*505. An Johann Friedrich von Meyer in Wetzlar.[288]
Hof d. 7 Jenn. 97.
Ich habe unserm Simultan-Freunde Oertel sehr zu danken, daß er Sie zu dem meinigen gemacht: seine und Ihre Blätter machten mich zu dem Ihrigen. Aber Ihr schönes Feuer, lieber M[eyer], Ihre5 Lebenswärme und jedes Freudenfeuer wird ja auf diese Weise Kalzinier- feuer für Sie; und der Genus, der sonst nach Herder immer das Objekt zerreibt, zerrüttet hier das Subjekt. Lesen Sie wenigstens meinen Hesperus, worin noch mehr Brenstof und Schwefelminen als in den Mumien sind, nur nach Kapiteln oder Hundsposttagen, und10 eine physische Nacht kühle stets wie in der heissen Zone meinen mora- lischen Kanikularposttag ab.
Die Einäscherung und Skelettierung der fleischernen Welt fanden Sie in meinem Buche -- beschrieben: ich sah leider der Zertrümmerung in einem innern Novembertage zu. Bei Gott! was ich ertrage und15 benüze, wenn die starre und eckige Wirklichkeit es vor die Seele führt, mus noch leichter zu ertragen und zu benüzen sein in den blossen poetischen Reflexen. Das Gerippe des Todes hat eine Sonne in der Hand, und leuchtet die höhere Welt an, und auf unsere fält ein falber Schein -- nur auf den schneidenden Elbogen dieses Skelets wird man20 über die Schmerzen und Gräber der Erde, obwohl nicht über ihre Freuden erhoben. Das Gefühl unserer Flucht gewährt uns einen eisernen Muth, ein sanftes Freuen, ein höheres Lieben, einen ewigen Trost, eine Erhabenheit über das ganze Schach der Erde und dessen hölzerne Schachfiguren.25
Meine Antwort auf Ihre über die platonische Liebe hat nur in einem Buche Plaz; doch verzeihen Sie diese: der Urgenius macht überal den Körper zur schmuzigen Stufe des geistigen Tempels, der Hunger ist das körperliche Hebezeug des geistigen Klimax, das Be- dürfnis ist der Köder der Wahrheit, der 6te Sin ist die Loherde des30 himlischen -- -- daher kömt leider die Umkehrung und der Anti- klimax. Im Ganzen glaub' ich, die physische Liebe reibt den Schmetter- lingsflügel der höhern ab; aber bei edlern Menschen wird die höhere zur höchsten Freundschaft, von der es ausser der Ehe kein Beispiel giebt.
Leben Sie immer, immer wohl!35
Richter
*505. An Johann Friedrich von Meyer in Wetzlar.[288]
Hof d. 7 Jenn. 97.
Ich habe unſerm Simultan-Freunde Oertel ſehr zu danken, daß er Sie zu dem meinigen gemacht: ſeine und Ihre Blätter machten mich zu dem Ihrigen. Aber Ihr ſchönes Feuer, lieber M[eyer], Ihre5 Lebenswärme und jedes Freudenfeuer wird ja auf dieſe Weiſe Kalzinier- feuer für Sie; und der Genus, der ſonſt nach Herder immer das Objekt zerreibt, zerrüttet hier das Subjekt. Leſen Sie wenigſtens meinen Hesperus, worin noch mehr Brenſtof und Schwefelminen als in den Mumien ſind, nur nach Kapiteln oder Hundspoſttagen, und10 eine phyſiſche Nacht kühle ſtets wie in der heiſſen Zone meinen mora- liſchen Kanikularpoſttag ab.
