Ich wil nur bleiben den Mitwoch: also komm' ich gewis Don- nerstags Nachmittag in Münchberg an. Ich kan mich dasmal vom Schreibtisch kaum wegreissen. Eben hab ich einen Brief von Amöne erhalten, der für mich eine volblühende Staude ist, an die ich, indes5 ein warmer Südwind darin blättert, den Kopf anlehne. Sie gab mir zugleich die Erlaubnis, ihre an Emanuel zu lesen. Meine Antwort an sie hab ich an meine Mutter eingeschlagen. Nim nur meine lustigen Hommelschen Plappereien nicht übel: ich habe hier nicht eine Viertel- stunde Zeit, sonderlich vernünftig zu sein. Gestern sties ich auf den Aus-10 kultant Feez; der Man sieht nicht mehr kränklich aus, sondern wie aus gefrorner Milch bossiert, die an sich selber, zerlaufen, niedertröpfelt. Das Auskultieren nimt ihn mit, er wird wenig mitnehmen. -- Jezt wil ich an die Amöne schreiben, um nur einmal von dir wegzukommen. Meinen Grus an deine gute gute Schwester und an meinen geliebten15 Albrecht. In euere Stube sol immer fort die Sonne scheinen und Gras- mücken sollen aussen schlagen und der Luftzug sol vorher über blühende Obstgärten gehen und es sol euch allen recht wol gehen. Ich weis, ich sehe nach einem Vierteljahr Abwesenheit von euerem Bunde aus wie[145] der Auskultant, vor lauter unaussprechlicher Sehnsucht -- Und so leb20 wol, Guter!
Richter
224. An Amöne Herold.
Bayreuth 24 Jenn. 1796 [Sonntag].
Freundin,
Ich fange vielleicht, ohne wieder einzutunken, den Brief an Sie25 mit dem Tropfen Dinte an, womit ich den heitern an Otto beschlos. Ihrer überraschte und erquikte mich so wie die blühenden Nelken, vor denen ich in Bernek einathmend vorübergieng. Im Winter, Amöne, schmiegen sich diese duftenden Kinder der Frühlings Wärme, erstlich wie Epheu an die Brust und dan gar ans Herz. So oft ich diese30 Stelle des Ihrigen sehe -- zumal im Hintergrund von 12 Stunden -- so steigt in mir über die nahe Vergangenheit glänzend die Ferne herauf und ich vergesse, um mich zu erinnern. Wenn wir nur ein Jahr aus- einander geworfen wären: so würden alle kleine Flecken verlöschen, wir würden in Briefen nur den bessern Theil unsers Wirs im Fluge sehen35 und -- ich würde mich unendlich nach Ihnen sehnen.
10*
Sontags.
Ich wil nur bleiben den Mitwoch: alſo komm’ ich gewis Don- nerſtags Nachmittag in Münchberg an. Ich kan mich dasmal vom Schreibtiſch kaum wegreiſſen. Eben hab ich einen Brief von Amöne erhalten, der für mich eine volblühende Staude iſt, an die ich, indes5 ein warmer Südwind darin blättert, den Kopf anlehne. Sie gab mir zugleich die Erlaubnis, ihre an Emanuel zu leſen. Meine Antwort an ſie hab ich an meine Mutter eingeſchlagen. Nim nur meine luſtigen Hommelſchen Plappereien nicht übel: ich habe hier nicht eine Viertel- ſtunde Zeit, ſonderlich vernünftig zu ſein. Geſtern ſties ich auf den Auſ-10 kultant Feez; der Man ſieht nicht mehr kränklich aus, ſondern wie aus gefrorner Milch boſſiert, die an ſich ſelber, zerlaufen, niedertröpfelt. Das Auſkultieren nimt ihn mit, er wird wenig mitnehmen. — Jezt wil ich an die Amöne ſchreiben, um nur einmal von dir wegzukommen. Meinen Grus an deine gute gute Schweſter und an meinen geliebten15 Albrecht. In euere Stube ſol immer fort die Sonne ſcheinen und Gras- mücken ſollen auſſen ſchlagen und der Luftzug ſol vorher über blühende Obſtgärten gehen und es ſol euch allen recht wol gehen. Ich weis, ich ſehe nach einem Vierteljahr Abweſenheit von euerem Bunde aus wie[145] der Auſkultant, vor lauter unausſprechlicher Sehnſucht — Und ſo leb20 wol, Guter!
