]. — Im Grund, wenn ich mich an den
Eindruk deiner Aequazions Geſchichte erinnere, beſonders daran, wie die
kleine Quelle einen zulezt mit 100 zuſammenrinnenden Bächen ergreift
und hinreiſſet und wie der Enthuſiaſmus gegen das Ende den Leſer ſo
gut wie den Verfaſſer hebt: ſo ſolt’ ich mich nicht zwingen, deinen10
partheiiſchen Tadel zu meinem zu machen. Deine Abhandlung wird
wie ihr Geburts Jahrhundert gegen ihr Ende am fruchtbarſten und
neueſten. Ich wolte, ich wäre der gröſte lebende Hiſtoriker, um dich in
meiner Nachahmung durch etwas ſtärkeres als durch meinen Wunſch
zu befeſtigen — weil die Geſchichte mit deiner faſt dominierenden15
Neigung zur Menſchenkentnis in der nüzlichſten Harmonie zuſammen-
kömt und weil die Geſchichte unter [die] Wiſſenſchaften gehört, in der
[!] die meiſten andern wie die meiſten Seelenkräfte [?] konvergieren.
Eher wolt’ ich ein Dentiſt werden als mich auf einen Erkentnis Zweig
ſezen, wo ich für alle andere Wiſſenſchaften dum und tod wäre. Zum20
Glük hängt Satire [?] mit einigen Wiſſenſchaften von ferne zuſammen.

Die chriſtlichen Sekten machten noch gröſſere Zwiſchenräume als
je die verſchiednen Latrien der Heiden thaten, die ja auch fremde Götter,
die nichts waren als die Schuzheiligen der Katholiken, zu ihren
machten. — Schwerlich wäre unter den zuſammen gezwungnen25
erkaperten Ländern Alexanders, die weder Geſeze noch Jahre [?]
ſondern Furcht ſeiner Gegenwart aneinander hielt, und die ſich nur
ſolange niederdukten als er den Zepter aufhob, irgend einem Kopf dieſe
Aequazion möglich geweſen. — Gröſte Jammer in der Geſchichte,
daß keiner wie das Vieh verglich ſondern lauter iſolierte Ideen nicht30
ſowol hatte als ſpedierte. — Für hiſtoriſche Tropfen wie ich. — das
Schöne fortgeht und nirgend aufhört als im leeren Raum. — Die

*) Du muſt das Medium, wodurch der Leſer die Hauptſache ſieht, verdünnen
und verkleinern: ſonſt lieferſt [du] ſtat eines Profils ein Knieſtük und jede Be-
ſtimmung zerfaſert ſich in Unterbeſtimmungen. Dieſe Kardinalregel Voltaires35
„man muß nicht alles ſagen“ kent und achtet und verlezt niemand mehr als der, der
ihr zu Gefallen eine ſo lange Note gemacht.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <p><pb facs="#f0370" n="344"/>
darnach zuzu&#x017F;chneiden &#x2014; er kan nicht genug von hinten nach vorn ar-<lb/>
beiten. &#x2014; Die Schwierigkeit, wie drei &#x017F;o ver&#x017F;chiedene Men&#x017F;chen Arten<lb/>
&#x2014; Römer, Barbaren und Chri&#x017F;ten &#x2014; &#x017F;ich koagulieren oder &#x017F;cheiden<lb/>
werden &#x2014; O&#x017F;zillieren des Wagbalkens, an de&#x017F;&#x017F;en einem Pol der<lb/><note place="left"><ref target="1922_Bd#_363">[363]</ref></note>Staat und an de&#x017F;&#x017F;en anderm die Kirche hängt.<note place="foot" n="*)">Du mu&#x017F;t das Medium, wodurch der Le&#x017F;er die Haupt&#x017F;ache &#x017F;ieht, verdünnen<lb/>
und verkleinern: &#x017F;on&#x017F;t liefer&#x017F;t <metamark>[</metamark>du<metamark>]</metamark> &#x017F;tat eines Profils ein Knie&#x017F;tük und jede Be-<lb/>
