feste, nachsehende und nachlaufende, biedere, klare Frau. Da im Reichs- anzeiger über die Ruhr von Erkältung gelesen wurde: brachte sie mir warme Strümpfe aus Angst. Wieland stürbe an ihrem, wie sie an seinem Tode. Er hat mir seine Liebesgeschichten erzählt und also auch die lezte. Ach was hätt ich nicht alles vor dein Ohr und Herz zu bringen?5 In seinen Cölibats- und Witwen-Töchtern liegen schöne Herzen, aber mit den Gesichtern wils nicht fort. Und doch -- Aber anders: nämlich sie sagte ihm Mittags den Vorschlag (und er behauptete ihn schon am Morgen gedacht zu haben) daß ich im entgegengesezten Hause wohnen (von Leipzig wegziehen) und bei ihnen essen solte (für Geld) -- er sagte,10 er bekomme neues Leben durch mich -- und alle liebten mich; -- natür- lich weil ich sie immer lachen mache und weil man die ganze Familie lieben mus. Ich verhies, in Weimar nachzusinnen. Allein das geht nicht, weil zwei Dichter nicht ewig zusammenpassen -- weil ich keine Kette, und wäre sie aus Duft an der blassen Mondsgluth geschmiedet,15 anhaben wil -- und weil ich gewis weis, daß ich in der Einsamkeit und in der Geselschaft darauf am Ende eine von seinen Töchtern heirathen würde, welches gegen meinen Plan ist. --
Ich wolte nach Gotha reisen, es wurde mir von mir und andern ausgeredet.20
Ich durfte Sonabends nicht fort, war schon auf den Sontag beredet, als Merkel kam und mich im Wagen mitnahm. Bei Herder Sontags abends sah ich Falk -- lang, schlank, mit wenig gebogner Nase, fest- sprechend, mehr mit den Personalien der Erde befangen, und angenehm[102] -- und Professor Meier, den tiefen Maler und Kunstkenner, aussen-25 und als Mensch unbedeutend. -- Am Sontage der Abwesenheit solt' ich bei der Herzogin und bei der Wohlzogen essen. -- Montags Mittags diner bei Lichtenberg -- abends bei Herder -- Dienstags Mittags hoff ich hier. -- Aber jezt lässet meine Memorie nach; kurz ich as nur 2mal im Gasthof und jeden Abend bei Herder, 2 ausgenom-30 men, den am Donnerstag bei der Wohlzogen, wo es einen Puntsch ohne Gleichen gab, weil Rum stat Arrak seine Seele war und wo die Herren bei jeder Bowle sich zu einer neuen entschlossen. --
-- -- Ich komme eben wieder vom diner bei Herder und sas mehrere Stunden mit ihm allein in einer Laube. O lieber Otto, wie sol35 ich dir diesen grossen Geist auf der rechten Anhöhe zeigen, vor dem mein kleiner sich spanisch und türkisch beugt -- diesen durchgötterten
feſte, nachſehende und nachlaufende, biedere, klare Frau. Da im Reichs- anzeiger über die Ruhr von Erkältung geleſen wurde: brachte ſie mir warme Strümpfe aus Angſt. Wieland ſtürbe an ihrem, wie ſie an ſeinem Tode. Er hat mir ſeine Liebesgeſchichten erzählt und alſo auch die lezte. Ach was hätt ich nicht alles vor dein Ohr und Herz zu bringen?5 In ſeinen Cölibats- und Witwen-Töchtern liegen ſchöne Herzen, aber mit den Geſichtern wils nicht fort. Und doch — Aber anders: nämlich ſie ſagte ihm Mittags den Vorſchlag (und er behauptete ihn ſchon am Morgen gedacht zu haben) daß ich im entgegengeſezten Hauſe wohnen (von Leipzig wegziehen) und bei ihnen eſſen ſolte (für Geld) — er ſagte,10 er bekomme neues Leben durch mich — und alle liebten mich; — natür- lich weil ich ſie immer lachen mache und weil man die ganze Familie lieben mus. Ich verhies, in Weimar nachzuſinnen. Allein das geht nicht, weil zwei Dichter nicht ewig zuſammenpaſſen — weil ich keine Kette, und wäre ſie aus Duft an der blaſſen Mondsgluth geſchmiedet,15 anhaben wil — und weil ich gewis weis, daß ich in der Einſamkeit und in der Geſelſchaft darauf am Ende eine von ſeinen Töchtern heirathen würde, welches gegen meinen Plan iſt. —
