herrn bei der Herzogin) Um 3 Uhr kam ich wieder, und der auch. Er ist ein Hofman im Aeussern, aber soviel Wärme und Kentnisse, so einfach. Alle meine mänlichen Bekantschaften hier -- ich wolte, diese nicht allein -- fiengen sich mit den wärmsten Umarmungen an. Du findest hier nichts vom jämmerlichen Gezierten in Hof, von der5 jämmerlichen Sorge für die Mode -- ich wolt, ich hätte den grünen Talar behalten, oder blos den blauen Stuzrok noch einmal wenden lassen. Er wolte mich zu Herder, und heute mittags zum Essen zu Göthe führen; aber ich blieb bei dem Vorsaz des coeur-a-coeur (wenn ich nämlich jemand zum erstenmal sehe). -- (Heute Mittags ess' ich10 allein bei der Ostheim.) Gegen 5 Uhr giengen wir 3 in Knebels Garten: unterwegs fuhr uns Einsiedel entgegen, der mich geradezu bei dem Kopf nahm und der nur 3 Worte sagen konte, weil er die Herzogin in die Komödie begleiten muste, nachher aber sogleich wieder kam. Nach einigen Minuten sagte Knebel: "wie sich das alles himlisch fügt,15 dort kömt Herder und seine Frau mit den 2 Kindern" -- Und wir giengen ihm entgegen und unter dem freien Himmel lag ich endlich an seinem Mund und an seiner Brust und ich konte vor erstickender Freude kaum sprechen, und nur weinen und Herder konte mich nicht sat um- armen. Und als ich mich umsah, waren die Augen Knebels auch20 nas ..... Mit Herder bin [ich] jezt so bekant wie mit dir. Er wolte schon längst an mich schreiben; und als er und seine Frau, die mich herzlich liebt -- sie ist eine nur anders modifizierte Ostheim*) -- durch Hof reiseten, wolten sie mich besuchen. Ich wolt' ich könte so unverschämt sein, daß ich dir alles sagen könte. Er lobte fast alles an25 meinen Werken -- sogar die grönländischen Prozesse -- Er sieht nicht so edel aus als ich mir ihn dachte; spricht aber so wie er in den Humanitätsbriefen schreibt. Er sagte, so oft er den Hesperus gelesen, so wär' er 2 Tage zu Geschäften untauglich gewesen. An der Ab- handlung über die Phantasie gefält ihm alles. Er drükte mir immer-[206]30 fort die Hand. Und ich sagte immer, da wir alle neben einander sassen, "wenn nur mein Otto da wäre und es hörte." (Knebel und Herder wollen mir die berühmtesten Bücher zum Lesen, z. B. den Moniteur mit merkantilischer Gelegenheit schicken) Herder liebt die Satire
*) Von solchen Weibern wie die Ostheim und Herder hat man ohne Umgang gar35 keinen Begrif, so sprechen und so fühlen sie.
herrn bei der Herzogin) Um 3 Uhr kam ich wieder, und der auch. Er iſt ein Hofman im Aeuſſern, aber ſoviel Wärme und Kentniſſe, ſo einfach. Alle meine mänlichen Bekantſchaften hier — ich wolte, dieſe nicht allein — fiengen ſich mit den wärmſten Umarmungen an. Du findeſt hier nichts vom jämmerlichen Gezierten in Hof, von der5 jämmerlichen Sorge für die Mode — ich wolt, ich hätte den grünen Talar behalten, oder blos den blauen Stuzrok noch einmal wenden laſſen. Er wolte mich zu Herder, und heute mittags zum Eſſen zu Göthe führen; aber ich blieb bei dem Vorſaz des coeur-à-coeur (wenn ich nämlich jemand zum erſtenmal ſehe). — (Heute Mittags eſſ’ ich10 allein bei der Oſtheim.) Gegen 5 Uhr giengen wir 3 in Knebels Garten: unterwegs fuhr uns Einſiedel entgegen, der mich geradezu bei dem Kopf nahm und der nur 3 Worte ſagen konte, weil er die Herzogin in die Komödie begleiten muſte, nachher aber ſogleich wieder kam. Nach einigen Minuten ſagte Knebel: „wie ſich das alles himliſch fügt,15 dort kömt Herder und ſeine Frau mit den 2 Kindern“ — Und wir giengen ihm entgegen und unter dem freien Himmel lag ich endlich an ſeinem Mund und an ſeiner Bruſt und ich konte vor erſtickender Freude kaum ſprechen, und nur