&#x017F;timmung zerfa&#x017F;ert &#x017F;ich in Unterbe&#x017F;timmungen. Die&#x017F;e Kardinalregel Voltaires<lb n="35"/>
&#x201E;man muß nicht alles &#x017F;agen&#x201C; kent und achtet und verlezt niemand mehr als der, der<lb/>
ihr zu Gefallen eine &#x017F;o lange Note gemacht.</note> &#x2014; <metamark>[</metamark>Das<metamark>]</metamark> Re&#x017F;ultat<lb n="5"/>
muß <hi rendition="#g">vor</hi> dem Bewei&#x017F;e <metamark>[</metamark>&#x017F;tehen<metamark>]</metamark>. &#x2014; Im Grund, wenn ich mich an den<lb/>
Eindruk deiner Aequazions Ge&#x017F;chichte erinnere, be&#x017F;onders daran, wie die<lb/>
kleine Quelle einen zulezt mit 100 zu&#x017F;ammenrinnenden Bächen ergreift<lb/>
und hinrei&#x017F;&#x017F;et und wie der Enthu&#x017F;ia&#x017F;mus gegen das Ende den Le&#x017F;er &#x017F;o<lb/>
gut wie den Verfa&#x017F;&#x017F;er hebt: &#x017F;o &#x017F;olt&#x2019; ich mich nicht zwingen, deinen<lb n="10"/>
partheii&#x017F;chen Tadel zu meinem zu machen. Deine Abhandlung wird<lb/>
wie ihr Geburts Jahrhundert gegen ihr Ende am fruchtbar&#x017F;ten und<lb/>
neue&#x017F;ten. Ich wolte, ich wäre der grö&#x017F;te lebende Hi&#x017F;toriker, um dich in<lb/>
meiner Nachahmung durch etwas &#x017F;tärkeres als durch meinen Wun&#x017F;ch<lb/>
zu befe&#x017F;tigen &#x2014; weil die Ge&#x017F;chichte mit deiner fa&#x017F;t dominierenden<lb n="15"/>
Neigung zur Men&#x017F;chenkentnis in der nüzlich&#x017F;ten Harmonie zu&#x017F;ammen-<lb/>
kömt und weil die Ge&#x017F;chichte unter <metamark>[</metamark>die<metamark>]</metamark> Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften gehört, in der<lb/><metamark>[</metamark>!<metamark>]</metamark> die mei&#x017F;ten andern wie die mei&#x017F;ten Seelenkräfte <metamark>[?]</metamark> konvergieren.<lb/>
Eher wolt&#x2019; ich ein Denti&#x017F;t werden als mich auf einen Erkentnis Zweig<lb/>
&#x017F;ezen, wo ich für alle andere Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften dum und tod wäre. Zum<lb n="20"/>
Glük hängt Satire <metamark>[?]</metamark> mit einigen Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften von ferne zu&#x017F;ammen.</p><lb/>
        <p>Die chri&#x017F;tlichen Sekten machten noch grö&#x017F;&#x017F;ere Zwi&#x017F;chenräume als<lb/>
je die ver&#x017F;chiednen Latrien der Heiden thaten, die ja auch fremde Götter,<lb/>
die nichts waren als die Schuzheiligen der Katholiken, zu ihren<lb/>
machten. &#x2014; Schwerlich wäre unter den zu&#x017F;ammen gezwungnen<lb n="25"/>
erkaperten Ländern Alexanders, die weder Ge&#x017F;eze noch Jahre <metamark>[?]</metamark><lb/>
&#x017F;ondern Furcht &#x017F;einer Gegenwart aneinander hielt, und die &#x017F;ich nur<lb/>
&#x017F;olange niederdukten als er den Zepter aufhob, irgend einem Kopf die&#x017F;e<lb/>
Aequazion möglich gewe&#x017F;en. &#x2014; Grö&#x017F;te Jammer in der Ge&#x017F;chichte,<lb/>
daß keiner wie das Vieh verglich &#x017F;ondern lauter i&#x017F;olierte Ideen nicht<lb n="30"/>
