Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.spannung oder ein Verständnis hatte wie jeden Tag bei Herder, Eia, wären wir da! Aber dan liebes Geschik, treibe mich nicht wieder aus, binde mich an[104] Die halbblinde Kalb ist leider nicht hier; aber der Winter bringt Als einen Begrif der höhern Libertinage führ' ich folgendes an: Auf der einen Seite bin ich euch allen jezt näher (ich brauche nur ſpannung oder ein Verſtändnis hatte wie jeden Tag bei Herder, Eia, wären wir da! Aber dan liebes Geſchik, treibe mich nicht wieder aus, binde mich an[104] Die halbblinde Kalb iſt leider nicht hier; aber der Winter bringt Als einen Begrif der höhern Libertinage führ’ ich folgendes an: Auf der einen Seite bin ich euch allen jezt näher (ich brauche nur <TEI> <text> <body> <div type="letter" n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0104" n="95"/> ſpannung oder ein Verſtändnis hatte wie jeden Tag bei <hi rendition="#aq">Herder,</hi><lb/> bleiben wolte, (und unter den abgegriffenen Krämern) da ich hier<lb/> lauter ofne Häuſer und faſt Herzen vor mir habe — die beſte Muſik —<lb/> den Adel — den Wechſel — ein Anſehen und einen beſtimten Rang ohne<lb/> Adreskalender — einen ewigen Sporn — und den Park — und meine<lb n="5"/> Luſt. Ach mehr! — Etwas thut dazu, daß mir mein ſonſt treflicher Haus-<lb/> herr ausbot, weil ſeine hiſteriſche Frau nach meiner Stube lechzete —<lb/> und weil mein Bruder mir alles erleichtert, den ich jezt, wil er ſtudieren,<lb/> nach Jena ſchicken kan. — Ach ich habe 100 Gründe! Auch hätten<lb/> gewiſſe Blumenketten in Leipzig in meine Bruſthaut eingeſägt, aus<lb n="10"/> denen ich jezt mit verleztem Herzen treten werde .. Siehſt du, dieſe Un-<lb/> gewisheit des Orts und Bleibens (daher ich <hi rendition="#aq">Halberstadt</hi> beſah)<lb/> quälte mich in der Leipziger bruderloſen Klauſe. Auch der Ort iſt<lb/> kleiner und am Herzen näher. In <hi rendition="#aq">Halberstadt</hi> verhies ich, nach<lb/><hi rendition="#aq">Halberstadt</hi> zu gehen. — <hi rendition="#aq">Corona Schroeter</hi> und <hi rendition="#aq">Einsiedel</hi> und<lb n="15"/> <hi rendition="#aq">Böttiger</hi> beſorgen mein Quartier.</p><lb/> <p> <hi rendition="#c">Eia, wären wir da!</hi> </p><lb/> <p>Aber dan liebes Geſchik, treibe mich nicht wieder aus, binde mich an<note place="right"><ref target="1922_Bd3_104">[104]</ref></note><lb/> meine Frau und an meinen Stuhl und führe mich in die Ruhe, die ich<lb/> ſonſt ſo mied. — Sieh mein guter Otto, wie ich ohne dein Mitwiſſen<lb n="20"/> nicht leben kan, und mach’ es auch ſo und laſſe dein Leben nicht durch-<lb/> ſichtig vor mir vorüberſtreichen und entſühne meine Kleinigkeiten<lb/> durch deine.</p><lb/> <p>Die halbblinde <hi rendition="#aq">Kalb</hi> iſt leider nicht hier; aber der Winter bringt<lb/> uns an einander. — Mit hoher heiterer Stille erduldet ſie ihre lange<lb n="25"/> Nacht; aber oft auf einmal bricht nach Herders Verſicherung, aus<lb/> dieſer bedekten Seele ein breiter glühender Strom.