Die Einäſcherung und Skelettierung der fleiſchernen Welt fanden Sie in meinem Buche — beſchrieben: ich ſah leider der Zertrümmerung in einem innern Novembertage zu. Bei Gott! was ich ertrage und15 benüze, wenn die ſtarre und eckige Wirklichkeit es vor die Seele führt, mus noch leichter zu ertragen und zu benüzen ſein in den bloſſen poetiſchen Reflexen. Das Gerippe des Todes hat eine Sonne in der Hand, und leuchtet die höhere Welt an, und auf unſere fält ein falber Schein — nur auf den ſchneidenden Elbogen dieſes Skelets wird man20 über die Schmerzen und Gräber der Erde, obwohl nicht über ihre Freuden erhoben. Das Gefühl unſerer Flucht gewährt uns einen eiſernen Muth, ein ſanftes Freuen, ein höheres Lieben, einen ewigen Troſt, eine Erhabenheit über das ganze Schach der Erde und deſſen hölzerne Schachfiguren.25
Meine Antwort auf Ihre über die platoniſche Liebe hat nur in einem Buche Plaz; doch verzeihen Sie dieſe: der Urgenius macht überal den Körper zur ſchmuzigen Stufe des geiſtigen Tempels, der Hunger iſt das körperliche Hebezeug des geiſtigen Klimax, das Be- dürfnis iſt der Köder der Wahrheit, der 6te Sin iſt die Loherde des30 himliſchen — — daher kömt leider die Umkehrung und der Anti- klimax. Im Ganzen glaub’ ich, die phyſiſche Liebe reibt den Schmetter- lingsflügel der höhern ab; aber bei edlern Menſchen wird die höhere zur höchſten Freundſchaft, von der es auſſer der Ehe kein Beiſpiel giebt.
Leben Sie immer, immer wohl!35
Richter
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*505. An Johann Friedrich von Meyer in Wetzlar.
Hof d. 7 Jenn. 97.
Ich habe unſerm Simultan-Freunde Oertel ſehr zu danken, daß er
Sie zu dem meinigen gemacht: ſeine und Ihre Blätter machten mich
zu dem Ihrigen. Aber Ihr ſchönes Feuer, lieber M[eyer], Ihre 5
Lebenswärme und jedes Freudenfeuer wird ja auf dieſe Weiſe Kalzinier-
feuer für Sie; und der Genus, der ſonſt nach Herder immer das
Objekt zerreibt, zerrüttet hier das Subjekt. Leſen Sie wenigſtens
meinen Hesperus, worin noch mehr Brenſtof und Schwefelminen
als in den Mumien ſind, nur nach Kapiteln oder Hundspoſttagen, und 10
eine phyſiſche Nacht kühle ſtets wie in der heiſſen Zone meinen mora-
liſchen Kanikularpoſttag ab.
Die Einäſcherung und Skelettierung der fleiſchernen Welt fanden
Sie in meinem Buche — beſchrieben: ich ſah leider der Zertrümmerung
in einem innern Novembertage zu. Bei Gott! was ich ertrage und 15
benüze, wenn die ſtarre und eckige Wirklichkeit es vor die Seele führt,
mus noch leichter zu ertragen und zu benüzen ſein in den bloſſen
poetiſchen Reflexen. Das Gerippe des Todes hat eine Sonne in der
Hand, und leuchtet die höhere Welt an, und auf unſere fält ein falber
Schein — nur auf den ſchneidenden Elbogen dieſes Skelets wird man 20
über die Schmerzen und Gräber der Erde, obwohl nicht über ihre
Freuden erhoben. Das Gefühl unſerer Flucht gewährt uns einen
eiſernen Muth, ein ſanftes Freuen, ein höheres Lieben, einen ewigen
Troſt, eine Erhabenheit über das ganze Schach der Erde und deſſen
hölzerne Schachfiguren. 25
Meine Antwort auf Ihre über die platoniſche Liebe hat nur in
einem Buche Plaz; doch verzeihen Sie dieſe: der Urgenius macht
überal den Körper zur ſchmuzigen Stufe des geiſtigen Tempels, der
Hunger iſt das körperliche Hebezeug des geiſtigen Klimax, das Be-
dürfnis iſt der Köder der Wahrheit, der 6te Sin iſt die Loherde des 30
himliſchen — — daher kömt leider die Umkehrung und der Anti-
klimax. Im Ganzen glaub’ ich, die phyſiſche Liebe reibt den Schmetter-
lingsflügel der höhern ab; aber bei edlern Menſchen wird die höhere
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Leben Sie immer, immer wohl! 35
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/302>, abgerufen am 22.11.2024.
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