zweite Bändgen, an dem ich iezt arbeite, sol bis auf Ostern, vielleicht vor, vielleicht nach der Messe fertig werden. Dieses Bändgen wird, wie ich hoffe, das erste wenigstens dadurch übertreffen, daß ich mich der Laune und dem Wize mit mererer Schonung des Geschmaks über- lasse, die Gleichnisse weniger häufe und mer auswäle. Ich arbeite5 daran wie an den gedrukten Skizzen, nicht länger als 6 Monate. Wer in kurzer Zeit nichts Gutes liefert, liefert es niemals; die Feile erzieht, aber erzeugt nicht Schönheiten, und Shandy hat Recht, dem Augen- blikke des Empfängnisses eines Kindes mer Wichtigkeit als iedem andern Zeitpunkte seines Lebens zuzuschreiben. -- Nicht blos der10 Dichter, sondern auch sein Gedicht wird geboren und nicht gemacht. -- Unter den Bedingungen, die ich in meinem ersten Briefe zu erwänen verschob, verstand ich die: mir nämlich 6 Exemplare auf gutem Papier für meine Freunde ausbitten zu dürfen. Eines hat mir schon Herr Schirach, bis auf wenige Bogen geschikt. Vielleicht hätt' ich das15 schon längst sagen sollen; vielleicht ists auch iezt nicht zu spät. Den Umstand ungerechnet, daß das Büchelgen fast 20 Bogen stark ge- worden, mus mich auch meine iugendliche Unerfarenheit in diesen Geschäften, die sich in ieder Zeile verrät, vielleicht entschuldigen. In Hofnung, daß Sie iene Bitte nicht blos gewären, sondern auch20 vergeben, hab' etc.
33. An Pfarrer Vogel in Rehau.
Hocherwürdiger und Hochgelerter Herr, Hochzuvererender Herr Pfarrer,
Aller Anfang ist schwer. Mir wird es wenigstens der Anfang eines25 Briefs, zu dessen Anfüllung sich hundert Materien anbieten, bei denen[59] die Auswal so schwer und die Unordnung und Weitläuftigkeit so un- vermeidlich ist. Vergeben Sie mir also meine Langweiligkeit, noch eh' Sie sie empfinden.
Sie vermuteten vielleicht, daß ich in einem Stilschweigen beharren30 würde, das nur durch seine Dauer unverzeihlich wird; und daß ich un- fähig sein würde, diesen Feler zu verbessern, weil ich fähig war, ihn zu begehen. Diese Ihre Vermutung mag meine härteste Strafe sein; um aber einer noch härtern auszuweichen, verbessere ich ienen Feler, indem ich ihn zu -- entschuldigen suche.35
zweite Bändgen, an dem ich iezt arbeite, ſol bis auf Oſtern, vielleicht vor, vielleicht nach der Meſſe fertig werden. Dieſes Bändgen wird, wie ich hoffe, das erſte wenigſtens dadurch übertreffen, daß ich mich der Laune und dem Wize mit mererer Schonung des Geſchmaks über- laſſe, die Gleichniſſe weniger häufe und mer auswäle. Ich arbeite5 daran wie an den gedrukten Skizzen, nicht länger als 6 Monate. Wer in kurzer Zeit nichts Gutes liefert, liefert es niemals; die Feile erzieht, aber erzeugt nicht Schönheiten, und Shandy hat Recht, dem Augen- blikke des Empfängniſſes eines Kindes mer Wichtigkeit als iedem andern Zeitpunkte ſeines Lebens zuzuſchreiben. — Nicht blos der10 Dichter, ſondern auch ſein Gedicht wird geboren und nicht gemacht. — Unter den Bedingungen, die ich in meinem erſten Briefe zu erwänen verſchob, verſtand ich die: mir nämlich 6 Exemplare auf gutem Papier für meine Freunde ausbitten zu dürfen. Eines hat mir ſchon Herr Schirach, bis auf wenige Bogen geſchikt. Vielleicht hätt’ ich das15 ſchon längſt ſagen ſollen; vielleicht iſts auch iezt nicht zu ſpät. Den Umſtand ungerechnet, daß das Büchelgen faſt 20 Bogen ſtark ge- worden, mus mich auch meine iugendliche Unerfarenheit in dieſen Geſchäften, die ſich in ieder Zeile verrät, vielleicht entſchuldigen. In Hofnung, daß Sie iene Bitte nicht blos gewären, ſondern auch20 vergeben, hab’ ꝛc.