Ich wolte nach Gotha reiſen, es wurde mir von mir und andern ausgeredet.20
Ich durfte Sonabends nicht fort, war ſchon auf den Sontag beredet, als Merkel kam und mich im Wagen mitnahm. Bei Herder Sontags abends ſah ich Falk — lang, ſchlank, mit wenig gebogner Naſe, feſt- ſprechend, mehr mit den Perſonalien der Erde befangen, und angenehm[102] — und Profeſſor Meier, den tiefen Maler und Kunſtkenner, auſſen-25 und als Menſch unbedeutend. — Am Sontage der Abweſenheit ſolt’ ich bei der Herzogin und bei der Wohlzogen eſſen. — Montags Mittags diner bei Lichtenberg — abends bei Herder — Dienſtags Mittags hoff ich hier. — Aber jezt läſſet meine Memorie nach; kurz ich as nur 2mal im Gaſthof und jeden Abend bei Herder, 2 ausgenom-30 men, den am Donnerſtag bei der Wohlzogen, wo es einen Puntſch ohne Gleichen gab, weil Rum ſtat Arrak ſeine Seele war und wo die Herren bei jeder Bowle ſich zu einer neuen entſchloſſen. —
— — Ich komme eben wieder vom diner bei Herder und ſas mehrere Stunden mit ihm allein in einer Laube. O lieber Otto, wie ſol35 ich dir dieſen groſſen Geiſt auf der rechten Anhöhe zeigen, vor dem mein kleiner ſich ſpaniſch und türkiſch beugt — dieſen durchgötterten
<TEI><text><body><divtype="letter"n="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0102"n="93"/>
feſte, nachſehende und nachlaufende, biedere, klare Frau. Da im Reichs-<lb/>
anzeiger über die Ruhr von Erkältung geleſen wurde: brachte ſie mir<lb/>
warme Strümpfe aus Angſt. Wieland ſtürbe an ihrem, wie ſie an<lb/>ſeinem Tode. Er hat mir ſeine Liebesgeſchichten erzählt und alſo auch<lb/>
die lezte. Ach was hätt ich nicht alles vor dein Ohr und Herz zu bringen?<lbn="5"/>
In ſeinen Cölibats- und Witwen-Töchtern liegen ſchöne Herzen, aber<lb/>
mit den Geſichtern wils nicht fort. Und doch — Aber anders: nämlich<lb/>ſie ſagte ihm Mittags den Vorſchlag (und er behauptete ihn ſchon am<lb/>
Morgen gedacht zu haben) daß ich im entgegengeſezten Hauſe wohnen<lb/>
(von Leipzig wegziehen) und bei ihnen eſſen ſolte (für Geld) — er ſagte,<lbn="10"/>
er bekomme neues Leben durch mich — und alle liebten mich; — natür-<lb/>
lich weil ich ſie immer lachen mache und weil man die ganze Familie<lb/>
lieben mus. Ich verhies, in <hirendition="#aq">Weimar</hi> nachzuſinnen. Allein das geht<lb/>
nicht, weil zwei Dichter nicht ewig zuſammenpaſſen — weil ich keine<lb/>
Kette, und wäre ſie aus Duft an der blaſſen Mondsgluth geſchmiedet,<lbn="15"/>
anhaben wil — und weil ich gewis weis, daß ich in der Einſamkeit und<lb/>
in der Geſelſchaft darauf am Ende eine von ſeinen Töchtern heirathen<lb/>
würde, welches gegen meinen Plan iſt. —</p><lb/><p>Ich wolte nach Gotha reiſen, es wurde mir von mir und andern<lb/>
ausgeredet.<lbn="20"/></p><lb/><p>Ich durfte Sonabends nicht fort, war ſchon auf den Sontag beredet,<lb/>
als Merkel kam und mich im Wagen mitnahm. Bei <hirendition="#aq">Herder</hi> Sontags<lb/>
abends ſah ich Falk — lang, ſchlank, mit wenig gebogner Naſe, feſt-<lb/>ſprechend, mehr mit den Perſonalien der Erde befangen, und angenehm<noteplace="right"><reftarget="1922_Bd3_102">[102]</ref></note><lb/>— und Profeſſor Meier, den tiefen Maler und Kunſtkenner, auſſen-<lbn="25"/>
und als Menſch unbedeutend. — Am Sontage der Abweſenheit ſolt’<lb/>
ich bei der Herzogin und bei der Wohlzogen eſſen. — Montags<lb/>
