Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958.384. An Julie von Krüdener in Leipzig. [Kopie][Hof, 22. Aug. 1796]Die Stunde, worin ich Sie hörte, fliesset wie ein Abendroth immer 385. An Friedrich von Oertel in Leipzig. Hof. d. 22 Aug. 96.Kaum ein Billet, nur ein Avertissement, ein Postskript zum Post- 384. An Julie von Krüdener in Leipzig. [Kopie][Hof, 22. Aug. 1796]Die Stunde, worin ich Sie hörte, flieſſet wie ein Abendroth immer 385. An Friedrich von Oertel in Leipzig. Hof. d. 22 Aug. 96.Kaum ein Billet, nur ein Avertiſſement, ein Poſtſkript zum Poſt- <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0249" n="235"/> <div type="letter" n="1"> <head>384. An <hi rendition="#g">Julie von Krüdener in Leipzig.</hi></head><lb/> <note type="editorial">[Kopie]</note> <dateline> <hi rendition="#right">[Hof, 22. Aug. 1796]</hi> </dateline><lb/> <p>Die Stunde, worin ich Sie hörte, flieſſet wie ein Abendroth immer<lb/> weiter unter den Horizont, Ihr Brief mus ihr wieder Farbe geben.<lb/> Sie kamen wie ein Traum, Sie flohen wie ein Traum und ich lebe<lb n="5"/> noch in einem Traum. Saturnin [ſagt,] die Engel hätten Menſchen<lb/> geſchaffen wie Gott, hätten ſie aber nicht in die Höhe richten können,<lb/> bis Gott durch einen Funken ſie beſeelte und aufſtelte. Solche liegende<lb/> Menſchen ſind die meiſten — Gott ſchlug in wenige einen Funken, der<lb/> ſie aufrichtet. In Ihrer Seele glüht dieſer Sonnenfunke und Ihr<lb n="10"/> innerer Menſch ſteht unter den liegenden kalten Geſtalten aufrecht und<lb/> ſein weiter Blik genieſſet zugleich den Himmel und die Erde. Groſſe<lb/> Tugenden ſind in irdiſchen Augen Fehler, wie die Fluren des Mondes<note place="right"><ref target="1922_Bd2_234">[234]</ref></note><lb/> ſich uns in der Ferne als Flecken darſtellen. — Der Glaube an Ver-<lb/> nichtung — dieſe Seelen Guillottine und Füſſilade. Ich wolte, heute<lb n="15"/> wäre der 1 Januar, damit mein Herz ſich in gerechtf[ertigte] Wünſche<lb/> für Ihres auflöſ[ete]. Aber jeder Tag iſt für mich ein erſter Januar<lb/> und alles was in die laue Nacht dieſes flatternden Lebens Mondlicht<lb/> und Violenblüten wirft und alles was ins einfärbige Grün auf dem<lb/> ſtehenden Waſſer unſers Daſeins einzelne Blumen flicht ꝛc.<lb n="20"/> </p> </div><lb/> <div type="letter" n="1"> <head>385. An <hi rendition="#g">Friedrich von Oertel in Leipzig.</hi></head><lb/> <byline> <hi rendition="#g">Eilig.</hi> </byline> <dateline> <hi rendition="#right"><hi rendition="#aq">Hof.</hi> d. 22 Aug. 96.</hi> </dateline><lb/> <p>Kaum ein Billet, nur ein Avertiſſement, ein Poſtſkript zum Poſt-<lb/> ſkript ſol dieſes Blätgen ſein, das Sie bittet, dieſe Einlage zu in-<lb/> ſinuieren. D. 17<hi rendition="#sup">ten</hi> war die Frau des ruſſiſchen Geſandten in Däne-<lb n="25"/> mark bei mir, eben dieſe Krüdner, die vielleicht wieder von <hi rendition="#aq">Weimar</hi> in<lb/><hi rendition="#aq">Leipzig</hi> iſt. Sie iſt eine Seele, wie ich ſie kaum noch im Pantheon der<lb/> Ideale geſehen: die <hi rendition="#aq">notae caracteristicae</hi> an ihr ſind ewiger Friede<lb/> und Freude in ſich — ob ſie gleich alles genoſſen — eine weite Menſchen-<lb/> liebe, die nichts mit ſentimentaliſchem erotiſchem Eigennuz gemein<lb n="30"/> hat — und eine gute Meinung, die ſie von andern, Andere von ihr<lb/> haben. Sie müſſen dieſes warme Herz, dem meine Bücher ſein<lb/> Italien und ſein Eden faſt wiederholet haben, kennen lernen: äuſſerlich<lb/> iſt ſie unbedeutend, das klare reine warme Auge ausgenommen, das<lb/> ſich in <formula notation="TeX">\nicefrac {5}{4}</formula> Stunden bei mir ſo oft in Thränen verklärte, denen meine<lb n="35"/> folgten. Sobald ſie in <hi rendition="#aq">Leipzig</hi> iſt, komm ich nach <hi rendition="#aq">Leipzig:</hi> ich habe<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [235/0249]
