Ihr Brief brachte mir ein verjüngtes Rosenthal von Leipzig mit 20 Lustgängen für die Phantasie nach Hof. Nach einem solchen Brief solte man sich umwenden und den V[erfasser], der hinter dem Rücken5 steht und über die Achsel zusieht, umarmen und recht von Herzen an das Herz drücken können. Wir sind alle in so alternierenden Stimmungen beisammen -- der eine ist heute warm, der andre morgen und der dritte übermorgen gegen Abend und selten begegnen sich die besten Menschen gerade in gleicher Wärme und in gleicher Kälte -- und das Uebel ist so10 gros, daß ich oft das als ein gutes Mittel dagegen gehalten habe, wenn die Leute kaum zu einander sprächen sondern nur schrieben und wenn sich eine Geselschaft guter Freunde an einen Tisch zusammensezte und so mit einander bei so schneller Post Briefe wechselte von den äussersten Enden des Tisches. Ihr Brief vol wärmenden Lichts und vol leuchtender15 Wärme beweiset mir, daß Sie in der ellyptischen Kometenbahn der langen menschlichen Bildung das Aphelium schon zurükgelegt und nun im Perihelium sich sanft erwärmen, das sich bei dem Menschen mit dem schönen Fal in die Sonne selbst beschliesset. -- Die Liebe mus etwas Körperliches haben wie einen Zweig, auf den sie herunterfliegt.20 Schicken Sie mir den Zweig, Ihre Silhouette. Meine wil ich Ihnen auf meinem eignen Halse getragen bringen. -- Über die Weiber heg' ich nicht blos eine sondern 2 recht vernünftige Meinungen, die ich aber, weil sie sich widersprechen, in verschiednen Zeiten annehme -- bald sez' ich litteras laureatas für sie auf, bald Klaglibelle. Sie haben andre25 Tugenden als wir und in der Liebe leihen wir ihnen unsre dazu: das ist der Fehler. Ich glaube, [daß] jeder Man von Phantasie beinah jedes Mädgen -- nur das dumme nicht -- heirathen könne ohne Schaden: [140]das mänliche Feuer zerschmilzt diese schön gewundne Wachsmasse und dan kan er daraus formen was er wil, sogar einen Engel. Der fremden30 Phantasie widersteht keine Frau; und ein Halbgot von Man kan, wenn er nur reden kan, eine Halbgöttin erschaffen. Aber der Former mus selbst geformt sein: die edelsten Menschen schieben oft ihr moralisches Arondissement auf ihre Ehe auf; aber sie solten umgekehrt diese auf jenes verschieben. Wenn der Man sich nicht ganz in Richtig[keit] ge-35 bracht: so zerstört er den zarten Werth der besten Gattin am ersten. -- Ich habe nicht mehr Zähne als Jahre und jezt heirathen die neuesten
220. An Friedrich von Oertel in Leipzig.
[Kopie][Hof, 9. Jan. 1796]
Ihr Brief brachte mir ein verjüngtes Roſenthal von Leipzig mit 20 Luſtgängen für die Phantaſie nach Hof. Nach einem ſolchen Brief ſolte man ſich umwenden und den V[erfaſſer], der hinter dem Rücken5 ſteht und über die Achſel zuſieht, umarmen und recht von Herzen an das Herz drücken können. Wir ſind alle in ſo alternierenden Stimmungen beiſammen — der eine iſt heute warm, der andre morgen und der dritte übermorgen gegen Abend und ſelten begegnen ſich die beſten Menſchen gerade in gleicher Wärme und in gleicher Kälte — und das Uebel iſt ſo10 gros, daß ich oft das als ein gutes Mittel dagegen gehalten habe, wenn die Leute kaum zu einander ſprächen ſondern nur ſchrieben und wenn ſich eine Geſelſchaft guter Freunde an einen Tiſch zuſammenſezte und ſo mit einander bei ſo ſchneller Poſt Briefe wechſelte von den äuſſerſten Enden des Tiſches. Ihr Brief vol wärmenden Lichts und vol leuchtender15 Wärme beweiſet mir, daß Sie in der ellyptiſchen Kometenbahn der langen menſchlichen Bildung das Aphelium ſchon zurükgelegt und nun im Perihelium ſich ſanft erwärmen, das ſich bei dem Menſchen mit dem ſchönen Fal in die Sonne ſelbſt beſchlieſſet. — Die Liebe mus etwas Körperliches haben wie einen Zweig, auf den ſie herunterfliegt.20 Schicken Sie mir den Zweig, Ihre Silhouette. Meine wil ich Ihnen auf meinem eignen Halſe getragen bringen. — Über die Weiber heg’ ich nicht blos eine ſondern 2 recht vernünftige Meinungen, die ich aber, weil ſie ſich