Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958.101. An Christian Otto. [Hof, 22. April 1795]Hier ist der prächtige Ardinghello zurük, von dem man alle Jahre Kanst du mir nicht den Mnioch nur auf Vormittag vorstrecken? 102. An Emanuel. Hof. d. 15 Apr. 95.Mein guter Guter, Gerade in der Stunde, wo ich Ihren Brief weglege, fang' ich meinen10 Erstlich über mein "Leider hab' ich mehr über als von den Juden15 d. 23 April. Allerdings haben Sie Recht, daß der Talmudist sich in den äusser-25 101. An Chriſtian Otto. [Hof, 22. April 1795]Hier iſt der prächtige Ardinghello zurük, von dem man alle Jahre Kanſt du mir nicht den Mnioch nur auf Vormittag vorſtrecken? 102. An Emanuel. Hof. d. 15 Apr. 95.Mein guter Guter, Gerade in der Stunde, wo ich Ihren Brief weglege, fang’ ich meinen10 Erſtlich über mein „Leider hab’ ich mehr über als von den Juden15 d. 23 April. Allerdings haben Sie Recht, daß der Talmudiſt ſich in den äuſſer-25 <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0085" n="76"/> <div type="letter" n="1"> <head>101. An <hi rendition="#g">Chriſtian Otto.</hi></head><lb/> <dateline> <hi rendition="#right">[Hof, 22. April 1795]</hi> </dateline><lb/> <p>Hier iſt der prächtige Ardinghello zurük, von dem man alle Jahre<lb/> eine neue unveränderte Auflage machen ſolte, damit man nur einen<lb/> Vorwand hätte, ihn wieder zu leſen. —<lb n="5"/> </p> <p>Kanſt du mir nicht den <hi rendition="#aq">Mnioch</hi> nur auf Vormittag vorſtrecken?</p> </div><lb/> <div type="letter" n="1"> <head>102. An <hi rendition="#g">Emanuel.</hi></head><lb/> <dateline> <hi rendition="#right"><hi rendition="#aq">Hof. d. 15 Apr.</hi> 95.</hi> </dateline><lb/> <opener> <salute> <hi rendition="#et">Mein guter Guter,</hi> </salute> </opener><lb/> <p>Gerade in der Stunde, wo ich Ihren Brief weglege, fang’ ich meinen<lb n="10"/> an. Ihrer iſt für mich ein Katheder oder vielmehr ein Hohlſpiegel, der<lb/> mir im Rauche der Worte den abgeſchiedenen <hi rendition="#g">Geiſt</hi> des Judenthums<lb/> ſchwebend darſtelt. — Mein Brief ſol ein Sekundawechſel des Ihrigen<lb/> ſein oder vielmehr eine 2<hi rendition="#sup">te</hi> Auflage deſſelben.</p><lb/> <p>Erſtlich über mein „<hi rendition="#g">Leider</hi> hab’ ich mehr über als von den Juden<lb n="15"/> geleſen“ Das kan nichts heiſſen als ich beklag’ es, daß ich die Unter-<lb/> drükten faſt blos aus dem Munde der Unterdrücker kenne — daß<lb/> Chriſten die Portraitmaler der Juden ſind, denen nicht mehr zu glauben<lb/> iſt als wenn Juden die Portraitmaler der Chriſten ſind. Denn der feine<lb/> Geiſt jedes Volkes — eines ſo unähnlichen zumal — verdampft wie<lb n="20"/> jeder Spiritus, in allen Schilderungen; und nur aus der Geſchichte, dem<lb/> Leben und den Schriften des Volkes ſelber iſt ſein <hi rendition="#aq">spiritus rector,</hi> ſein<lb/> Lebensgeiſt rein abzudunſten und zu kohobieren.</p><lb/> <div n="2"> <dateline> <hi rendition="#left">d. 23 April.