Übrigens liegt wenig daran, ob mein Junge am geschwinden Schlagflusse oder an der langsamen Schwindsucht stirbt und zu seinen Brüdern versamlet wird d. h. ob das Buch mit zehn oder zwanzig Felern vergessen wird. Denn vergessen wird es doch einmal.
D. h. verdolmetschet, Folio- und Duodezbände stossen im Kramladen endlich auf einander und geben für den Pfeffer zugespizte Pyramiden ab, so wie im Gegenteil die ägyptischen Könige in Pyramiden be- graben wurden. Gegen den Tod ist kein Kraut gewachsen, vielleicht10 auch der Lorber nicht.
Gegen den Nuzen der eignen Kritik läst sich immer genug ein- wenden. Die Feile -- wer hält nicht vor dem widrigen Knarren dieses Instruments seine Oren zu? -- die Feile erzieht, aber erzeugt nicht Schönheiten, und Shandy hat Recht, dem Augenblikke des Emp-15 fängnisses eines Kindes mer Wichtigkeit als iedem andern Zeitpunkt seines Lebens zuzuschreiben. Nicht blos der Dichter, auch sein Gedicht wird geboren und nicht gemacht. Jupiter zeugte die Götter, allein die nichtgötlichen Wesen machte er nur; diese waren das Werk seiner Hände, iene seiner Lenden und Minerva gar das Werk seines20 Kopfs. Übrigens gleicht das Genie dem Amor; es ist geflügelt, aber[63] blind; und wenn's hoch kömt, so fült es, wie die Polypen, das kritische Licht, aber sieht es nicht. Es kan wie Könige nur Reiche erobern, aber nicht regieren. Oder sol es das leztere? Nun so hätte auch Alexander alle die Selenkräfte eines Weltbezwingers in die Beherschung25 bäotischer [!] Mazedonier einzäunen müssen. Allein dan hätt' er auch die halbe alte Welt nicht erobert und keine neue verlangt. Die Kritik macht die Anzal der Feler zwar kleiner, aber auch die der Schönheiten; denn die Zeit, in der das Genie verbessert, verkürzt die, in der es schaffen könte, und das zu langgesäugte Kind raubt dem Embryon die30 Narung. -- Und was wäre endlich törichter, als wenn Pygmalion seinen Meissel auf die weiche Brust seiner atmenden Statue sezte, um die zu grosse Brustwarze zu der Kleinheit zuzuspizen, die Winkel- man im ersten Teile seiner Geschichte der Kunst, als den ersten Reiz eines schönen Busen den Künstlern angepriesen! Nein, der entzükte Schöpfer35 wird, stat einer so kalten Kritik zu frönen, sich an die schlagende Brust seines Geschöpfs anschmiegen und über die Liebe die Kunst vergessen.
Übrigens liegt wenig daran, ob mein Junge am geſchwinden Schlagfluſſe oder an der langſamen Schwindſucht ſtirbt und zu ſeinen Brüdern verſamlet wird d. h. ob das Buch mit zehn oder zwanzig Felern vergeſſen wird. Denn vergeſſen wird es doch einmal.
D. h. verdolmetſchet, Folio- und Duodezbände ſtoſſen im Kramladen endlich auf einander und geben für den Pfeffer zugeſpizte Pyramiden ab, ſo wie im Gegenteil die ägyptiſchen Könige in Pyramiden be- graben wurden. Gegen den Tod iſt kein Kraut gewachſen, vielleicht10 auch der Lorber nicht.