widerſprechen, in verſchiednen Zeiten annehme — bald ſez’ ich litteras laureatas für ſie auf, bald Klaglibelle. Sie haben andre25 Tugenden als wir und in der Liebe leihen wir ihnen unſre dazu: das iſt der Fehler. Ich glaube, [daß] jeder Man von Phantaſie beinah jedes Mädgen — nur das dumme nicht — heirathen könne ohne Schaden: [140]das mänliche Feuer zerſchmilzt dieſe ſchön gewundne Wachsmaſſe und dan kan er daraus formen was er wil, ſogar einen Engel. Der fremden30 Phantaſie widerſteht keine Frau; und ein Halbgot von Man kan, wenn er nur reden kan, eine Halbgöttin erſchaffen. Aber der Former mus ſelbſt geformt ſein: die edelſten Menſchen ſchieben oft ihr moraliſches Arondiſſement auf ihre Ehe auf; aber ſie ſolten umgekehrt dieſe auf jenes verſchieben. Wenn der Man ſich nicht ganz in Richtig[keit] ge-35 bracht: ſo zerſtört er den zarten Werth der beſten Gattin am erſten. — Ich habe nicht mehr Zähne als Jahre und jezt heirathen die neueſten
<TEI><text><body><pbfacs="#f0153"n="142"/><divtype="letter"n="1"><head>220. An <hirendition="#g">Friedrich von Oertel in Leipzig.</hi></head><lb/><notetype="editorial">[Kopie]</note><dateline><hirendition="#right">[Hof, 9. Jan. 1796]</hi></dateline><lb/><p>Ihr Brief brachte mir ein verjüngtes Roſenthal von Leipzig mit<lb/>
20 Luſtgängen für die Phantaſie nach Hof. Nach einem ſolchen Brief<lb/>ſolte man ſich umwenden und den V[erfaſſer], der hinter dem Rücken<lbn="5"/>ſteht und über die Achſel zuſieht, umarmen und recht von Herzen an das<lb/>
Herz drücken können. Wir ſind alle in ſo alternierenden Stimmungen<lb/>
beiſammen — der eine iſt heute warm, der andre morgen und der dritte<lb/>
übermorgen gegen Abend und ſelten begegnen ſich die beſten Menſchen<lb/>
gerade in gleicher Wärme und in gleicher Kälte — und das Uebel iſt ſo<lbn="10"/>
gros, daß ich oft das als ein gutes Mittel dagegen gehalten habe, wenn<lb/>
die Leute kaum zu einander ſprächen ſondern nur ſchrieben und wenn<lb/>ſich eine Geſelſchaft guter Freunde an einen Tiſch zuſammenſezte und<lb/>ſo mit einander bei ſo ſchneller Poſt Briefe wechſelte von den äuſſerſten<lb/>
Enden des Tiſches. Ihr Brief vol wärmenden Lichts und vol leuchtender<lbn="15"/>
Wärme beweiſet mir, daß Sie in der ellyptiſchen Kometenbahn der<lb/>
langen menſchlichen Bildung das Aphelium ſchon zurükgelegt und nun<lb/>
im Perihelium ſich ſanft erwärmen, das ſich bei dem Menſchen mit dem<lb/>ſchönen Fal in die Sonne ſelbſt beſchlieſſet. — Die Liebe mus etwas<lb/>
Körperliches haben wie einen Zweig, auf den ſie herunterfliegt.<lbn="20"/>
Schicken Sie mir den Zweig, Ihre Silhouette. Meine wil ich Ihnen<lb/>
auf meinem eignen Halſe getragen bringen. — Über die Weiber heg’<lb/>
ich nicht blos eine ſondern 2 recht vernünftige Meinungen, die ich aber,<lb/>
weil ſie ſich widerſprechen, in verſchiednen Zeiten annehme — bald<lb/>ſez’ ich <hirendition="#aq">litteras laureatas</hi> für ſie auf, bald Klaglibelle. Sie haben andre<lbn="25"/>
Tugenden als wir und in der Liebe leihen wir ihnen unſre dazu: das iſt<lb/>
der Fehler. Ich glaube, [daß] jeder Man von Phantaſie beinah jedes<lb/>
Mädgen — nur das dumme nicht — heirathen könne ohne Schaden:<lb/><noteplace="left"><reftarget="1922_Bd2_140">[140]</ref></note>das mänliche Feuer zerſchmilzt dieſe ſchön gewundne Wachsmaſſe und<lb/>
dan kan er daraus formen was er wil, ſogar einen Engel. Der fremden<lbn="30"/>
Phantaſie widerſteht keine Frau; und ein Halbgot von Man kan, wenn<lb/>
er nur reden kan, eine Halbgöttin erſchaffen. Aber der Former mus<lb/>ſelbſt geformt ſein: die edelſten Menſchen ſchieben oft ihr moraliſches<lb/>
Arondiſſement auf ihre Ehe auf; aber ſie ſolten umgekehrt dieſe auf<lb/>
jenes verſchieben. Wenn der Man ſich nicht ganz in Richtig[keit] ge-<lbn="35"/>
bracht: ſo zerſtört er den zarten Werth der beſten Gattin am erſten. —<lb/>
Ich habe nicht mehr Zähne als Jahre und jezt heirathen die neueſten<lb/></p></div></body></text></TEI>
[142/0153]