</p><lb/> <p>Als einen Begrif der höhern Libertinage führ’ ich folgendes an:<lb/> der H. v. Wolzogen (der gegen die Pohlen diente, wovon ich 1000<lb/> Anekdoten hörte und vergas) ſagte in Beiſein der Verfaſſerin der<lb n="30"/> Agnes v. Lilien: „die Hetären in Frankreich fodern ſogleich nach der<lb/> Befriedigung ihres Temperaments ihr Geld (ſein Ausdruk) — hin-<lb/> gegen die Italienerinnen küſſen einen <hi rendition="#g">darauf</hi> noch ſehr — und die<lb/> Engl[änderinnen] paſſen phlegmatiſch auf den Lohn.“ — Er gehörte in<lb/> Paris zum <hi rendition="#aq">corps diplomatique.</hi> Auf die Verfaſſerin der Agnes macht’<lb n="35"/> es keinen Effekt.</p><lb/> <p>Auf der einen Seite bin ich euch allen jezt näher (ich brauche nur<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [95/0104]
ſpannung oder ein Verſtändnis hatte wie jeden Tag bei Herder,
bleiben wolte, (und unter den abgegriffenen Krämern) da ich hier
lauter ofne Häuſer und faſt Herzen vor mir habe — die beſte Muſik —
den Adel — den Wechſel — ein Anſehen und einen beſtimten Rang ohne
Adreskalender — einen ewigen Sporn — und den Park — und meine 5
Luſt. Ach mehr! — Etwas thut dazu, daß mir mein ſonſt treflicher Haus-
herr ausbot, weil ſeine hiſteriſche Frau nach meiner Stube lechzete —
und weil mein Bruder mir alles erleichtert, den ich jezt, wil er ſtudieren,
nach Jena ſchicken kan. — Ach ich habe 100 Gründe! Auch hätten
gewiſſe Blumenketten in Leipzig in meine Bruſthaut eingeſägt, aus 10
denen ich jezt mit verleztem Herzen treten werde .. Siehſt du, dieſe Un-
gewisheit des Orts und Bleibens (daher ich Halberstadt beſah)
quälte mich in der Leipziger bruderloſen Klauſe. Auch der Ort iſt
kleiner und am Herzen näher. In Halberstadt verhies ich, nach
Halberstadt zu gehen. — Corona Schroeter und Einsiedel und 15
Böttiger beſorgen mein Quartier.
Eia, wären wir da!
Aber dan liebes Geſchik, treibe mich nicht wieder aus, binde mich an
meine Frau und an meinen Stuhl und führe mich in die Ruhe, die ich
ſonſt ſo mied. — Sieh mein guter Otto, wie ich ohne dein Mitwiſſen 20
nicht leben kan, und mach’ es auch ſo und laſſe dein Leben nicht durch-
ſichtig vor mir vorüberſtreichen und entſühne meine Kleinigkeiten
durch deine.
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Die halbblinde Kalb iſt leider nicht hier; aber der Winter bringt
uns an einander. — Mit hoher heiterer Stille erduldet ſie ihre lange 25
Nacht; aber oft auf einmal bricht nach Herders Verſicherung, aus
dieſer bedekten Seele ein breiter glühender Strom.
Als einen Begrif der höhern Libertinage führ’ ich folgendes an:
der H. v. Wolzogen (der gegen die Pohlen diente, wovon ich 1000
Anekdoten hörte und vergas) ſagte in Beiſein der Verfaſſerin der 30
Agnes v. Lilien: „die Hetären in Frankreich fodern ſogleich nach der
Befriedigung ihres Temperaments ihr Geld (ſein Ausdruk) — hin-
gegen die Italienerinnen küſſen einen darauf noch ſehr — und die
Engl[änderinnen] paſſen phlegmatiſch auf den Lohn.“ — Er gehörte in
Paris zum corps diplomatique. Auf die Verfaſſerin der Agnes macht’ 35
es keinen Effekt.
Auf der einen Seite bin ich euch allen jezt näher (ich brauche nur
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(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen). Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
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