Richter
224. An Amöne Herold.
Bayreuth 24 Jenn. 1796 [Sonntag].
Freundin,
Ich fange vielleicht, ohne wieder einzutunken, den Brief an Sie25 mit dem Tropfen Dinte an, womit ich den heitern an Otto beſchlos. Ihrer überraſchte und erquikte mich ſo wie die blühenden Nelken, vor denen ich in Bernek einathmend vorübergieng. Im Winter, Amöne, ſchmiegen ſich dieſe duftenden Kinder der Frühlings Wärme, erſtlich wie Epheu an die Bruſt und dan gar ans Herz. So oft ich dieſe30 Stelle des Ihrigen ſehe — zumal im Hintergrund von 12 Stunden — ſo ſteigt in mir über die nahe Vergangenheit glänzend die Ferne herauf und ich vergeſſe, um mich zu erinnern. Wenn wir nur ein Jahr aus- einander geworfen wären: ſo würden alle kleine Flecken verlöſchen, wir würden in Briefen nur den beſſern Theil unſers Wirs im Fluge ſehen35 und — ich würde mich unendlich nach Ihnen ſehnen.
10*
<TEI><text><body><divtype="letter"n="1"><pbfacs="#f0158"n="147"/><divn="2"><dateline><hirendition="#right"><hirendition="#g">Sontags.</hi></hi></dateline><lb/><p>Ich wil nur bleiben den Mitwoch: <hirendition="#g">alſo komm’ ich gewis Don-<lb/>
nerſtags Nachmittag</hi> in Münchberg an. Ich kan mich dasmal vom<lb/>
Schreibtiſch kaum wegreiſſen. Eben hab ich einen Brief von Amöne<lb/>
erhalten, der für mich eine volblühende Staude iſt, an die ich, indes<lbn="5"/>
ein warmer Südwind darin blättert, den Kopf anlehne. Sie gab mir<lb/>
zugleich die Erlaubnis, ihre an <hirendition="#aq">Emanuel</hi> zu leſen. Meine Antwort an<lb/>ſie hab ich an meine Mutter eingeſchlagen. Nim nur meine luſtigen<lb/>
Hommelſchen Plappereien nicht übel: ich habe hier nicht eine Viertel-<lb/>ſtunde Zeit, ſonderlich vernünftig zu ſein. Geſtern ſties ich auf den Auſ-<lbn="10"/>
kultant Feez; der Man ſieht nicht mehr kränklich aus, ſondern wie aus<lb/>
gefrorner Milch boſſiert, die an ſich ſelber, zerlaufen, niedertröpfelt.<lb/>
Das Auſkultieren nimt ihn mit, er wird wenig mitnehmen. — Jezt<lb/>
wil ich an die Amöne ſchreiben, um nur einmal von dir wegzukommen.<lb/>
Meinen Grus an deine gute gute Schweſter und an meinen geliebten<lbn="15"/>
Albrecht. In euere Stube ſol immer fort die Sonne ſcheinen und Gras-<lb/>
mücken ſollen auſſen ſchlagen und der Luftzug ſol vorher über blühende<lb/>
Obſtgärten gehen und es ſol euch allen recht wol gehen. Ich weis, ich<lb/>ſehe nach einem Vierteljahr Abweſenheit von euerem Bunde aus wie<noteplace="right"><reftarget="1922_Bd2_145">[145]</ref></note><lb/>
der Auſkultant, vor lauter unausſprechlicher Sehnſucht — Und ſo leb<lbn="20"/>
wol, Guter!</p><closer><salute><hirendition="#right">Richter</hi></salute></closer></div></div><lb/><divtype="letter"n="1"><head>224. An <hirendition="#g">Amöne Herold.</hi></head><lb/><dateline><hirendition="#right"><hirendition="#aq">Bayreuth</hi> 24 Jenn. 1796 [Sonntag].</hi></dateline><lb/><opener><salute><hirendition="#et">Freundin,</hi></salute></opener><lb/><p>Ich fange vielleicht, ohne wieder einzutunken, den Brief an Sie<lbn="25"/>
mit dem Tropfen Dinte an, womit ich den heitern an Otto beſchlos.<lb/>
Ihrer überraſchte und erquikte mich ſo wie die <hirendition="#g">blühenden Nelken,</hi><lb/>