220. An Friedrich von Oertel in Leipzig.
[Hof, 9. Jan. 1796]
Ihr Brief brachte mir ein verjüngtes Roſenthal von Leipzig mit
20 Luſtgängen für die Phantaſie nach Hof. Nach einem ſolchen Brief
ſolte man ſich umwenden und den V[erfaſſer], der hinter dem Rücken 5
ſteht und über die Achſel zuſieht, umarmen und recht von Herzen an das
Herz drücken können. Wir ſind alle in ſo alternierenden Stimmungen
beiſammen — der eine iſt heute warm, der andre morgen und der dritte
übermorgen gegen Abend und ſelten begegnen ſich die beſten Menſchen
gerade in gleicher Wärme und in gleicher Kälte — und das Uebel iſt ſo 10
gros, daß ich oft das als ein gutes Mittel dagegen gehalten habe, wenn
die Leute kaum zu einander ſprächen ſondern nur ſchrieben und wenn
ſich eine Geſelſchaft guter Freunde an einen Tiſch zuſammenſezte und
ſo mit einander bei ſo ſchneller Poſt Briefe wechſelte von den äuſſerſten
Enden des Tiſches. Ihr Brief vol wärmenden Lichts und vol leuchtender 15
Wärme beweiſet mir, daß Sie in der ellyptiſchen Kometenbahn der
langen menſchlichen Bildung das Aphelium ſchon zurükgelegt und nun
im Perihelium ſich ſanft erwärmen, das ſich bei dem Menſchen mit dem
ſchönen Fal in die Sonne ſelbſt beſchlieſſet. — Die Liebe mus etwas
Körperliches haben wie einen Zweig, auf den ſie herunterfliegt. 20
Schicken Sie mir den Zweig, Ihre Silhouette. Meine wil ich Ihnen
auf meinem eignen Halſe getragen bringen. — Über die Weiber heg’
ich nicht blos eine ſondern 2 recht vernünftige Meinungen, die ich aber,
weil ſie ſich widerſprechen, in verſchiednen Zeiten annehme — bald
ſez’ ich litteras laureatas für ſie auf, bald Klaglibelle. Sie haben andre 25
Tugenden als wir und in der Liebe leihen wir ihnen unſre dazu: das iſt
der Fehler. Ich glaube, [daß] jeder Man von Phantaſie beinah jedes
Mädgen — nur das dumme nicht — heirathen könne ohne Schaden:
das mänliche Feuer zerſchmilzt dieſe ſchön gewundne Wachsmaſſe und
dan kan er daraus formen was er wil, ſogar einen Engel. Der fremden 30
Phantaſie widerſteht keine Frau; und ein Halbgot von Man kan, wenn
er nur reden kan, eine Halbgöttin erſchaffen. Aber der Former mus
ſelbſt geformt ſein: die edelſten Menſchen ſchieben oft ihr moraliſches
Arondiſſement auf ihre Ehe auf; aber ſie ſolten umgekehrt dieſe auf
jenes verſchieben. Wenn der Man ſich nicht ganz in Richtig[keit] ge- 35
bracht: ſo zerſtört er den zarten Werth der beſten Gattin am erſten. —
Ich habe nicht mehr Zähne als Jahre und jezt heirathen die neueſten
[140]
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/153>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.