Mittags <hirendition="#aq">diner</hi> bei Lichtenberg — abends bei <hirendition="#aq">Herder</hi>— Dienſtags<lb/>
Mittags hoff ich hier. — Aber jezt läſſet meine Memorie nach; kurz<lb/>
ich as nur 2mal im Gaſthof und jeden Abend bei <hirendition="#aq">Herder,</hi> 2 ausgenom-<lbn="30"/>
men, den am Donnerſtag bei der Wohlzogen, wo es einen Puntſch<lb/>
ohne Gleichen gab, weil Rum ſtat Arrak ſeine Seele war und wo die<lb/>
Herren bei jeder Bowle ſich zu einer neuen entſchloſſen. —</p><lb/><p>—— Ich komme eben wieder vom <hirendition="#aq">diner</hi> bei <hirendition="#aq">Herder</hi> und ſas<lb/>
mehrere Stunden mit ihm allein in einer Laube. O lieber Otto, wie ſol<lbn="35"/>
ich dir dieſen groſſen Geiſt auf der rechten Anhöhe zeigen, vor dem<lb/>
mein kleiner ſich ſpaniſch und türkiſch beugt — dieſen durchgötterten<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[93/0102]
feſte, nachſehende und nachlaufende, biedere, klare Frau. Da im Reichs-
anzeiger über die Ruhr von Erkältung geleſen wurde: brachte ſie mir
warme Strümpfe aus Angſt. Wieland ſtürbe an ihrem, wie ſie an
ſeinem Tode. Er hat mir ſeine Liebesgeſchichten erzählt und alſo auch
die lezte. Ach was hätt ich nicht alles vor dein Ohr und Herz zu bringen? 5
In ſeinen Cölibats- und Witwen-Töchtern liegen ſchöne Herzen, aber
mit den Geſichtern wils nicht fort. Und doch — Aber anders: nämlich
ſie ſagte ihm Mittags den Vorſchlag (und er behauptete ihn ſchon am
Morgen gedacht zu haben) daß ich im entgegengeſezten Hauſe wohnen
(von Leipzig wegziehen) und bei ihnen eſſen ſolte (für Geld) — er ſagte, 10
er bekomme neues Leben durch mich — und alle liebten mich; — natür-
lich weil ich ſie immer lachen mache und weil man die ganze Familie
lieben mus. Ich verhies, in Weimar nachzuſinnen. Allein das geht
nicht, weil zwei Dichter nicht ewig zuſammenpaſſen — weil ich keine
Kette, und wäre ſie aus Duft an der blaſſen Mondsgluth geſchmiedet, 15
anhaben wil — und weil ich gewis weis, daß ich in der Einſamkeit und
in der Geſelſchaft darauf am Ende eine von ſeinen Töchtern heirathen
würde, welches gegen meinen Plan iſt. —
Ich wolte nach Gotha reiſen, es wurde mir von mir und andern
ausgeredet. 20
Ich durfte Sonabends nicht fort, war ſchon auf den Sontag beredet,
als Merkel kam und mich im Wagen mitnahm. Bei Herder Sontags
abends ſah ich Falk — lang, ſchlank, mit wenig gebogner Naſe, feſt-
ſprechend, mehr mit den Perſonalien der Erde befangen, und angenehm
— und Profeſſor Meier, den tiefen Maler und Kunſtkenner, auſſen- 25
und als Menſch unbedeutend. — Am Sontage der Abweſenheit ſolt’
ich bei der Herzogin und bei der Wohlzogen eſſen. — Montags
Mittags diner bei Lichtenberg — abends bei Herder — Dienſtags
Mittags hoff ich hier. — Aber jezt läſſet meine Memorie nach; kurz
ich as nur 2mal im Gaſthof und jeden Abend bei Herder, 2 ausgenom- 30
men, den am Donnerſtag bei der Wohlzogen, wo es einen Puntſch
ohne Gleichen gab, weil Rum ſtat Arrak ſeine Seele war und wo die
Herren bei jeder Bowle ſich zu einer neuen entſchloſſen. —
[102]
— — Ich komme eben wieder vom diner bei Herder und ſas
mehrere Stunden mit ihm allein in einer Laube. O lieber Otto, wie ſol 35
ich dir dieſen groſſen Geiſt auf der rechten Anhöhe zeigen, vor dem
mein kleiner ſich ſpaniſch und türkiſch beugt — dieſen durchgötterten
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/102>, abgerufen am 09.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.