wie ein hängender Garten, und den gedrukten antithetischen über die 3 Revoluzionen ausgenommen. --
Das Wort "Idylle" ist die rechte Bezeichnung für alle Historien des J. Pauls: die Historie meines eignen Lebens führ' ich in mir selber idyllenhaft.5
Die Tag- und Nacht-Gleiche, die du von einer Idylle foderst, ist gegründet; aber ich traf es nur, weil mein Gefühl stärker war als mein Wille: denn eben wegen dieses Mittelpreises aller Szenen darin dacht' ich, (weil nichts darin so heftig auszuführen war wie im Hesperus oder in der künftigen Biographie), ich würde dümmer und matter.10
Ich gebe dir -- der Kollazion wegen, wie das über den Fälbel -- deine Blätter zurük zur Retour an mich. Daß Fixlein grüne Finger mitbringt, ist nicht Humor, sondern Selbstvergessenheit aus übler Er-[60] ziehung, und Wunsch und Mangel der Lebensart zugleich.
Deine Kritik über das lockere mürbe des lezten Kapitels fand ich15 unter dem Total Ueberlesen wahr; ich habe nach Vermögen die ge- schlichteten Ruthen von Steinen aus dem Bruch in etwannige Mauern verwandelt.
In Einem Punkt hab ich mich gar nichts [!] um dich bekümmert -- in Rüksicht der Heilmethode des Quintus. Die Ecken, die darin an deine20 Fühlfäden anstossen, sind eigentlich (aber nicht die natürliche Heil- methode sondern) die zufällige Öfnung dieser Pandora-Büchse, die zu- fällige Anlangung des Schlüssels, und das Gewagte im eigenmächtigen Sontagsläuten. Und diese Ecken hab ich, so gut's der Einfug leidet, weggestossen. Gegen deinen Rath, den Pfarrer blos durch die Zeit zu25 kurieren, wäre und ist das einzuwenden: daß unser Gefühl allezeit etwas anders fodert als das, was es voraussieht. "Weiter wars nichts? Das wust' ich so!" sagt es. Kurz keine Entwickelung kan gelten, die auf mei- nem freien Willen beruht -- sie mus die Tochter der Verwickelung sein.
Der Eckel vor dem Eckel ist wie bei meinem Emanuel ein karakte-30 ristischer Zug von dir: deine Strenge wäre für englische und noch mehr für satirische Autores Höllenstein. Zu gros ist sie wenigstens gegen das Wort "Beriechen" von einem Kuchengarten gebraucht.
Ich werde jezt sogleich zu dir hinüberlaufen und erst um 10 1/3 Uhr sagen: gute Nacht.35
Richter
N. S. Gieb mir lieber das Andere später zurük als dieses.
5*
wie ein hängender Garten, und den gedrukten antithetiſchen über die 3 Revoluzionen ausgenommen. —
Das Wort „Idylle“ iſt die rechte Bezeichnung für alle Hiſtorien des J. Pauls: die Hiſtorie meines eignen Lebens führ’ ich in mir ſelber idyllenhaft.5
Die Tag- und Nacht-Gleiche, die du von einer Idylle foderſt, iſt gegründet; aber ich traf es nur, weil mein Gefühl ſtärker war als mein Wille: denn eben wegen dieſes Mittelpreiſes aller Szenen darin dacht’ ich, (weil nichts darin ſo heftig auszuführen war wie im Heſperus oder in der künftigen Biographie), ich würde dümmer und matter.10
Ich gebe dir — der Kollazion wegen, wie das über den Fälbel — deine Blätter zurük zur Retour an mich. Daß Fixlein grüne Finger mitbringt, iſt nicht Humor, ſondern Selbſtvergeſſenheit aus übler Er-[60] ziehung, und Wunſch und Mangel der Lebensart zugleich.
Deine Kritik über das lockere mürbe des lezten Kapitels fand ich15 unter dem Total Ueberleſen wahr; ich habe nach Vermögen die ge- ſchlichteten Ruthen von Steinen aus dem Bruch in etwannige Mauern verwandelt.
