Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958.176. An Christian Otto. [Hof] d. 9 Okt 95.Ich wil, Lieber, ohne langes Präfarieren, erstlich gleich von den Deine Gewissenhaftigkeit hätte schon mit einem blossen Stil- Auf der 3ten Seite scheinst du mir den "sitlichen Zwek" in doppelter *) Ehe du darüber schriebest, hatt' ich gar nicht nachgedacht; und da du die Untersuchung volendet und mir ersparet hast: so wars leicht, noch etwas dazu zu sezen. **) In dieser liegt noch dazu eine Subrepzion: denn es ist ja nicht die Frage:35
"wem unter mehrern Kompetenten" sondern "warum irgend einem etwas "gehöre als Eigenthum." 176. An Chriſtian Otto. [Hof] d. 9 Okt 95.Ich wil, Lieber, ohne langes Präfarieren, erſtlich gleich von den Deine Gewiſſenhaftigkeit hätte ſchon mit einem bloſſen Stil- Auf der 3ten Seite ſcheinſt du mir den „ſitlichen Zwek“ in doppelter *) Ehe du darüber ſchriebeſt, hatt’ ich gar nicht nachgedacht; und da du die Unterſuchung volendet und mir erſparet haſt: ſo wars leicht, noch etwas dazu zu ſezen. **) In dieſer liegt noch dazu eine Subrepzion: denn es iſt ja nicht die Frage:35
„wem unter mehrern Kompetenten“ ſondern „warum irgend einem etwas „gehöre als Eigenthum.“ <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0127" n="116"/> <div type="letter" n="1"> <head>176. An <hi rendition="#g">Chriſtian Otto.</hi></head><lb/> <dateline> <hi rendition="#right">[Hof] d. 9 Okt 95.</hi> </dateline><lb/> <p>Ich wil, Lieber, ohne langes Präfarieren, erſtlich gleich von den<lb/> Realien reden und dan von den Verbalien. — Wir ſind beinahe über<lb/> alles einig, beſonders darüber worin du es mit dem gedrukten Autor<lb n="5"/> nicht biſt, und man wundert ſich, wie ein ſo entſchiedener Scharfſin ſo<lb/> ſehr der Berichtigung eines ähnlichen bedarf.</p><lb/> <p>Deine Gewiſſenhaftigkeit hätte ſchon mit einem bloſſen Stil-<lb/> ſchweigen <note place="foot" n="*)">Ehe du darüber ſchriebeſt, hatt’ ich gar nicht nachgedacht; und da du die<lb/> Unterſuchung volendet und mir erſparet haſt: ſo wars leicht, noch etwas dazu zu<lb/> ſezen.</note> abgefunden werden können, zumal da ich ja ſelber das von<lb/> der [?] Neigung aus dem Plato-Jakobi habe und da du mein kleines<lb n="10"/> welkes Samenkorn zu einer vollen Aehre erzogen haſt. Deine Aus-<lb/> einanderſezung hat mich recht ſehr gefreuet und ich erſehe daraus, daß<lb/><note place="left"><ref target="1922_Bd2_112">[112]</ref></note>ich gar Recht habe. — Noch ein Wort für den Atheiſten ſolteſt du bei-<lb/> fügen, weils doch unter den Natur-Juriſten einen geben kan. Da das<lb/> Formen — d. h. der Arbeitslohn, — und die Priorität <note place="foot" n="**)">In dieſer liegt noch dazu eine Subrepzion: denn es iſt ja nicht die Frage:<lb n="35"/> „wem unter mehrern Kompetenten“ ſondern „warum irgend einem etwas<lb/> „gehöre als Eigenthum.“</note> des Funds —<lb n="15"/> nur ein anderer Name für zufälliges Recht des Stärkeren 〈Glük-<lb/> lichern〉 — keinen Titel zum Beſizen giebt; und da der Atheiſt unſere<lb/> Genus-Triebe, gleichſam die Anweiſungen und Anwartſchaften auf<lb/> die Schöpfung, nicht als ſolche 〈die leztere〉 anerkennen kan, — da er<lb/> nicht ſo wie ich glauben darf, daß ſogar das Thier, inſofern ihm der<lb n="20"/> Schöpfer einen Hunger gegeben, ein Recht auf das vorſtehende Futter<lb/> habe, (ohne alle Rükſicht auf geiſtige oder ſitliche Entfaltung): ſo weis<lb/> ich dem armen Gott-loſen Narren nicht zu helfen. Seine Gier mus ohne<lb/> weiteres ſein Recht bleiben, und da das ein Widerſpruch <hi rendition="#aq">in adjecto</hi> iſt,<lb/> ſo bringt er gar keines heraus.<lb n="25"/> </p> <p>Auf der 3<hi rendition="#sup">ten</hi> Seite ſcheinſt du mir den „ſitlichen Zwek“ in doppelter<lb/> Bedeutung alternierend zu nehmen: erſtlich als einen anderweitigen<lb/> (phyſiſchen ꝛc.) Zwek, der nur nicht <hi rendition="#g">unſitlich</hi> iſt; und als einen, der<lb/> die Moral nicht zur <hi rendition="#g">Bedingung</hi> 〈Einſchränkung〉, ſondern zum<lb/><hi rendition="#g">Zwecke</hi> hat. Aber die erſtere Bedeutung ſchiene mir die richtigere.<lb n="30"/> Man ſolte den Gerichtsbezirk des Gewiſſens mehr ins Negative ſezen:<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [116/0127]
