Ihre Krankheit verschob meine Reisen, deren eine mich mit mündlichen Danksagungen in Ihr Haus geführet hätte. Mein Herz hat sie bisher desto öfter wiederholet für solche Gaben und solche Briefe. Mein gelehrtes Deutschland wird, indem sich das Pan- dämonium immer ausdehnt, aus einem Pantheon täglich mehr zu5 einem Monotheon. Ich weis keine andere Gedichte, die für mich jezt jene ächte, und eine ganze sprechende Geisterwelt des Ideals vorrufende Musik des Herzens sind, als die, die -- Sie mir schikten: Göthe dichtete früher so; aber nun liebt er den Stof nirgends mehr als an seinem Leibe und quälet uns mit seinen ausgetrokneten10 Weisen a la grec. Ich hoff' es irgendwo einmal darzuthun, daß wir das maximum in den bildenden und zeichnenden Künsten, das erreich- bar ist sogar von Einem Volk und von Wenigen, mit dem maximum der Dichtkunst vermengen, das die Kentnisse und die Jahrhunderte erhöhen und erschweren müssen. Eine Apollos Gestalt ist für die Erde15 volendet; aber kein Gedicht kan es sein, da unsere mit den Jahr- hunderten wachsende Rezeptivität wenigstens an den Stof höhere [360]Foderungen macht: unsere Augen bleiben für die Statuen, aber unsere Geister wachsen höhern Gedichten entgegen. Nur den reinen un- gebrochnen Umris und die Humanität und die Verhältnisse haben wir20 den Griechen abzulernen, aber des dürftigen Stofs solte sich das reiche Jahrhundert schämen. --
Ihre Vergleichung mit dem Münsterthurm führt den Honig und den Bienenstachel bei sich: schöner kan man nicht auf einmal loben und tadeln; wahrer vielleicht. --25
Gleim dem Deutschen kan ich mein Gesicht nicht schicken, weil der einzige Maler hier -- keiner ist, und weil ein Surrogat des Gesichts, nämlich ein von Pfenninger auf Lavaters Empfehlung gemachter Nachdruk auf einer Kupferplatte überal zu haben ist. --30
Das gute Geschik wende den Schmerz von mir ab, daß ich nach Weimar käme, wenn Sie schon in Halberstadt wären: es würde mir -- um nicht zu ernsthaft zu sprechen -- so sein wie einem Astronomen, der nach Amerika gereiset wäre, den Durchgang des Hesperus durch die Sonne zu schauen und dem eine stehende traurige Wolke die Sonne35 nähme. -- Wenigstens lassen Sie mir durch Fr. v. Kalb die Zeit Ihrer Abwesenheit berichten.
Ihre Krankheit verſchob meine Reiſen, deren eine mich mit mündlichen Dankſagungen in Ihr Haus geführet hätte. Mein Herz hat ſie bisher deſto öfter wiederholet für ſolche Gaben und ſolche Briefe. Mein gelehrtes Deutſchland wird, indem ſich das Pan- dämonium immer ausdehnt, aus einem Pantheon täglich mehr zu5 einem Monotheon. Ich weis keine andere Gedichte, die für mich jezt jene ächte, und eine ganze ſprechende Geiſterwelt des Ideals vorrufende Muſik des Herzens ſind, als die, die — Sie mir ſchikten: Göthe dichtete früher ſo; aber nun liebt er den Stof nirgends mehr als an ſeinem Leibe und quälet uns mit ſeinen ausgetrokneten10 Weiſen à la grec. Ich hoff’ es irgendwo einmal darzuthun, daß wir das maximum in den bildenden und zeichnenden Künſten, das erreich- bar iſt ſogar von Einem Volk und von Wenigen, mit dem maximum der Dichtkunſt vermengen, das die Kentniſſe und die Jahrhunderte erhöhen und erſchweren müſſen. Eine Apollos Geſtalt iſt für die Erde15 volendet; aber kein Gedicht kan es ſein, da unſere mit den Jahr- hunderten wachſende Rezeptivität wenigſtens an den Stof höhere [360]Foderungen macht: unſere Augen bleiben für die Statuen, aber unſere Geiſter wachſen höhern Gedichten entgegen. Nur den reinen un- gebrochnen Umris und die Humanität und die Verhältniſſe haben wir20 den Griechen abzulernen, aber des dürftigen Stofs ſolte ſich das reiche Jahrhundert ſchämen. —