weinen und Herder konte mich nicht ſat um- armen. Und als ich mich umſah, waren die Augen Knebels auch20 nas ..... Mit Herder bin [ich] jezt ſo bekant wie mit dir. Er wolte ſchon längſt an mich ſchreiben; und als er und ſeine Frau, die mich herzlich liebt — ſie iſt eine nur anders modifizierte Oſtheim*) — durch Hof reiſeten, wolten ſie mich beſuchen. Ich wolt’ ich könte ſo unverſchämt ſein, daß ich dir alles ſagen könte. Er lobte faſt alles an25 meinen Werken — ſogar die grönländiſchen Prozeſſe — Er ſieht nicht ſo edel aus als ich mir ihn dachte; ſpricht aber ſo wie er in den Humanitätsbriefen ſchreibt. Er ſagte, ſo oft er den Heſperus geleſen, ſo wär’ er 2 Tage zu Geſchäften untauglich geweſen. An der Ab- handlung über die Phantaſie gefält ihm alles. Er drükte mir immer-[206]30 fort die Hand. Und ich ſagte immer, da wir alle neben einander ſaſſen, „wenn nur mein Otto da wäre und es hörte.“ (Knebel und Herder wollen mir die berühmteſten Bücher zum Leſen, z. B. den Moniteur mit merkantiliſcher Gelegenheit ſchicken) Herder liebt die Satire
*) Von ſolchen Weibern wie die Oſtheim und Herder hat man ohne Umgang gar35 keinen Begrif, ſo ſprechen und ſo fühlen ſie.
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einfach. Alle meine mänlichen Bekantſchaften hier — ich wolte, dieſe
nicht allein — fiengen ſich mit den wärmſten Umarmungen an. Du
findeſt hier nichts vom jämmerlichen Gezierten in Hof, von der 5
jämmerlichen Sorge für die Mode — ich wolt, ich hätte den grünen
Talar behalten, oder blos den blauen Stuzrok noch einmal wenden
laſſen. Er wolte mich zu Herder, und heute mittags zum Eſſen zu
Göthe führen; aber ich blieb bei dem Vorſaz des coeur-à-coeur (wenn
ich nämlich jemand zum erſtenmal ſehe). — (Heute Mittags eſſ’ ich 10
allein bei der Oſtheim.) Gegen 5 Uhr giengen wir 3 in Knebels
Garten: unterwegs fuhr uns Einſiedel entgegen, der mich geradezu bei
dem Kopf nahm und der nur 3 Worte ſagen konte, weil er die Herzogin
in die Komödie begleiten muſte, nachher aber ſogleich wieder kam.
Nach einigen Minuten ſagte Knebel: „wie ſich das alles himliſch fügt, 15
dort kömt Herder und ſeine Frau mit den 2 Kindern“ — Und wir
giengen ihm entgegen und unter dem freien Himmel lag ich endlich an
ſeinem Mund und an ſeiner Bruſt und ich konte vor erſtickender Freude
kaum ſprechen, und nur weinen und Herder konte mich nicht ſat um-
armen. Und als ich mich umſah, waren die Augen Knebels auch 20
nas ..... Mit Herder bin [ich] jezt ſo bekant wie mit dir. Er wolte
ſchon längſt an mich ſchreiben; und als er und ſeine Frau, die mich
herzlich liebt — ſie iſt eine nur anders modifizierte Oſtheim *) —
durch Hof reiſeten, wolten ſie mich beſuchen. Ich wolt’ ich könte ſo
unverſchämt ſein, daß ich dir alles ſagen könte. Er lobte faſt alles an 25
meinen Werken — ſogar die grönländiſchen Prozeſſe — Er ſieht nicht
ſo edel aus als ich mir ihn dachte; ſpricht aber ſo wie er in den
Humanitätsbriefen ſchreibt. Er ſagte, ſo oft er den Heſperus geleſen,
ſo wär’ er 2 Tage zu Geſchäften untauglich geweſen. An der Ab-
handlung über die Phantaſie gefält ihm alles. Er drükte mir immer- 30
fort die Hand. Und ich ſagte immer, da wir alle neben einander ſaſſen,
„wenn nur mein Otto da wäre und es hörte.“ (Knebel und Herder
wollen mir die berühmteſten Bücher zum Leſen, z. B. den Moniteur
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*) Von ſolchen Weibern wie die Oſtheim und Herder hat man ohne Umgang gar 35
keinen Begrif, ſo ſprechen und ſo fühlen ſie.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/220>, abgerufen am 21.11.2024.
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