176. An Chriſtian Otto.
[Hof] d. 9 Okt 95.
Ich wil, Lieber, ohne langes Präfarieren, erſtlich gleich von den
Realien reden und dan von den Verbalien. — Wir ſind beinahe über
alles einig, beſonders darüber worin du es mit dem gedrukten Autor 5
nicht biſt, und man wundert ſich, wie ein ſo entſchiedener Scharfſin ſo
ſehr der Berichtigung eines ähnlichen bedarf.
Deine Gewiſſenhaftigkeit hätte ſchon mit einem bloſſen Stil-
ſchweigen *) abgefunden werden können, zumal da ich ja ſelber das von
der [?] Neigung aus dem Plato-Jakobi habe und da du mein kleines 10
welkes Samenkorn zu einer vollen Aehre erzogen haſt. Deine Aus-
einanderſezung hat mich recht ſehr gefreuet und ich erſehe daraus, daß
ich gar Recht habe. — Noch ein Wort für den Atheiſten ſolteſt du bei-
fügen, weils doch unter den Natur-Juriſten einen geben kan. Da das
Formen — d. h. der Arbeitslohn, — und die Priorität **) des Funds — 15
nur ein anderer Name für zufälliges Recht des Stärkeren 〈Glük-
lichern〉 — keinen Titel zum Beſizen giebt; und da der Atheiſt unſere
Genus-Triebe, gleichſam die Anweiſungen und Anwartſchaften auf
die Schöpfung, nicht als ſolche 〈die leztere〉 anerkennen kan, — da er
nicht ſo wie ich glauben darf, daß ſogar das Thier, inſofern ihm der 20
Schöpfer einen Hunger gegeben, ein Recht auf das vorſtehende Futter
habe, (ohne alle Rükſicht auf geiſtige oder ſitliche Entfaltung): ſo weis
ich dem armen Gott-loſen Narren nicht zu helfen. Seine Gier mus ohne
weiteres ſein Recht bleiben, und da das ein Widerſpruch in adjecto iſt,
ſo bringt er gar keines heraus. 25
[112]Auf der 3ten Seite ſcheinſt du mir den „ſitlichen Zwek“ in doppelter
Bedeutung alternierend zu nehmen: erſtlich als einen anderweitigen
(phyſiſchen ꝛc.) Zwek, der nur nicht unſitlich iſt; und als einen, der
die Moral nicht zur Bedingung 〈Einſchränkung〉, ſondern zum
Zwecke hat. Aber die erſtere Bedeutung ſchiene mir die richtigere. 30
Man ſolte den Gerichtsbezirk des Gewiſſens mehr ins Negative ſezen:
*) Ehe du darüber ſchriebeſt, hatt’ ich gar nicht nachgedacht; und da du die
Unterſuchung volendet und mir erſparet haſt: ſo wars leicht, noch etwas dazu zu
ſezen.
**) In dieſer liegt noch dazu eine Subrepzion: denn es iſt ja nicht die Frage: 35
„wem unter mehrern Kompetenten“ ſondern „warum irgend einem etwas
„gehöre als Eigenthum.“
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Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen). Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
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