Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958.606. An Emanuel.[332] Hof d. 10 Mai 97.Unvergeslicher Emanuel, Wenigstens mit 3 Zeilen mach' ich Ihnen Freude und mir Luft. Ich Um 10 Uhr kam ich in Münchberg, -- nach einem fleischernen Renate erwartet meine längern Berichte erst. Ich glaube, ihre15 Der Mensch, der überal Körper und Geist amalgamiert, verknüpft Richter 606. An Emanuel.[332] Hof d. 10 Mai 97.Unvergeslicher Emanuel, Wenigſtens mit 3 Zeilen mach’ ich Ihnen Freude und mir Luft. Ich Um 10 Uhr kam ich in Münchberg, — nach einem fleiſchernen Renate erwartet meine längern Berichte erſt. Ich glaube, ihre15 Der Menſch, der überal Körper und Geiſt amalgamiert, verknüpft Richter <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0347" n="331"/> <div type="letter" n="1"> <head>606. An <hi rendition="#g">Emanuel.</hi><note place="right"><ref target="1922_Bd2_332">[332]</ref></note></head><lb/> <dateline> <hi rendition="#right"><hi rendition="#aq">Hof</hi> d. 10 Mai 97.</hi> </dateline><lb/> <opener> <salute> <hi rendition="#et">Unvergeslicher Emanuel,</hi> </salute> </opener><lb/> <p>Wenigſtens mit 3 Zeilen mach’ ich Ihnen Freude und mir Luft. Ich<lb/> wil alles abgeriſſen und fragmentariſch ſagen, wie das Schikſal uns<lb n="5"/> die Zeit und die ganze Gegenwart nur in Punkten zumiſſet.</p><lb/> <p>Um 10 Uhr kam ich in Münchberg, — nach einem fleiſchernen<lb/> Frühſtük in Gefrees — und um 2 Uhr — nach einem einſtündigen in<lb/> Münchberg —, in Hof an. Alle meine Geliebte im Ott[oiſchen] Hauſe<lb/> machten die Fenſter vor dem langen Flüchtling auf. Ich gab durch<lb n="10"/> meine Schilderungen Chriſtian Entzückungen und Wünſche; aber er<lb/><hi rendition="#g">kan</hi> nicht: und doch hindern ihn nicht Arbeiten, ſondern Dinge die er<lb/> verſchweigt. Ach der Leidende verdiente noch eher meine Bayreuther<lb/> Tage als ich! —</p><lb/> <p>Renate erwartet meine längern Berichte erſt. Ich glaube, ihre<lb n="15"/> Lippen ſuchen auf meinen nichts als Ihre Küſſe. Da ich ihr die<lb/> Wirkungen ihrer Briefe auf mich erzählte und — zeigte: ſo ſah ich,<lb/> das ihr <hi rendition="#g">Verbot</hi> nur aus Furcht der entgegengeſezten gegeben war;<lb/> und ſie freuete ſich über die <hi rendition="#g">Erlaubnis.</hi> Kurz ich fand und brachte<lb/> überal nichts als warme Liebe wieder. — Vergeſſen Sie den In-<lb n="20"/> kognito-<hi rendition="#aq">Manichord</hi> [?] über den Klöterſchen gröſſern Sohn nicht! —<lb/> Danken Sie in meinem Namen für das <hi rendition="#aq">Elrod[sche]</hi> Petſchaft, für<lb/> deſſen Doppelwerth ich mich nicht bedankte. —</p><lb/> <p>Der Menſch, der überal Körper und Geiſt amalgamiert, verknüpft<lb/> daher Stube und Herz, und ich verknüpfe eben ſo den lezten Brief, den<lb n="25"/> ich auf immer aus dieſem Zimmer ſchreibe, mit meinen Gefühlen. Nie<lb/> rükt die ſchattige Vergangenheit näher an mein Herz und nie hör’ ich<lb/> das eilende und zermalmende Räderwerk des Schikſals und des Lebens<lb/> lauter umrollen als — wenn ich ausziehe. Ach wie rint, wie fliegt, wie<lb/> ſpielet alles! Wie oft fangen wir im Leben das Leben von neuem an,<lb n="30"/> mit gröſſern Hofnungen und glauben blos die Zukunft reich und die<lb/> Vergangenheit arm! — Ich ſage nichts, Theuerer, von der 14tägigen.<lb/> Meine Liebe und meine Sehnſucht und meine Dankbarkeit wohnt bei<lb/> Ihnen. Sanfte, wohlthätige, liebende, ſtille Seele! lebe wohl und<lb/> bleibe ſo!<lb n="35"/> </p> <closer> <salute> <hi rendition="#right">Richter</hi> </salute> </closer> </div><lb/> </body> </text> </TEI> [331/0347]
606. An Emanuel.
Hof d. 10 Mai 97.
Unvergeslicher Emanuel,
Wenigſtens mit 3 Zeilen mach’ ich Ihnen Freude und mir Luft. Ich
wil alles abgeriſſen und fragmentariſch ſagen, wie das Schikſal uns 5
die Zeit und die ganze Gegenwart nur in Punkten zumiſſet.
Um 10 Uhr kam ich in Münchberg, — nach einem fleiſchernen
Frühſtük in Gefrees — und um 2 Uhr — nach einem einſtündigen in
Münchberg —, in Hof an. Alle meine Geliebte im Ott[oiſchen] Hauſe
machten die Fenſter vor dem langen Flüchtling auf. Ich gab durch 10
meine Schilderungen Chriſtian Entzückungen und Wünſche; aber er
kan nicht: und doch hindern ihn nicht Arbeiten, ſondern Dinge die er
verſchweigt. Ach der Leidende verdiente noch eher meine Bayreuther
Tage als ich! —
Renate erwartet meine längern Berichte erſt. Ich glaube, ihre 15
Lippen ſuchen auf meinen nichts als Ihre Küſſe. Da ich ihr die
Wirkungen ihrer Briefe auf mich erzählte und — zeigte: ſo ſah ich,
das ihr Verbot nur aus Furcht der entgegengeſezten gegeben war;
und ſie freuete ſich über die Erlaubnis. Kurz ich fand und brachte
überal nichts als warme Liebe wieder. — Vergeſſen Sie den In- 20
kognito-Manichord [?] über den Klöterſchen gröſſern Sohn nicht! —
Danken Sie in meinem Namen für das Elrod[sche] Petſchaft, für
deſſen Doppelwerth ich mich nicht bedankte. —
Der Menſch, der überal Körper und Geiſt amalgamiert, verknüpft
daher Stube und Herz, und ich verknüpfe eben ſo den lezten Brief, den 25
ich auf immer aus dieſem Zimmer ſchreibe, mit meinen Gefühlen. Nie
rükt die ſchattige Vergangenheit näher an mein Herz und nie hör’ ich
das eilende und zermalmende Räderwerk des Schikſals und des Lebens
lauter umrollen als — wenn ich ausziehe. Ach wie rint, wie fliegt, wie
ſpielet alles! Wie oft fangen wir im Leben das Leben von neuem an, 30
mit gröſſern Hofnungen und glauben blos die Zukunft reich und die
Vergangenheit arm! — Ich ſage nichts, Theuerer, von der 14tägigen.
Meine Liebe und meine Sehnſucht und meine Dankbarkeit wohnt bei
Ihnen. Sanfte, wohlthätige, liebende, ſtille Seele! lebe wohl und
bleibe ſo! 35
Richter
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(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen). Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
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