</hi> </dateline><lb/> <p>Allerdings haben Sie Recht, daß der Talmudiſt ſich in den <hi rendition="#g">äuſſer-<lb n="25"/> ſten</hi> Gränzen ſeiner Beſtimmungen gefalle; auch darin haben Sie<lb/> Recht, womit Sie ihn rechtfertigen, daß einer nämlich, der über ein<lb/> kleines Geſez wegſchreitet, endlich auch das groſſe überſpringe. Aber<lb/> damit iſt der Talmudiſt wenig gerettet. Zwar wird man tugendhaft<lb/><hi rendition="#g">auf einmal,</hi> d. h. durch einen plözlichen ewigen Entſchlus, durch ſo-<lb n="30"/> <note place="left"><ref target="1922_Bd2_70">[70]</ref></note>genante Bekehrung, die aber noch keine Tugendfertigkeit iſt, und laſter-<lb/> haft wird man <hi rendition="#g">almählig,</hi> jeden Tag ſezet eine trübe Welle neuen<lb/> Schlam ab — und ich ſage in meinen <hi rendition="#aq">Hundsposttagen:</hi> „die Tugend<lb/> zieht nur durch <hi rendition="#g">Portale</hi> in uns ein, aber der Teufel durchs Fenſter und<lb/> durch <hi rendition="#g">Sphinkter</hi> und alle Poren.“ Allein ich behaupte, der Talmud<lb n="35"/> </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [76/0085]
101. An Chriſtian Otto.
[Hof, 22. April 1795]
Hier iſt der prächtige Ardinghello zurük, von dem man alle Jahre
eine neue unveränderte Auflage machen ſolte, damit man nur einen
Vorwand hätte, ihn wieder zu leſen. — 5
Kanſt du mir nicht den Mnioch nur auf Vormittag vorſtrecken?
102. An Emanuel.
Hof. d. 15 Apr. 95.
Mein guter Guter,
Gerade in der Stunde, wo ich Ihren Brief weglege, fang’ ich meinen 10
an. Ihrer iſt für mich ein Katheder oder vielmehr ein Hohlſpiegel, der
mir im Rauche der Worte den abgeſchiedenen Geiſt des Judenthums
ſchwebend darſtelt. — Mein Brief ſol ein Sekundawechſel des Ihrigen
ſein oder vielmehr eine 2te Auflage deſſelben.
Erſtlich über mein „Leider hab’ ich mehr über als von den Juden 15
geleſen“ Das kan nichts heiſſen als ich beklag’ es, daß ich die Unter-
drükten faſt blos aus dem Munde der Unterdrücker kenne — daß
Chriſten die Portraitmaler der Juden ſind, denen nicht mehr zu glauben
iſt als wenn Juden die Portraitmaler der Chriſten ſind. Denn der feine
Geiſt jedes Volkes — eines ſo unähnlichen zumal — verdampft wie 20
jeder Spiritus, in allen Schilderungen; und nur aus der Geſchichte, dem
Leben und den Schriften des Volkes ſelber iſt ſein spiritus rector, ſein
Lebensgeiſt rein abzudunſten und zu kohobieren.
d. 23 April.
Allerdings haben Sie Recht, daß der Talmudiſt ſich in den äuſſer- 25
ſten Gränzen ſeiner Beſtimmungen gefalle; auch darin haben Sie
Recht, womit Sie ihn rechtfertigen, daß einer nämlich, der über ein
kleines Geſez wegſchreitet, endlich auch das groſſe überſpringe. Aber
damit iſt der Talmudiſt wenig gerettet. Zwar wird man tugendhaft
auf einmal, d. h. durch einen plözlichen ewigen Entſchlus, durch ſo- 30
genante Bekehrung, die aber noch keine Tugendfertigkeit iſt, und laſter-
haft wird man almählig, jeden Tag ſezet eine trübe Welle neuen
Schlam ab — und ich ſage in meinen Hundsposttagen: „die Tugend
zieht nur durch Portale in uns ein, aber der Teufel durchs Fenſter und
durch Sphinkter und alle Poren.“ Allein ich behaupte, der Talmud 35
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(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen). Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
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