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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956.

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Man muß an Individuen denken, wenn man schreibt, so wie man
der Frau anräth, ihr ungebornes Kind durch den Gedanken schöner
Menschen zu verschönern. Und da ich an drei Kritiker auf einmal denke,
worunter mein Otto und Forster gehören: so wird meine zweite
Biographie Ihrer Aufmunterung wenigstens in dem Grade würdig5
werden, den meine kleinen Kräfte suchen können.

Aber jezt geht es dem Gefühl beim Schreiben wie beim Spazieren-
gehen: der blaue Glanz über uns umzieht sich mit den Pulverwolken, in
denen man uns jezt die Göttin der Freiheit entzieht -- die bethauete und
die keimende Erde erinnert uns jezt nur daran, daß sie an Völkern, wie10
ein Vampyr liegt und Opferblut saugt -- und wir stehen in unsern
trüben Tagen an dem grossen Grabe, unter dem die im Sarg erwachte
Freiheit poltert und heraus wil und sich Wunden reisset.

-- Leben Sie ewig wol; und denken Sie -- schreiben Sie, hab'
ich nicht das Herz zu sagen -- an Ihren15

ewigen Verehrer und Freund
J. Paul Fried. Richter
[Adr.] S. Wohlgebohren des H. Hofrath Moriz in Berlin d. Einschlus.
[400]421. An Christian Otto.
20
1. Mache sinliche Gegenstände zu sinlich thätigen: z. B. stat:
"durch die Wüsten werden die Reiche verknüpft" -- Herder: die
Wüsten verknüpfen die Reiche. -- Ein Bild streicht das andre
aus. -- Die Statue eines grossen Mannes wirft in die fernsten
Jahrhunderte Funken.25
2. Ich unterstrich das Sinliche, das alzeit von Bewegung oder
Raum her ist. So sage nie "Zeit" sondern alzeit individueller: "Minute,
Säkulum, Jahr" -- nie "Ort", sondern "Land, Welttheil, Stadt." z. B.
das Licht überspringt Länder und Jahre (stat Zeiten und Oerter)
und fält in entfernte.30
3. Fält dir das rechte Verbum nicht ein: so ändere nur die Präpo-
sizion, die bei ihm ist, z. B. [stat]: "auf et[was] losgehen" nim an:
so wird dir einfallen: an et[was] andringen, losprallen, ansprengen.
-- Nim malende Präposizionen, d. h. stat durch, bei, ohne, wider,
nim: vor (mit Ackusativ), hinter, um, etc. -- Jedes Verbum lässet35

Man muß an Individuen denken, wenn man ſchreibt, ſo wie man
der Frau anräth, ihr ungebornes Kind durch den Gedanken ſchöner
Menſchen zu verſchönern. Und da ich an drei Kritiker auf einmal denke,
worunter mein Otto und Forſter gehören: ſo wird meine zweite
Biographie Ihrer Aufmunterung wenigſtens in dem Grade würdig5
werden, den meine kleinen Kräfte ſuchen können.

Aber jezt geht es dem Gefühl beim Schreiben wie beim Spazieren-
gehen: der blaue Glanz über uns umzieht ſich mit den Pulverwolken, in
denen man uns jezt die Göttin der Freiheit entzieht — die bethauete und
die keimende Erde erinnert uns jezt nur daran, daß ſie an Völkern, wie10
ein Vampyr liegt und Opferblut ſaugt — und wir ſtehen in unſern
trüben Tagen an dem groſſen Grabe, unter dem die im Sarg erwachte
Freiheit poltert und heraus wil und ſich Wunden reiſſet.