33. An Pfarrer Vogel in Rehau.
Hocherwürdiger und Hochgelerter Herr, Hochzuvererender Herr Pfarrer,
Aller Anfang iſt ſchwer. Mir wird es wenigſtens der Anfang eines25 Briefs, zu deſſen Anfüllung ſich hundert Materien anbieten, bei denen[59] die Auswal ſo ſchwer und die Unordnung und Weitläuftigkeit ſo un- vermeidlich iſt. Vergeben Sie mir alſo meine Langweiligkeit, noch eh’ Sie ſie empfinden.
Sie vermuteten vielleicht, daß ich in einem Stilſchweigen beharren30 würde, das nur durch ſeine Dauer unverzeihlich wird; und daß ich un- fähig ſein würde, dieſen Feler zu verbeſſern, weil ich fähig war, ihn zu begehen. Dieſe Ihre Vermutung mag meine härteſte Strafe ſein; um aber einer noch härtern auszuweichen, verbeſſere ich ienen Feler, indem ich ihn zu — entſchuldigen ſuche.35
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zweite Bändgen, an dem ich iezt arbeite, ſol bis auf Oſtern, vielleicht
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wie ich hoffe, das erſte wenigſtens dadurch übertreffen, daß ich mich
der Laune und dem Wize mit mererer Schonung des Geſchmaks über-
laſſe, die Gleichniſſe weniger häufe und mer auswäle. Ich arbeite 5
daran wie an den gedrukten Skizzen, nicht länger als 6 Monate. Wer
in kurzer Zeit nichts Gutes liefert, liefert es niemals; die Feile erzieht,
aber erzeugt nicht Schönheiten, und Shandy hat Recht, dem Augen-
blikke des Empfängniſſes eines Kindes mer Wichtigkeit als iedem
andern Zeitpunkte ſeines Lebens zuzuſchreiben. — Nicht blos der 10
Dichter, ſondern auch ſein Gedicht wird geboren und nicht gemacht. —
Unter den Bedingungen, die ich in meinem erſten Briefe zu erwänen
verſchob, verſtand ich die: mir nämlich 6 Exemplare auf gutem Papier
für meine Freunde ausbitten zu dürfen. Eines hat mir ſchon Herr
Schirach, bis auf wenige Bogen geſchikt. Vielleicht hätt’ ich das 15
ſchon längſt ſagen ſollen; vielleicht iſts auch iezt nicht zu ſpät. Den
Umſtand ungerechnet, daß das Büchelgen faſt 20 Bogen ſtark ge-
worden, mus mich auch meine iugendliche Unerfarenheit in dieſen
Geſchäften, die ſich in ieder Zeile verrät, vielleicht entſchuldigen. In
Hofnung, daß Sie iene Bitte nicht blos gewären, ſondern auch 20
vergeben, hab’ ꝛc.
33. An Pfarrer Vogel in Rehau.
Hocherwürdiger und Hochgelerter Herr,
Hochzuvererender Herr Pfarrer,
Aller Anfang iſt ſchwer. Mir wird es wenigſtens der Anfang eines 25
Briefs, zu deſſen Anfüllung ſich hundert Materien anbieten, bei denen
die Auswal ſo ſchwer und die Unordnung und Weitläuftigkeit ſo un-
vermeidlich iſt. Vergeben Sie mir alſo meine Langweiligkeit, noch eh’
Sie ſie empfinden.
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Sie vermuteten vielleicht, daß ich in einem Stilſchweigen beharren 30
würde, das nur durch ſeine Dauer unverzeihlich wird; und daß ich un-
fähig ſein würde, dieſen Feler zu verbeſſern, weil ich fähig war, ihn
zu begehen. Dieſe Ihre Vermutung mag meine härteſte Strafe ſein;
um aber einer noch härtern auszuweichen, verbeſſere ich ienen Feler,
indem ich ihn zu — entſchuldigen ſuche. 35
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/76>, abgerufen am 27.11.2024.
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