Hier ist der prächtige Ardinghello zurük, von dem man alle Jahre eine neue unveränderte Auflage machen solte, damit man nur einen Vorwand hätte, ihn wieder zu lesen. --5
Kanst du mir nicht den Mnioch nur auf Vormittag vorstrecken?
102. An Emanuel.
Hof. d. 15 Apr. 95.
Mein guter Guter,
Gerade in der Stunde, wo ich Ihren Brief weglege, fang' ich meinen10 an. Ihrer ist für mich ein Katheder oder vielmehr ein Hohlspiegel, der mir im Rauche der Worte den abgeschiedenen Geist des Judenthums schwebend darstelt. -- Mein Brief sol ein Sekundawechsel des Ihrigen sein oder vielmehr eine 2te Auflage desselben.
Erstlich über mein "Leider hab' ich mehr über als von den Juden15 gelesen" Das kan nichts heissen als ich beklag' es, daß ich die Unter- drükten fast blos aus dem Munde der Unterdrücker kenne -- daß Christen die Portraitmaler der Juden sind, denen nicht mehr zu glauben ist als wenn Juden die Portraitmaler der Christen sind. Denn der feine Geist jedes Volkes -- eines so unähnlichen zumal -- verdampft wie20 jeder Spiritus, in allen Schilderungen; und nur aus der Geschichte, dem Leben und den Schriften des Volkes selber ist sein spiritus rector, sein Lebensgeist rein abzudunsten und zu kohobieren.
d. 23 April.
Allerdings haben Sie Recht, daß der Talmudist sich in den äusser-25 sten Gränzen seiner Bestimmungen gefalle; auch darin haben Sie Recht, womit Sie ihn rechtfertigen, daß einer nämlich, der über ein kleines Gesez wegschreitet, endlich auch das grosse überspringe. Aber damit ist der Talmudist wenig gerettet. Zwar wird man tugendhaft auf einmal, d. h. durch einen plözlichen ewigen Entschlus, durch so-30 [70]genante Bekehrung, die aber noch keine Tugendfertigkeit ist, und laster- haft wird man almählig, jeden Tag sezet eine trübe Welle neuen Schlam ab -- und ich sage in meinen Hundsposttagen: "die Tugend zieht nur durch Portale in uns ein, aber der Teufel durchs Fenster und durch Sphinkter und alle Poren." Allein ich behaupte, der Talmud35
101. An Chriſtian Otto.
[Hof, 22. April 1795]
Hier iſt der prächtige Ardinghello zurük, von dem man alle Jahre eine neue unveränderte Auflage machen ſolte, damit man nur einen Vorwand hätte, ihn wieder zu leſen. —5
Kanſt du mir nicht den Mnioch nur auf Vormittag vorſtrecken?
102. An Emanuel.
Hof. d. 15 Apr. 95.
Mein guter Guter,
Gerade in der Stunde, wo ich Ihren Brief weglege, fang’ ich meinen10 an. Ihrer iſt für mich ein Katheder oder vielmehr ein Hohlſpiegel, der mir im Rauche der Worte den abgeſchiedenen Geiſt des Judenthums ſchwebend darſtelt. — Mein Brief ſol ein Sekundawechſel des Ihrigen ſein oder vielmehr eine 2te Auflage deſſelben.
Erſtlich über mein „Leider hab’ ich mehr über als von den Juden15 geleſen“ Das kan nichts heiſſen als ich beklag’ es, daß ich die Unter- drükten faſt blos aus dem Munde der Unterdrücker kenne — daß Chriſten die Portraitmaler der Juden ſind, denen nicht mehr zu glauben iſt als wenn Juden die Portraitmaler der Chriſten ſind. Denn der feine Geiſt jedes Volkes — eines ſo unähnlichen zumal — verdampft wie20 jeder Spiritus, in allen Schilderungen; und nur aus der Geſchichte, dem Leben und den Schriften des Volkes ſelber iſt ſein spiritus rector, ſein Lebensgeiſt rein abzudunſten und zu kohobieren.
d. 23 April.
Allerdings haben Sie Recht, daß der Talmudiſt ſich in den äuſſer-25 ſten Gränzen ſeiner Beſtimmungen gefalle; auch darin haben Sie Recht, womit Sie ihn rechtfertigen, daß einer nämlich, der über ein kleines Geſez wegſchreitet, endlich auch das groſſe überſpringe. Aber damit iſt der Talmudiſt wenig gerettet. Zwar wird man tugendhaft auf einmal, d. h. durch einen plözlichen ewigen Entſchlus, durch ſo-30 [70]genante Bekehrung, die aber noch keine Tugendfertigkeit iſt, und laſter- haft wird man almählig, jeden Tag ſezet eine trübe Welle neuen Schlam ab — und ich ſage in meinen Hundsposttagen: „die Tugend zieht nur durch Portale in uns ein, aber der Teufel durchs Fenſter und durch Sphinkter und alle Poren.“ Allein ich behaupte, der Talmud35
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101. An Chriſtian Otto.
[Hof, 22. April 1795]
Hier iſt der prächtige Ardinghello zurük, von dem man alle Jahre
eine neue unveränderte Auflage machen ſolte, damit man nur einen
Vorwand hätte, ihn wieder zu leſen. — 5
Kanſt du mir nicht den Mnioch nur auf Vormittag vorſtrecken?
102. An Emanuel.
Hof. d. 15 Apr. 95.
Mein guter Guter,
Gerade in der Stunde, wo ich Ihren Brief weglege, fang’ ich meinen 10
an. Ihrer iſt für mich ein Katheder oder vielmehr ein Hohlſpiegel, der
mir im Rauche der Worte den abgeſchiedenen Geiſt des Judenthums
ſchwebend darſtelt. — Mein Brief ſol ein Sekundawechſel des Ihrigen
ſein oder vielmehr eine 2te Auflage deſſelben.
Erſtlich über mein „Leider hab’ ich mehr über als von den Juden 15
geleſen“ Das kan nichts heiſſen als ich beklag’ es, daß ich die Unter-
drükten faſt blos aus dem Munde der Unterdrücker kenne — daß
Chriſten die Portraitmaler der Juden ſind, denen nicht mehr zu glauben
iſt als wenn Juden die Portraitmaler der Chriſten ſind. Denn der feine
Geiſt jedes Volkes — eines ſo unähnlichen zumal — verdampft wie 20
jeder Spiritus, in allen Schilderungen; und nur aus der Geſchichte, dem
Leben und den Schriften des Volkes ſelber iſt ſein spiritus rector, ſein
Lebensgeiſt rein abzudunſten und zu kohobieren.
d. 23 April.
Allerdings haben Sie Recht, daß der Talmudiſt ſich in den äuſſer- 25
ſten Gränzen ſeiner Beſtimmungen gefalle; auch darin haben Sie
Recht, womit Sie ihn rechtfertigen, daß einer nämlich, der über ein
kleines Geſez wegſchreitet, endlich auch das groſſe überſpringe. Aber
damit iſt der Talmudiſt wenig gerettet. Zwar wird man tugendhaft
auf einmal, d. h. durch einen plözlichen ewigen Entſchlus, durch ſo- 30
genante Bekehrung, die aber noch keine Tugendfertigkeit iſt, und laſter-
haft wird man almählig, jeden Tag ſezet eine trübe Welle neuen
Schlam ab — und ich ſage in meinen Hundsposttagen: „die Tugend
zieht nur durch Portale in uns ein, aber der Teufel durchs Fenſter und
durch Sphinkter und alle Poren.“ Allein ich behaupte, der Talmud 35
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/85>, abgerufen am 16.02.2025.
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