vor denen ich in Bernek einathmend vorübergieng. Im <hirendition="#g">Winter,</hi><lb/>
Amöne, ſchmiegen ſich dieſe duftenden Kinder der Frühlings <hirendition="#g">Wärme,</hi><lb/>
erſtlich wie Epheu an die Bruſt und dan gar ans Herz. So oft ich dieſe<lbn="30"/>
Stelle des Ihrigen ſehe — zumal im Hintergrund von 12 Stunden —<lb/>ſo ſteigt in mir über die nahe Vergangenheit glänzend die Ferne herauf<lb/>
und ich vergeſſe, um mich zu erinnern. Wenn wir nur ein Jahr aus-<lb/>
einander geworfen wären: ſo würden alle kleine Flecken verlöſchen, wir<lb/>
würden in Briefen nur den beſſern Theil unſers Wirs im Fluge ſehen<lbn="35"/>
und — ich würde mich unendlich nach Ihnen ſehnen.</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">10*</fw><lb/></div></body></text></TEI>
[147/0158]
Sontags.
Ich wil nur bleiben den Mitwoch: alſo komm’ ich gewis Don-
nerſtags Nachmittag in Münchberg an. Ich kan mich dasmal vom
Schreibtiſch kaum wegreiſſen. Eben hab ich einen Brief von Amöne
erhalten, der für mich eine volblühende Staude iſt, an die ich, indes 5
ein warmer Südwind darin blättert, den Kopf anlehne. Sie gab mir
zugleich die Erlaubnis, ihre an Emanuel zu leſen. Meine Antwort an
ſie hab ich an meine Mutter eingeſchlagen. Nim nur meine luſtigen
Hommelſchen Plappereien nicht übel: ich habe hier nicht eine Viertel-
ſtunde Zeit, ſonderlich vernünftig zu ſein. Geſtern ſties ich auf den Auſ- 10
kultant Feez; der Man ſieht nicht mehr kränklich aus, ſondern wie aus
gefrorner Milch boſſiert, die an ſich ſelber, zerlaufen, niedertröpfelt.
Das Auſkultieren nimt ihn mit, er wird wenig mitnehmen. — Jezt
wil ich an die Amöne ſchreiben, um nur einmal von dir wegzukommen.
Meinen Grus an deine gute gute Schweſter und an meinen geliebten 15
Albrecht. In euere Stube ſol immer fort die Sonne ſcheinen und Gras-
mücken ſollen auſſen ſchlagen und der Luftzug ſol vorher über blühende
Obſtgärten gehen und es ſol euch allen recht wol gehen. Ich weis, ich
ſehe nach einem Vierteljahr Abweſenheit von euerem Bunde aus wie
der Auſkultant, vor lauter unausſprechlicher Sehnſucht — Und ſo leb 20
wol, Guter!
[145] Richter
224. An Amöne Herold.
Bayreuth 24 Jenn. 1796 [Sonntag].
Freundin,
Ich fange vielleicht, ohne wieder einzutunken, den Brief an Sie 25
mit dem Tropfen Dinte an, womit ich den heitern an Otto beſchlos.
Ihrer überraſchte und erquikte mich ſo wie die blühenden Nelken,
vor denen ich in Bernek einathmend vorübergieng. Im Winter,
Amöne, ſchmiegen ſich dieſe duftenden Kinder der Frühlings Wärme,
erſtlich wie Epheu an die Bruſt und dan gar ans Herz. So oft ich dieſe 30
Stelle des Ihrigen ſehe — zumal im Hintergrund von 12 Stunden —
ſo ſteigt in mir über die nahe Vergangenheit glänzend die Ferne herauf
und ich vergeſſe, um mich zu erinnern. Wenn wir nur ein Jahr aus-
einander geworfen wären: ſo würden alle kleine Flecken verlöſchen, wir
würden in Briefen nur den beſſern Theil unſers Wirs im Fluge ſehen 35
und — ich würde mich unendlich nach Ihnen ſehnen.
10*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/158>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.