&#x017F;owol hatte als &#x017F;pedierte. &#x2014; Für hi&#x017F;tori&#x017F;che Tropfen wie ich. &#x2014; das<lb/>
Schöne fortgeht und nirgend aufhört als im leeren Raum. &#x2014; Die<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[344/0370] darnach zuzuſchneiden — er kan nicht genug von hinten nach vorn ar- beiten. — Die Schwierigkeit, wie drei ſo verſchiedene Menſchen Arten — Römer, Barbaren und Chriſten — ſich koagulieren oder ſcheiden werden — Oſzillieren des Wagbalkens, an deſſen einem Pol der Staat und an deſſen anderm die Kirche hängt. *) — [Das] Reſultat 5 muß vor dem Beweiſe [ſtehen]. — Im Grund, wenn ich mich an den Eindruk deiner Aequazions Geſchichte erinnere, beſonders daran, wie die kleine Quelle einen zulezt mit 100 zuſammenrinnenden Bächen ergreift und hinreiſſet und wie der Enthuſiaſmus gegen das Ende den Leſer ſo gut wie den Verfaſſer hebt: ſo ſolt’ ich mich nicht zwingen, deinen 10 partheiiſchen Tadel zu meinem zu machen. Deine Abhandlung wird wie ihr Geburts Jahrhundert gegen ihr Ende am fruchtbarſten und neueſten. Ich wolte, ich wäre der gröſte lebende Hiſtoriker, um dich in meiner Nachahmung durch etwas ſtärkeres als durch meinen Wunſch zu befeſtigen — weil die Geſchichte mit deiner faſt dominierenden 15 Neigung zur Menſchenkentnis in der nüzlichſten Harmonie zuſammen- kömt und weil die Geſchichte unter [die] Wiſſenſchaften gehört, in der [!] die meiſten andern wie die meiſten Seelenkräfte [?] konvergieren. Eher wolt’ ich ein Dentiſt werden als mich auf einen Erkentnis Zweig ſezen, wo ich für alle andere Wiſſenſchaften dum und tod wäre. Zum 20 Glük hängt Satire [?] mit einigen Wiſſenſchaften von ferne zuſammen. [363] Die chriſtlichen Sekten machten noch gröſſere Zwiſchenräume als je die verſchiednen Latrien der Heiden thaten, die ja auch fremde Götter, die nichts waren als die Schuzheiligen der Katholiken, zu ihren machten. — Schwerlich wäre unter den zuſammen gezwungnen 25 erkaperten Ländern Alexanders, die weder Geſeze noch Jahre [?] ſondern Furcht ſeiner Gegenwart aneinander hielt, und die ſich nur ſolange niederdukten als er den Zepter aufhob, irgend einem Kopf dieſe Aequazion möglich geweſen. — Gröſte Jammer in der Geſchichte, daß keiner wie das Vieh verglich ſondern lauter iſolierte Ideen nicht 30 ſowol hatte als ſpedierte. — Für hiſtoriſche Tropfen wie ich. — das Schöne fortgeht und nirgend aufhört als im leeren Raum. — Die *) Du muſt das Medium, wodurch der Leſer die Hauptſache ſieht, verdünnen und verkleinern: ſonſt lieferſt [du] ſtat eines Profils ein Knieſtük und jede Be- ſtimmung zerfaſert ſich in Unterbeſtimmungen. Dieſe Kardinalregel Voltaires 35 „man muß nicht alles ſagen“ kent und achtet und verlezt niemand mehr als der, der ihr zu Gefallen eine ſo lange Note gemacht.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T14:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T14:52:17Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/370
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/370>, abgerufen am 26.11.2024.