am Ende ists auch einerlei, ob man einen gedrukt oder geschrieben lieset. Aber für den, der nichts kriegt, weder Gedruktes noch Ge- schriebenes, wie ich, ists zweierlei. Schreiben Sie mir recht bald und zwar einige Empfindungen oder Urtheile über mein Buch.
Sie schrieben mir, es stände darin: "Gott denkt nur unserer wenn5 wir seiner denken." Nein, ich habe gesagt: Gott denkt sich nur uns, wenn wir ihn denken, d. h. unsere Idee von ihm ist so klein, daß die, die er von uns hat, gerade die ist, die wir von ihm haben, oder unser Bild von Gott sieht in den götlichen Gedanken seinem Bilde von uns gleich. Ihrem Namensvetter durft' ich schon diesen kühnen Gedanken10 in den Mund legen.
Gewisse feurige Kapitel lesen Sie in Einem Size, weil die Theilung soviel ist als besucht' ich heute den 1 Akt einer Tragödie und am fünften Tage den 5ten. Solche sind das 28 -- 31 -- 33 -- 34 -- 35 -- 36 -- 38 -- 42 -- Auch blättern Sie nicht voraus, Sie zer-15 stöhren Sich die ganze Täuschung.
In wenig Wochen wird Ihr Strichvogel, ich, wieder sein wämeres Klima aufsuchen, Bayreuth.
Ich habe noch immer so viel zu machen, daß ich keinen Brief machen kan. Auch wirbeln mich die Strudel des neu aufquellenden20 Frühlings umher und die Natur bindet einen [!] mit ihren langen Blumenketten die Hände zum Schreiben.
Ich suche mich noch immer bei meinem Gefühle zu entschuldigen, daß ich von der Freundschaft des H. Schäfers einen so eigennüzigen Gebrauch gemacht; und auf Sie leg' ich die halbe Schuld, da Sie meine25 blosse Frage so schnel und so gütig in eine Bitte verwandelt haben.
Renate schikt Ihnen 10000 etc. Grüsse mit.
Leben Sie wol, Lieber und übergeben Sie Ihrem und meinem Freunde auch Grüsse von
Ihrem30 Freund Richter.
118. An Wernlein in Neustadt a. d. Aisch.[84]
[Kopie][Hof, 3. Juni 1795]
Künftig lass' ich nur Briefe in Zentes[imo], Viges[imo], Oktavo35 Format an dich ab. Hast du in einer so langen Zeit keine Stunde vol
am Ende iſts auch einerlei, ob man einen gedrukt oder geſchrieben lieſet. Aber für den, der nichts kriegt, weder Gedruktes noch Ge- ſchriebenes, wie ich, iſts zweierlei. Schreiben Sie mir recht bald und zwar einige Empfindungen oder Urtheile über mein Buch.
Sie ſchrieben mir, es ſtände darin: „Gott denkt nur unſerer wenn5 wir ſeiner denken.“ Nein, ich habe geſagt: Gott denkt ſich nur uns, wenn wir ihn denken, d. h. unſere Idee von ihm iſt ſo klein, daß die, die er von uns hat, gerade die iſt, die wir von ihm haben, oder unſer Bild von Gott ſieht in den götlichen Gedanken ſeinem Bilde von uns gleich. Ihrem Namensvetter durft’ ich ſchon dieſen kühnen Gedanken10 in den Mund legen.
Gewiſſe feurige Kapitel leſen Sie in Einem Size, weil die Theilung ſoviel iſt als beſucht’ ich heute den 1 Akt einer Tragödie und am fünften Tage den 5ten. Solche ſind das 28 — 31 — 33 — 34 — 35 — 36 — 38 — 42 — Auch blättern Sie nicht voraus, Sie zer-15 ſtöhren Sich die ganze Täuſchung.
In wenig Wochen wird Ihr Strichvogel, ich, wieder ſein wämeres Klima aufſuchen, Bayreuth.
Ich habe noch immer ſo viel zu machen, daß ich keinen Brief machen kan. Auch wirbeln mich die Strudel des neu aufquellenden20 Frühlings umher und die Natur bindet einen [!] mit ihren langen Blumenketten die Hände zum Schreiben.
Ich ſuche mich noch immer bei meinem Gefühle zu entſchuldigen, daß ich von der Freundſchaft des H. Schäfers einen ſo eigennüzigen Gebrauch gemacht; und auf Sie leg’ ich die halbe Schuld, da Sie meine25 bloſſe Frage ſo ſchnel und ſo gütig in eine Bitte verwandelt haben.
Renate ſchikt Ihnen 10000 ꝛc. Grüſſe mit.
Leben Sie wol, Lieber und übergeben Sie Ihrem und meinem Freunde auch Grüſſe von
Ihrem30 Freund Richter.
118. An Wernlein in Neuſtadt a. d. Aiſch.[84]
[Kopie][Hof, 3. Juni 1795]
Künftig laſſ’ ich nur Briefe in Zenteſ[imo], Vigeſ[imo], Oktavo35 Format an dich ab. Haſt du in einer ſo langen Zeit keine Stunde vol
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am Ende iſts auch einerlei, ob man einen gedrukt oder geſchrieben
lieſet. Aber für den, der nichts kriegt, weder Gedruktes noch Ge-
ſchriebenes, wie ich, iſts zweierlei. Schreiben Sie mir recht bald und
zwar einige Empfindungen oder Urtheile über mein Buch.
Sie ſchrieben mir, es ſtände darin: „Gott denkt nur unſerer wenn 5
wir ſeiner denken.“ Nein, ich habe geſagt: Gott denkt ſich nur uns,
wenn wir ihn denken, d. h. unſere Idee von ihm iſt ſo klein, daß die,
die er von uns hat, gerade die iſt, die wir von ihm haben, oder unſer
Bild von Gott ſieht in den götlichen Gedanken ſeinem Bilde von uns
gleich. Ihrem Namensvetter durft’ ich ſchon dieſen kühnen Gedanken 10
in den Mund legen.
Gewiſſe feurige Kapitel leſen Sie in Einem Size, weil die Theilung
ſoviel iſt als beſucht’ ich heute den 1 Akt einer Tragödie und am
fünften Tage den 5ten. Solche ſind das 28 — 31 — 33 — 34 —
35 — 36 — 38 — 42 — Auch blättern Sie nicht voraus, Sie zer- 15
ſtöhren Sich die ganze Täuſchung.
In wenig Wochen wird Ihr Strichvogel, ich, wieder ſein wämeres
Klima aufſuchen, Bayreuth.
Ich habe noch immer ſo viel zu machen, daß ich keinen Brief
machen kan. Auch wirbeln mich die Strudel des neu aufquellenden 20
Frühlings umher und die Natur bindet einen [!] mit ihren langen
Blumenketten die Hände zum Schreiben.
Ich ſuche mich noch immer bei meinem Gefühle zu entſchuldigen,
daß ich von der Freundſchaft des H. Schäfers einen ſo eigennüzigen
Gebrauch gemacht; und auf Sie leg’ ich die halbe Schuld, da Sie meine 25
bloſſe Frage ſo ſchnel und ſo gütig in eine Bitte verwandelt haben.
Renate ſchikt Ihnen 10000 ꝛc. Grüſſe mit.
Leben Sie wol, Lieber und übergeben Sie Ihrem und meinem
Freunde auch Grüſſe von
Ihrem 30
Freund
Richter.
118. An Wernlein in Neuſtadt a. d. Aiſch.
[Hof, 3. Juni 1795]
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/99>, abgerufen am 16.02.2025.
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