In neueren Gesamtausgaben der Werke unserer Dichter geht man immer mehr dazu über, auch die Briefe einzubeziehen, sei es daß diese als besondere Abteilung den Werken angegliedert, oder daß sie bei chronologischer Anordnung periodenweise in die Werke eingefügt werden. Bei kaum einem Dichter erscheint diese Aufnahme so berechtigt, ja notwendig, wie bei Jean Paul. Schriftstellerei und Briefstellerei gingen bei ihm zeitlebens Hand in Hand, und es war kein bloßer Witz, wenn er des öfteren behauptete, Bücher seien nur dickere Briefe ans Publikum, Briefe nur dünnere Bücher für die Welt1). Es springt in die Augen, daß alle seine Briefe, mit ganz seltenen Ausnahmen, z. B. der an die Mutter, ja selbst die kürzesten und flüchtigsten Billette mit bewußter Kunst, mit literarischem Anspruch, mit "Anstrengung", wie er selber es auszudrücken pflegte, abgefaßt sind. Er fürchtete immer, sich zu verderben, wenn er sich beim Schreiben gehen ließe2). Namentlich in seiner Frühzeit hat er zuweilen auf Briefe, z. B. auf manche an den Pfarrer Vogel, soviel Mühe und Sorgfalt verwandt wie später kaum noch auf ein Werk3). Wie er in seinen Werken gelegentlich bestimmte Personen apostrophiert, so scheinen seine Briefe sich oft mehr an die Allgemeinheit als an den einzelnen Empfänger zu richten. Es ist denn auch vieles aus ihnen in mehr oder weniger veränderter Fassung in seine Werke übergegangen, worauf er selber wiederholt in Scherz und Ernst hingewiesen hat4). Da er mit beispielloser Zielbewußtheit sein
1) Vgl. I. Abt., V, 471, 24f., XI, 386,10; an Emanuel, 9. Febr. 1795.
2) Vgl. 327,23f. dieses Bandes.
3) An Chr. Otto, 28. Nov. 1797.
4) Vgl. z. B. 143,18--20 dieses Bandes; I. Abt., VII, 338,7--10.
Einleitung zur dritten Abteilung
In neueren Geſamtausgaben der Werke unſerer Dichter geht man immer mehr dazu über, auch die Briefe einzubeziehen, ſei es daß dieſe als beſondere Abteilung den Werken angegliedert, oder daß ſie bei chronologiſcher Anordnung periodenweiſe in die Werke eingefügt werden. Bei kaum einem Dichter erſcheint dieſe Aufnahme ſo berechtigt, ja notwendig, wie bei Jean Paul. Schriftſtellerei und Briefſtellerei gingen bei ihm zeitlebens Hand in Hand, und es war kein bloßer Witz, wenn er des öfteren behauptete, Bücher ſeien nur dickere Briefe ans Publikum, Briefe nur dünnere Bücher für die Welt1). Es ſpringt in die Augen, daß alle ſeine Briefe, mit ganz ſeltenen Ausnahmen, z. B. der an die Mutter, ja ſelbſt die kürzeſten und flüchtigſten Billette mit bewußter Kunſt, mit literariſchem Anſpruch, mit „Anſtrengung“, wie er ſelber es auszudrücken pflegte, abgefaßt ſind. Er fürchtete immer, ſich zu verderben, wenn er ſich beim Schreiben gehen ließe2). Namentlich in ſeiner Frühzeit hat er zuweilen auf Briefe, z. B. auf manche an den Pfarrer Vogel, ſoviel Mühe und Sorgfalt verwandt wie ſpäter kaum noch auf ein Werk3). Wie er in ſeinen Werken gelegentlich beſtimmte Perſonen apoſtrophiert, ſo ſcheinen ſeine Briefe ſich oft mehr an die Allgemeinheit als an den einzelnen Empfänger zu richten. Es iſt denn auch vieles aus ihnen in mehr oder weniger veränderter Faſſung in ſeine Werke übergegangen, worauf er ſelber wiederholt in Scherz und Ernſt hingewieſen hat4). Da er mit beiſpielloſer Zielbewußtheit ſein
1) Vgl. I. Abt., V, 471, 24f., XI, 386,10; an Emanuel, 9. Febr. 1795.
2) Vgl. 327,23f. dieſes Bandes.
3) An Chr. Otto, 28. Nov. 1797.
4) Vgl. z. B. 143,18—20 dieſes Bandes; I. Abt., VII, 338,7—10.
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[V/0004]
Einleitung zur dritten Abteilung
In neueren Geſamtausgaben der Werke unſerer Dichter geht man
immer mehr dazu über, auch die Briefe einzubeziehen, ſei es daß dieſe
als beſondere Abteilung den Werken angegliedert, oder daß ſie bei
chronologiſcher Anordnung periodenweiſe in die Werke eingefügt
werden. Bei kaum einem Dichter erſcheint dieſe Aufnahme ſo berechtigt,
ja notwendig, wie bei Jean Paul. Schriftſtellerei und Briefſtellerei
gingen bei ihm zeitlebens Hand in Hand, und es war kein bloßer Witz,
wenn er des öfteren behauptete, Bücher ſeien nur dickere Briefe ans
Publikum, Briefe nur dünnere Bücher für die Welt 1). Es ſpringt in die
Augen, daß alle ſeine Briefe, mit ganz ſeltenen Ausnahmen, z. B.
der an die Mutter, ja ſelbſt die kürzeſten und flüchtigſten Billette mit
bewußter Kunſt, mit literariſchem Anſpruch, mit „Anſtrengung“, wie er
ſelber es auszudrücken pflegte, abgefaßt ſind. Er fürchtete immer, ſich
zu verderben, wenn er ſich beim Schreiben gehen ließe 2). Namentlich
in ſeiner Frühzeit hat er zuweilen auf Briefe, z. B. auf manche an den
Pfarrer Vogel, ſoviel Mühe und Sorgfalt verwandt wie ſpäter kaum
noch auf ein Werk 3). Wie er in ſeinen Werken gelegentlich beſtimmte
Perſonen apoſtrophiert, ſo ſcheinen ſeine Briefe ſich oft mehr an die
Allgemeinheit als an den einzelnen Empfänger zu richten. Es iſt denn
auch vieles aus ihnen in mehr oder weniger veränderter Faſſung in
ſeine Werke übergegangen, worauf er ſelber wiederholt in Scherz und
Ernſt hingewieſen hat 4). Da er mit beiſpielloſer Zielbewußtheit ſein
1) Vgl. I. Abt., V, 471, 24f., XI, 386,10; an Emanuel, 9. Febr. 1795.
2) Vgl. 327,23f. dieſes Bandes.
3) An Chr. Otto, 28. Nov. 1797.
4) Vgl. z. B. 143,18—20 dieſes Bandes; I. Abt., VII, 338,7—10.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. V. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/4>, abgerufen am 21.11.2024.
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