unmöglich schikken; ich brauche es selbst. -- Ihnen ists nicht recht, daß ich spashafte Bücher schreibe; und Sie schreiben doch spashafte Briefe;[69] über das Ende Ihres lezten muste ich lachen. -- Schikken Sie durch den Boten diesen Brief an meinen Freund Doppelmaier, der in 5. Wochen Schwarzenbach verlassen wird. Ich bin5
Ihr gehors. Son Richter
38. An Dr.Doppelmaier in Schwarzenbach.
[Konzept, am Schluß Kopie][Leipzig, 14. April 1783]10
Sie gaben Ihrem Briefe keine Aufschrift; dadurch erteilen Sie mir das Recht, den meinigen mit dieser zu zieren -- Sie nennen mich keinen Hochgeerten Hern; darum nenne ich Sie meinen Freund und schreibe Ihnen in einem andern Tone als dem Ton der Höflich- keit, die gleich den Schlangen zwar geschmeidig aber eben so kalt ist.15 Doch eh' ich weiter geh', mus ich einen Argwon heben, zu welchem Sie die Schreibart meiner Briefe vielleicht berechtigen könte. Meine Schriftstellerei hat meine Gedanken meine Sprache einmal an Wendungen gewönt, deren Gezwungenheit sich mit Wärme des Herzens wenig zu vertragen so ser zu streiten scheint. Antitesen und20 Gleichnisse sind nun in meinem Gehirn eingewurzelt, daß sie selbst meinen Träumen anhängen, selbst die Sprache meines Herzens mit Gallizismen verunstalten. -- Wenn ich daher nicht so warm schreibe als ich füle, wenn die Ergiessungen des Herzens auf ihrem Wege durch den Kopf an Wärme verlieren, so wissen [Sie] meine Ursache. Warum25 felt mir doch die simple Natursprache des einzigen, guten, teuren [?] Rousseau, um Ihnen zu sagen, daß Sie mein Herz ganz haben, daß Ihre Antwort meine Hofnung übertroffen, daß ich gewis überzeugt bin, wenn Sie -- O ihr neuen, empfindlichen Gekken der Deutschen, die ihr mit dem Mädgen weint, um mit ihm zu huren, und mit dem Freunde,30 um in etlichen Minuten zu zanken, warum raubt ihr andern, deren Herz Empfindungen nicht nachäffet aber fült, durch die Torheit [?] den Mut, eine gemisgebrauchte [!] Sprache zu reden. Mein Freund, man hat der erkünstelten Tränen soviel vergossen, daß man sich der waren schämt, und die Empfindsamkeit scheint in Gefüllosigkeit aus-35 zuarten überzugehen.
unmöglich ſchikken; ich brauche es ſelbſt. — Ihnen iſts nicht recht, daß ich ſpashafte Bücher ſchreibe; und Sie ſchreiben doch ſpashafte Briefe;[69] über das Ende Ihres lezten muſte ich lachen. — Schikken Sie durch den Boten dieſen Brief an meinen Freund Doppelmaier, der in 5. Wochen Schwarzenbach verlaſſen wird. Ich bin5