— Leben Sie ewig wol; und denken Sie — ſchreiben Sie, hab’
ich nicht das Herz zu ſagen — an Ihren15

ewigen Verehrer und Freund
J. Paul Fried. Richter
[Adr.] S. Wohlgebohren des H. Hofrath Moriz in Berlin d. Einſchlus.
[400]421. An Chriſtian Otto.
20
1. Mache ſinliche Gegenſtände zu ſinlich thätigen: z. B. ſtat:
„durch die Wüſten werden die Reiche verknüpft“ — Herder: die
Wüſten verknüpfen die Reiche. — Ein Bild ſtreicht das andre
aus. — Die Statue eines groſſen Mannes wirft in die fernſten
Jahrhunderte Funken.25
2. Ich unterſtrich das Sinliche, das alzeit von Bewegung oder
Raum her iſt. So ſage nie „Zeit“ ſondern alzeit individueller: „Minute,
Säkulum, Jahr“ — nie „Ort“, ſondern „Land, Welttheil, Stadt.“ z. B.
das Licht überſpringt Länder und Jahre (ſtat Zeiten und Oerter)
und fält in entfernte.30
3. Fält dir das rechte Verbum nicht ein: ſo ändere nur die Präpo-
ſizion, die bei ihm iſt, z. B. [ſtat]: „auf et[was] losgehen“ nim an:
ſo wird dir einfallen: an et[was] andringen, losprallen, anſprengen.
— Nim malende Präpoſizionen, d. h. ſtat durch, bei, ohne, wider,
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[380/0408] Man muß an Individuen denken, wenn man ſchreibt, ſo wie man der Frau anräth, ihr ungebornes Kind durch den Gedanken ſchöner Menſchen zu verſchönern. Und da ich an drei Kritiker auf einmal denke, worunter mein Otto und Forſter gehören: ſo wird meine zweite Biographie Ihrer Aufmunterung wenigſtens in dem Grade würdig 5 werden, den meine kleinen Kräfte ſuchen können. Aber jezt geht es dem Gefühl beim Schreiben wie beim Spazieren- gehen: der blaue Glanz über uns umzieht ſich mit den Pulverwolken, in denen man uns jezt die Göttin der Freiheit entzieht — die bethauete und die keimende Erde erinnert uns jezt nur daran, daß ſie an Völkern, wie 10 ein Vampyr liegt und Opferblut ſaugt — und wir ſtehen in unſern trüben Tagen an dem groſſen Grabe, unter dem die im Sarg erwachte Freiheit poltert und heraus wil und ſich Wunden reiſſet. — Leben Sie ewig wol; und denken Sie — ſchreiben Sie, hab’ ich nicht das Herz zu ſagen — an Ihren 15 ewigen Verehrer und Freund J. Paul Fried. Richter [Adr.] S. Wohlgebohren des H. Hofrath Moriz in Berlin d. Einſchlus. 421. An Chriſtian Otto. [Ende März 1793?] 20 1. Mache ſinliche Gegenſtände zu ſinlich thätigen: z. B. ſtat: „durch die Wüſten werden die Reiche verknüpft“ — Herder: die Wüſten verknüpfen die Reiche. — Ein Bild ſtreicht das andre aus. — Die Statue eines groſſen Mannes wirft in die fernſten Jahrhunderte Funken. 25 2. Ich unterſtrich das Sinliche, das alzeit von Bewegung oder Raum her iſt. So ſage nie „Zeit“ ſondern alzeit individueller: „Minute, Säkulum, Jahr“ — nie „Ort“, ſondern „Land, Welttheil, Stadt.“ z. B. das Licht überſpringt Länder und Jahre (ſtat Zeiten und Oerter) und fält in entfernte. 30 3. Fält dir das rechte Verbum nicht ein: ſo ändere nur die Präpo- ſizion, die bei ihm iſt, z. B. [ſtat]: „auf et[was] losgehen“ nim an: ſo wird dir einfallen: an et[was] andringen, losprallen, anſprengen. — Nim malende Präpoſizionen, d. h. ſtat durch, bei, ohne, wider, nim: vor (mit Ackuſativ), hinter, um, ꝛc. — Jedes Verbum läſſet 35

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T14:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T14:52:17Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/408>, abgerufen am 30.11.2024.