384. An Julie von Krüdener in Leipzig.
[Hof, 22. Aug. 1796]
Die Stunde, worin ich Sie hörte, flieſſet wie ein Abendroth immer
weiter unter den Horizont, Ihr Brief mus ihr wieder Farbe geben.
Sie kamen wie ein Traum, Sie flohen wie ein Traum und ich lebe 5
noch in einem Traum. Saturnin [ſagt,] die Engel hätten Menſchen
geſchaffen wie Gott, hätten ſie aber nicht in die Höhe richten können,
bis Gott durch einen Funken ſie beſeelte und aufſtelte. Solche liegende
Menſchen ſind die meiſten — Gott ſchlug in wenige einen Funken, der
ſie aufrichtet. In Ihrer Seele glüht dieſer Sonnenfunke und Ihr 10
innerer Menſch ſteht unter den liegenden kalten Geſtalten aufrecht und
ſein weiter Blik genieſſet zugleich den Himmel und die Erde. Groſſe
Tugenden ſind in irdiſchen Augen Fehler, wie die Fluren des Mondes
ſich uns in der Ferne als Flecken darſtellen. — Der Glaube an Ver-
nichtung — dieſe Seelen Guillottine und Füſſilade. Ich wolte, heute 15
wäre der 1 Januar, damit mein Herz ſich in gerechtf[ertigte] Wünſche
für Ihres auflöſ[ete]. Aber jeder Tag iſt für mich ein erſter Januar
und alles was in die laue Nacht dieſes flatternden Lebens Mondlicht
und Violenblüten wirft und alles was ins einfärbige Grün auf dem
ſtehenden Waſſer unſers Daſeins einzelne Blumen flicht ꝛc. 20
[234]
385. An Friedrich von Oertel in Leipzig.
Eilig.Hof. d. 22 Aug. 96.
Kaum ein Billet, nur ein Avertiſſement, ein Poſtſkript zum Poſt-
ſkript ſol dieſes Blätgen ſein, das Sie bittet, dieſe Einlage zu in-
ſinuieren. D. 17ten war die Frau des ruſſiſchen Geſandten in Däne- 25
mark bei mir, eben dieſe Krüdner, die vielleicht wieder von Weimar in
Leipzig iſt. Sie iſt eine Seele, wie ich ſie kaum noch im Pantheon der
Ideale geſehen: die notae caracteristicae an ihr ſind ewiger Friede
und Freude in ſich — ob ſie gleich alles genoſſen — eine weite Menſchen-
liebe, die nichts mit ſentimentaliſchem erotiſchem Eigennuz gemein 30
hat — und eine gute Meinung, die ſie von andern, Andere von ihr
haben. Sie müſſen dieſes warme Herz, dem meine Bücher ſein
Italien und ſein Eden faſt wiederholet haben, kennen lernen: äuſſerlich
iſt ſie unbedeutend, das klare reine warme Auge ausgenommen, das
ſich in [FORMEL] Stunden bei mir ſo oft in Thränen verklärte, denen meine 35
folgten. Sobald ſie in Leipzig iſt, komm ich nach Leipzig: ich habe
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Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen). Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
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