Ihr gehorſ. Son Richter
38. An Dr.Doppelmaier in Schwarzenbach.
[Konzept, am Schluß Kopie][Leipzig, 14. April 1783]10
Sie gaben Ihrem Briefe keine Aufſchrift; dadurch erteilen Sie mir das Recht, den meinigen mit dieſer zu zieren — Sie nennen mich keinen Hochgeerten Hern; darum nenne ich Sie meinen Freund und ſchreibe Ihnen in einem andern Tone als dem Ton der Höflich- keit, die gleich den Schlangen zwar geſchmeidig aber eben ſo kalt iſt.15 Doch eh’ ich weiter geh’, mus ich einen Argwon heben, zu welchem Sie die Schreibart meiner Briefe vielleicht berechtigen könte. Meine Schriftſtellerei hat meine Gedanken 〈meine Sprache〉 einmal an Wendungen gewönt, deren Gezwungenheit ſich mit Wärme des Herzens wenig zu vertragen 〈ſo ſer zu ſtreiten〉 ſcheint. Antiteſen und20 Gleichniſſe ſind nun in meinem Gehirn eingewurzelt, daß ſie ſelbſt meinen Träumen anhängen, ſelbſt die Sprache meines Herzens mit Gallizismen verunſtalten. — Wenn ich daher nicht ſo warm ſchreibe als ich füle, wenn die Ergieſſungen des Herzens auf ihrem Wege durch den Kopf an Wärme verlieren, ſo wiſſen [Sie] meine Urſache. Warum25 felt mir doch die ſimple Naturſprache des einzigen, guten, teuren [?] Rouſſeau, um Ihnen zu ſagen, daß Sie mein Herz ganz haben, daß Ihre Antwort meine Hofnung übertroffen, daß ich gewis überzeugt bin, wenn Sie — O ihr neuen, empfindlichen Gekken der Deutſchen, die ihr mit dem Mädgen weint, um mit ihm zu huren, und mit dem Freunde,30 um in etlichen Minuten zu zanken, warum raubt ihr andern, deren Herz Empfindungen nicht nachäffet aber fült, durch die Torheit [?] den Mut, eine gemisgebrauchte [!] Sprache zu reden. Mein Freund, man hat der erkünſtelten Tränen ſoviel vergoſſen, daß man ſich der waren ſchämt, und die Empfindſamkeit ſcheint in Gefülloſigkeit aus-35 zuarten 〈überzugehen〉.
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unmöglich ſchikken; ich brauche es ſelbſt. — Ihnen iſts nicht recht, daß
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über das Ende Ihres lezten muſte ich lachen. — Schikken Sie durch
den Boten dieſen Brief an meinen Freund Doppelmaier, der in
5. Wochen Schwarzenbach verlaſſen wird. Ich bin 5
[69]Ihr
gehorſ. Son
Richter
38. An Dr. Doppelmaier in Schwarzenbach.
[Leipzig, 14. April 1783] 10
Sie gaben Ihrem Briefe keine Aufſchrift; dadurch erteilen Sie mir
das Recht, den meinigen mit dieſer zu zieren — Sie nennen mich
keinen Hochgeerten Hern; darum nenne ich Sie meinen Freund und
ſchreibe Ihnen in einem andern Tone als dem Ton der Höflich-
keit, die gleich den Schlangen zwar geſchmeidig aber eben ſo kalt iſt. 15
Doch eh’ ich weiter geh’, mus ich einen Argwon heben, zu welchem
Sie die Schreibart meiner Briefe vielleicht berechtigen könte. Meine
Schriftſtellerei hat meine Gedanken 〈meine Sprache〉 einmal an
Wendungen gewönt, deren Gezwungenheit ſich mit Wärme des
Herzens wenig zu vertragen 〈ſo ſer zu ſtreiten〉 ſcheint. Antiteſen und 20
Gleichniſſe ſind nun in meinem Gehirn eingewurzelt, daß ſie ſelbſt
meinen Träumen anhängen, ſelbſt die Sprache meines Herzens mit
Gallizismen verunſtalten. — Wenn ich daher nicht ſo warm ſchreibe als
ich füle, wenn die Ergieſſungen des Herzens auf ihrem Wege durch den
Kopf an Wärme verlieren, ſo wiſſen [Sie] meine Urſache. Warum 25
felt mir doch die ſimple Naturſprache des einzigen, guten, teuren [?]
Rouſſeau, um Ihnen zu ſagen, daß Sie mein Herz ganz haben, daß
Ihre Antwort meine Hofnung übertroffen, daß ich gewis überzeugt
bin, wenn Sie — O ihr neuen, empfindlichen Gekken der Deutſchen, die
ihr mit dem Mädgen weint, um mit ihm zu huren, und mit dem Freunde, 30
um in etlichen Minuten zu zanken, warum raubt ihr andern, deren
Herz Empfindungen nicht nachäffet aber fült, durch die Torheit [?]
den Mut, eine gemisgebrauchte [!] Sprache zu reden. Mein Freund,
man hat der erkünſtelten Tränen ſoviel vergoſſen, daß man ſich der
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/86>, abgerufen am 27.11.2024.
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