Ihre Vergleichung mit dem Münſterthurm führt den Honig und den Bienenſtachel bei ſich: ſchöner kan man nicht auf einmal loben und tadeln; wahrer vielleicht. —25
Gleim dem Deutſchen kan ich mein Geſicht nicht ſchicken, weil der einzige Maler hier — keiner iſt, und weil ein Surrogat des Geſichts, nämlich ein von Pfenninger auf Lavaters Empfehlung gemachter Nachdruk auf einer Kupferplatte überal zu haben iſt. —30
Das gute Geſchik wende den Schmerz von mir ab, daß ich nach Weimar käme, wenn Sie ſchon in Halberstadt wären: es würde mir — um nicht zu ernſthaft zu ſprechen — ſo ſein wie einem Aſtronomen, der nach Amerika gereiſet wäre, den Durchgang des Heſperus durch die Sonne zu ſchauen und dem eine ſtehende traurige Wolke die Sonne35 nähme. — Wenigſtens laſſen Sie mir durch Fr. v. Kalb die Zeit Ihrer Abweſenheit berichten.
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Ihre Krankheit verſchob meine Reiſen, deren eine mich mit
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hat ſie bisher deſto öfter wiederholet für ſolche Gaben und ſolche
Briefe. Mein gelehrtes Deutſchland wird, indem ſich das Pan-
dämonium immer ausdehnt, aus einem Pantheon täglich mehr zu 5
einem Monotheon. Ich weis keine andere Gedichte, die für mich
jezt jene ächte, und eine ganze ſprechende Geiſterwelt des Ideals
vorrufende Muſik des Herzens ſind, als die, die — Sie mir
ſchikten: Göthe dichtete früher ſo; aber nun liebt er den Stof nirgends
mehr als an ſeinem Leibe und quälet uns mit ſeinen ausgetrokneten 10
Weiſen à la grec. Ich hoff’ es irgendwo einmal darzuthun, daß wir
das maximum in den bildenden und zeichnenden Künſten, das erreich-
bar iſt ſogar von Einem Volk und von Wenigen, mit dem maximum
der Dichtkunſt vermengen, das die Kentniſſe und die Jahrhunderte
erhöhen und erſchweren müſſen. Eine Apollos Geſtalt iſt für die Erde 15
volendet; aber kein Gedicht kan es ſein, da unſere mit den Jahr-
hunderten wachſende Rezeptivität wenigſtens an den Stof höhere
Foderungen macht: unſere Augen bleiben für die Statuen, aber unſere
Geiſter wachſen höhern Gedichten entgegen. Nur den reinen un-
gebrochnen Umris und die Humanität und die Verhältniſſe haben wir 20
den Griechen abzulernen, aber des dürftigen Stofs ſolte ſich das
reiche Jahrhundert ſchämen. —
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Ihre Vergleichung mit dem Münſterthurm führt den Honig und den
Bienenſtachel bei ſich: ſchöner kan man nicht auf einmal loben und
tadeln; wahrer vielleicht. — 25
Gleim dem Deutſchen kan ich mein Geſicht nicht ſchicken, weil
der einzige Maler hier — keiner iſt, und weil ein Surrogat des
Geſichts, nämlich ein von Pfenninger auf Lavaters Empfehlung
gemachter Nachdruk auf einer Kupferplatte überal zu haben
iſt. — 30
Das gute Geſchik wende den Schmerz von mir ab, daß ich nach
Weimar käme, wenn Sie ſchon in Halberstadt wären: es würde mir
— um nicht zu ernſthaft zu ſprechen — ſo ſein wie einem Aſtronomen,
der nach Amerika gereiſet wäre, den Durchgang des Heſperus durch die
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/375>, abgerufen am 24.11.2024.
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