vereinigt, der als Philosoph, als Arzt, Aestetiker, und Gelerter gleich gros ist, und eben soviel Tugend als Weisheit, eben soviel Empfind- samkeit als Tiefsin [besizt], dieser Man ist nicht nur dem Neide iedes schlechten Kopfs, sondern der Verfolgung mächtiger Dumköpfe und der heimlichen Verläumdung ausgesezt. Er hat schon viel Streitig-5 keiten gehabt; und noch mer Feinde sich zugezogen. Er wurde einmal vor's Konsistorium zu Dresden gefordert, um sich wegen der Be- schuldigung des Materialismus zu verantworten. Wenn man ihm etwas weniger schuld geben kan, so ist's dieses; er ist der erklärteste Feind des Materialismus; man mus seine Aphorismen nicht gelesen,10 oder nicht verstanden haben, um es nicht zu wissen. Doch es war ein Konsistorium; und dieses hat recht, mit mer Ere dum, und mit mer Heiligkeit boshaft zu sein, als andre Menschen. Er verteidigte [sich]: er siegte über die, mit welchen zu streiten er für Schande hielt. Kaufen Sie sich seine philosophischen [Aphorismen]. Sie treffen in diesen die15 Leib[nizsche] Philosophie im kernichtsten Auszug, und eine Menge philosophischer und ... Bemerkungen in gedrängter Schreibart an. Weiter unten werd' ich mer von Platner reden. -- Die Nachricht, die ich Ihnen von der Heterodoxie [und] Or[todoxie] in Leipzig geben sol, wird ser kurz ausfallen. Fast alle Studenten neigen sich auf die Seite20 der Heterodoxie. Man sagt's one Scheu öffentlich, daß die Erbsünde, [32]Höllenfart Christi Schimären sind. Wenn es nicht so ganz viele Hetero- doxe unter den Studenten giebt, so giebt's desto mer Gleichgültige gegen die Religion, Naturalisten und auch Atheisten: vermutlich des- wegen, weil man dieses mit weniger Mühe, mit weniger Kentnis der25 Sp[rachen?] sein kan als ienes. Die meisten sind nicht mer ortodox; aber wenige sind Sozinianer im eigentlichen Sin des Worts. Ich habe selbst bei einem Magister, der zugleich Prediger ist, gehört, welcher unaufhörlich [auf] das System, auf die mystische Deutungsart der Bibel, auf die Alle[gorie]sucht, auf die Anhäng[lichkeit] an alte un-30 ware Beweise, und auf die Unbekantschaft mit dem Hebräischen in der Erklärung des N. T. u. s. w. loszog. Allein demungeachtet darf der P[rofessor] nicht frei eine Glaubensl[ere] leugnen; er mus blos von der Schwierigkeit derselben reden, und die Entscheidung über ihren Wert seinen Zuhörern überlassen. Der gröste Feler, den die Freiheit des35 Denkens in Sachsen findet, ist, daß die Grossen, die A[dligen] noch nicht aufgeklärt sind. In Sachsen wird iedes freie Buch konfißirt.
vereinigt, der als Philoſoph, als Arzt, Aeſtetiker, und Gelerter gleich gros iſt, und eben ſoviel Tugend als Weisheit, eben ſoviel Empfind- ſamkeit als Tiefſin [beſizt], dieſer Man iſt nicht nur dem Neide iedes ſchlechten Kopfs, ſondern der Verfolgung mächtiger Dumköpfe und der heimlichen Verläumdung ausgeſezt. Er hat ſchon viel Streitig-5 keiten gehabt; und noch mer Feinde ſich zugezogen. Er wurde einmal vor’s Konſiſtorium zu Dresden gefordert, um ſich wegen der Be- ſchuldigung des Materialiſmus zu verantworten. Wenn man ihm etwas weniger ſchuld geben kan, ſo iſt’s dieſes; er iſt der erklärteſte Feind des Materialiſmus; man mus ſeine Aphoriſmen nicht geleſen,10 oder nicht verſtanden haben, um es nicht zu wiſſen. Doch es war ein Konſiſtorium; und dieſes hat recht, mit mer Ere dum, und mit mer Heiligkeit boshaft zu ſein, als andre Menſchen. Er verteidigte [ſich]: er ſiegte über die, mit welchen zu ſtreiten er für Schande hielt. Kaufen Sie ſich ſeine philoſophiſchen [Aphoriſmen]. Sie treffen in dieſen die15 Leib[nizſche] Philoſophie im kernichtſten Auszug, und eine Menge philoſophiſcher und … Bemerkungen in gedrängter Schreibart an. Weiter unten werd’ ich mer von Platner reden. — Die Nachricht, die ich Ihnen von der Heterodoxie [und] Or[todoxie] in Leipzig geben ſol, wird ſer kurz ausfallen. Faſt alle Studenten neigen ſich auf die Seite20 der Heterodoxie. Man ſagt’s one Scheu öffentlich, daß die Erbſünde, [32]Höllenfart Chriſti Schimären ſind. Wenn es nicht ſo ganz viele Hetero- doxe unter den Studenten giebt, ſo giebt’s deſto mer Gleichgültige gegen die Religion, Naturaliſten und auch Atheiſten: vermutlich des- wegen, weil man dieſes mit weniger Mühe, mit weniger Kentnis der25 Sp[rachen?] ſein kan als ienes. Die meiſten ſind nicht mer ortodox; aber wenige ſind Sozinianer im eigentlichen Sin des Worts. Ich habe ſelbſt bei einem Magiſter, der zugleich Prediger iſt, gehört, welcher unaufhörlich [auf] das Syſtem, auf die myſtiſche Deutungsart der Bibel, auf die Alle[gorie]ſucht, auf die Anhäng[lichkeit] an alte un-30 ware Beweiſe, und auf die Unbekantſchaft mit dem Hebräiſchen in der Erklärung des N. T. u. ſ. w. loszog. Allein demungeachtet darf der P[rofeſſor] nicht frei eine Glaubensl[ere] leugnen; er mus blos von der Schwierigkeit derſelben reden, und die Entſcheidung über ihren Wert ſeinen Zuhörern überlaſſen. Der gröſte Feler, den die Freiheit des35 Denkens in Sachſen findet, iſt, daß die Groſſen, die A[dligen] noch nicht aufgeklärt ſind. In Sachſen wird iedes freie Buch konfiſzirt.
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ſchlechten Kopfs, ſondern der Verfolgung mächtiger Dumköpfe und
der heimlichen Verläumdung ausgeſezt. Er hat ſchon viel Streitig- 5
keiten gehabt; und noch mer Feinde ſich zugezogen. Er wurde einmal
vor’s Konſiſtorium zu Dresden gefordert, um ſich wegen der Be-
ſchuldigung des Materialiſmus zu verantworten. Wenn man ihm
etwas weniger ſchuld geben kan, ſo iſt’s dieſes; er iſt der erklärteſte
Feind des Materialiſmus; man mus ſeine Aphoriſmen nicht geleſen, 10
oder nicht verſtanden haben, um es nicht zu wiſſen. Doch es war ein
Konſiſtorium; und dieſes hat recht, mit mer Ere dum, und mit mer
Heiligkeit boshaft zu ſein, als andre Menſchen. Er verteidigte [ſich]:
er ſiegte über die, mit welchen zu ſtreiten er für Schande hielt. Kaufen
Sie ſich ſeine philoſophiſchen [Aphoriſmen]. Sie treffen in dieſen die 15
Leib[nizſche] Philoſophie im kernichtſten Auszug, und eine Menge
philoſophiſcher und … Bemerkungen in gedrängter Schreibart an.
Weiter unten werd’ ich mer von Platner reden. — Die Nachricht, die
ich Ihnen von der Heterodoxie [und] Or[todoxie] in Leipzig geben ſol,
wird ſer kurz ausfallen. Faſt alle Studenten neigen ſich auf die Seite 20
der Heterodoxie. Man ſagt’s one Scheu öffentlich, daß die Erbſünde,
Höllenfart Chriſti Schimären ſind. Wenn es nicht ſo ganz viele Hetero-
doxe unter den Studenten giebt, ſo giebt’s deſto mer Gleichgültige
gegen die Religion, Naturaliſten und auch Atheiſten: vermutlich des-
wegen, weil man dieſes mit weniger Mühe, mit weniger Kentnis der 25
Sp[rachen?] ſein kan als ienes. Die meiſten ſind nicht mer ortodox; aber
wenige ſind Sozinianer im eigentlichen Sin des Worts. Ich habe
ſelbſt bei einem Magiſter, der zugleich Prediger iſt, gehört, welcher
unaufhörlich [auf] das Syſtem, auf die myſtiſche Deutungsart der
Bibel, auf die Alle[gorie]ſucht, auf die Anhäng[lichkeit] an alte un- 30
ware Beweiſe, und auf die Unbekantſchaft mit dem Hebräiſchen in
der Erklärung des N. T. u. ſ. w. loszog. Allein demungeachtet darf der
P[rofeſſor] nicht frei eine Glaubensl[ere] leugnen; er mus blos von der
Schwierigkeit derſelben reden, und die Entſcheidung über ihren Wert
ſeinen Zuhörern überlaſſen. Der gröſte Feler, den die Freiheit des 35
Denkens in Sachſen findet, iſt, daß die Groſſen, die A[dligen] noch
nicht aufgeklärt ſind. In Sachſen wird iedes freie Buch konfiſzirt.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/53>, abgerufen am 23.11.2024.
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