Gegen den Nuzen der eignen Kritik läſt ſich immer genug ein- wenden. Die Feile — wer hält nicht vor dem widrigen Knarren dieſes Inſtruments ſeine Oren zu? — die Feile erzieht, aber erzeugt nicht Schönheiten, und Shandy hat Recht, dem Augenblikke des Emp-15 fängniſſes eines Kindes mer Wichtigkeit als iedem andern Zeitpunkt ſeines Lebens zuzuſchreiben. Nicht blos der Dichter, auch ſein Gedicht wird geboren und nicht gemacht. Jupiter zeugte die Götter, allein die nichtgötlichen Weſen machte er nur; dieſe waren das Werk ſeiner Hände, iene ſeiner Lenden und Minerva gar das Werk ſeines20 Kopfs. Übrigens gleicht das Genie dem Amor; es iſt geflügelt, aber[63] blind; und wenn’s hoch kömt, ſo fült es, wie die Polypen, das kritiſche Licht, aber ſieht es nicht. Es kan wie Könige nur Reiche erobern, aber nicht regieren. Oder ſol es das leztere? Nun ſo hätte auch Alexander alle die Selenkräfte eines Weltbezwingers in die Beherſchung25 bäotiſcher [!] Mazedonier einzäunen müſſen. Allein dan hätt’ er auch die halbe alte Welt nicht erobert und keine neue verlangt. Die Kritik macht die Anzal der Feler zwar kleiner, aber auch die der Schönheiten; denn die Zeit, in der das Genie verbeſſert, verkürzt die, in der es ſchaffen könte, und das zu langgeſäugte Kind raubt dem Embryon die30 Narung. — Und was wäre endlich törichter, als wenn Pygmalion ſeinen Meiſſel auf die weiche Bruſt ſeiner atmenden Statue ſezte, um die zu groſſe Bruſtwarze zu der Kleinheit zuzuſpizen, die Winkel- man im erſten Teile ſeiner Geſchichte der Kunſt, als den erſten Reiz eines ſchönen Buſen den Künſtlern angeprieſen! Nein, der entzükte Schöpfer35 wird, ſtat einer ſo kalten Kritik zu frönen, ſich an die ſchlagende Bruſt ſeines Geſchöpfs anſchmiegen und über die Liebe die Kunſt vergeſſen.
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Übrigens liegt wenig daran, ob mein Junge am geſchwinden
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Brüdern verſamlet wird d. h. ob das Buch mit zehn oder zwanzig
Felern vergeſſen wird. Denn vergeſſen wird es doch einmal.
Pallida mors aequo pulsat pede pauperum tabernas 5
Regumque turres.
D. h. verdolmetſchet, Folio- und Duodezbände ſtoſſen im Kramladen
endlich auf einander und geben für den Pfeffer zugeſpizte Pyramiden
ab, ſo wie im Gegenteil die ägyptiſchen Könige in Pyramiden be-
graben wurden. Gegen den Tod iſt kein Kraut gewachſen, vielleicht 10
auch der Lorber nicht.
Gegen den Nuzen der eignen Kritik läſt ſich immer genug ein-
wenden. Die Feile — wer hält nicht vor dem widrigen Knarren dieſes
Inſtruments ſeine Oren zu? — die Feile erzieht, aber erzeugt nicht
Schönheiten, und Shandy hat Recht, dem Augenblikke des Emp- 15
fängniſſes eines Kindes mer Wichtigkeit als iedem andern Zeitpunkt
ſeines Lebens zuzuſchreiben. Nicht blos der Dichter, auch ſein Gedicht
wird geboren und nicht gemacht. Jupiter zeugte die Götter, allein
die nichtgötlichen Weſen machte er nur; dieſe waren das Werk
ſeiner Hände, iene ſeiner Lenden und Minerva gar das Werk ſeines 20
Kopfs. Übrigens gleicht das Genie dem Amor; es iſt geflügelt, aber
blind; und wenn’s hoch kömt, ſo fült es, wie die Polypen, das kritiſche
Licht, aber ſieht es nicht. Es kan wie Könige nur Reiche erobern, aber
nicht regieren. Oder ſol es das leztere? Nun ſo hätte auch Alexander
alle die Selenkräfte eines Weltbezwingers in die Beherſchung 25
bäotiſcher [!] Mazedonier einzäunen müſſen. Allein dan hätt’ er auch
die halbe alte Welt nicht erobert und keine neue verlangt. Die Kritik
macht die Anzal der Feler zwar kleiner, aber auch die der Schönheiten;
denn die Zeit, in der das Genie verbeſſert, verkürzt die, in der es
ſchaffen könte, und das zu langgeſäugte Kind raubt dem Embryon die 30
Narung. — Und was wäre endlich törichter, als wenn Pygmalion
ſeinen Meiſſel auf die weiche Bruſt ſeiner atmenden Statue ſezte,
um die zu groſſe Bruſtwarze zu der Kleinheit zuzuſpizen, die Winkel-
man im erſten Teile ſeiner Geſchichte der Kunſt, als den erſten Reiz eines
ſchönen Buſen den Künſtlern angeprieſen! Nein, der entzükte Schöpfer 35
wird, ſtat einer ſo kalten Kritik zu frönen, ſich an die ſchlagende Bruſt
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
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Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/80>, abgerufen am 27.11.2024.
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