In Einem Punkt hab ich mich gar nichts [!] um dich bekümmert — in Rükſicht der Heilmethode des Quintus. Die Ecken, die darin an deine20 Fühlfäden anſtoſſen, ſind eigentlich (aber nicht die natürliche Heil- methode ſondern) die zufällige Öfnung dieſer Pandora-Büchſe, die zu- fällige Anlangung des Schlüſſels, und das Gewagte im eigenmächtigen Sontagsläuten. Und dieſe Ecken hab ich, ſo gut’s der Einfug leidet, weggeſtoſſen. Gegen deinen Rath, den Pfarrer blos durch die Zeit zu25 kurieren, wäre und iſt das einzuwenden: daß unſer Gefühl allezeit etwas anders fodert als das, was es vorausſieht. „Weiter wars nichts? Das wuſt’ ich ſo!“ ſagt es. Kurz keine Entwickelung kan gelten, die auf mei- nem freien Willen beruht — ſie mus die Tochter der Verwickelung ſein.
Der Eckel vor dem Eckel iſt wie bei meinem Emanuel ein karakte-30 riſtiſcher Zug von dir: deine Strenge wäre für engliſche und noch mehr für ſatiriſche Autores Höllenſtein. Zu gros iſt ſie wenigſtens gegen das Wort „Beriechen“ von einem Kuchengarten gebraucht.
Ich werde jezt ſogleich zu dir hinüberlaufen und erſt um 10⅓ Uhr ſagen: gute Nacht.35
Richter
N. S. Gieb mir lieber das Andere ſpäter zurük als dieſes.
5*
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[67/0076]
wie ein hängender Garten, und den gedrukten antithetiſchen über die
3 Revoluzionen ausgenommen. —
Das Wort „Idylle“ iſt die rechte Bezeichnung für alle Hiſtorien des
J. Pauls: die Hiſtorie meines eignen Lebens führ’ ich in mir ſelber
idyllenhaft. 5
Die Tag- und Nacht-Gleiche, die du von einer Idylle foderſt, iſt
gegründet; aber ich traf es nur, weil mein Gefühl ſtärker war als mein
Wille: denn eben wegen dieſes Mittelpreiſes aller Szenen darin dacht’
ich, (weil nichts darin ſo heftig auszuführen war wie im Heſperus oder
in der künftigen Biographie), ich würde dümmer und matter. 10
Ich gebe dir — der Kollazion wegen, wie das über den Fälbel —
deine Blätter zurük zur Retour an mich. Daß Fixlein grüne Finger
mitbringt, iſt nicht Humor, ſondern Selbſtvergeſſenheit aus übler Er-
ziehung, und Wunſch und Mangel der Lebensart zugleich.
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Deine Kritik über das lockere mürbe des lezten Kapitels fand ich 15
unter dem Total Ueberleſen wahr; ich habe nach Vermögen die ge-
ſchlichteten Ruthen von Steinen aus dem Bruch in etwannige Mauern
verwandelt.
In Einem Punkt hab ich mich gar nichts [!] um dich bekümmert —
in Rükſicht der Heilmethode des Quintus. Die Ecken, die darin an deine 20
Fühlfäden anſtoſſen, ſind eigentlich (aber nicht die natürliche Heil-
methode ſondern) die zufällige Öfnung dieſer Pandora-Büchſe, die zu-
fällige Anlangung des Schlüſſels, und das Gewagte im eigenmächtigen
Sontagsläuten. Und dieſe Ecken hab ich, ſo gut’s der Einfug leidet,
weggeſtoſſen. Gegen deinen Rath, den Pfarrer blos durch die Zeit zu 25
kurieren, wäre und iſt das einzuwenden: daß unſer Gefühl allezeit etwas
anders fodert als das, was es vorausſieht. „Weiter wars nichts? Das
wuſt’ ich ſo!“ ſagt es. Kurz keine Entwickelung kan gelten, die auf mei-
nem freien Willen beruht — ſie mus die Tochter der Verwickelung ſein.
Der Eckel vor dem Eckel iſt wie bei meinem Emanuel ein karakte- 30
riſtiſcher Zug von dir: deine Strenge wäre für engliſche und noch mehr
für ſatiriſche Autores Höllenſtein. Zu gros iſt ſie wenigſtens gegen das
Wort „Beriechen“ von einem Kuchengarten gebraucht.
Ich werde jezt ſogleich zu dir hinüberlaufen und erſt um 10⅓ Uhr
ſagen: gute Nacht. 35
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N. S. Gieb mir lieber das Andere ſpäter zurük als dieſes.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/76>, abgerufen am 16.02.2025.
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