Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.

Bild:
<< vorherige Seite

dazu: zum blossen scharfsinnigen Philosophen kan man sich machen
durch Fleis, indes dem tiefern ausser dem Auge auch die Gegenstände
mitgegeben sind. Ich finde in Fichtes System eine moderne Luftleerheit
(kenn' es aber nur aus dem Niethammerschen Journal und aus seiner
hinten treflichen Moral) und halte das Prinzip, das das Bewustsein5
erklären sol, nämlich das Zurükwirken auf sich, aus einem häslichen
Anthropomorphism hergeholt, da Wirkung auf sich nichts heisset als die
Verwechslung der Wirkung auf das Vexier-Ich (den Leib) mit der aufs
avthentische. -- Seine Erklärung ist eine viel kühnere und dunklere
Voraussezung als das zu erklärende.10

[145]O guter Jacobi! wie leicht rettete ich mich durch alle kritische und
fichtische Strudel blos mit Ihrem Ruder. Schon die einzige VII. Bei-
lage in Ihrem ewigen Spinoza ist die Rechtfertigung, der Inbegrif,
die Auflösung und das Gegengift der ganzen Kantischen Vernunft-
kritik.15


Es that mir weh, guter Jacobi, daß der Dolch der Krankheit immer
an Einem Haare über Ihnen hängt. Man sagte mir einmal von Ihrer
Migraine. Ich war früher durch Wassertrinken in demselben Fal; be-
handelte mich aber als asthenisch, obwohl ohne Brown und half mir20
durch Bier und Bitterklee. Mein Selbst-Emanzipieren von allen
Doktorhüten hat meinen Kopf und die suffixa konservieret; und ich
vertrage 12 Stunden Arbeiten und 12 Stunden Marschieren. --
Schreiben Sie mir etwas Bestimtes über Ihr Kranksein und über das
Gegentheil, d. h. alles. Adam Smith sagte, es wär' ihm lieb zu wissen,25
daß Milton Riemen stat der Schnallen in den Schuhen getragen:
wahrhaftig ich weis über Ihre chaussure noch wenig, und es sol mir
lieb sein, hinter die Sache zu kommen.

Weimar kan so wenig als eine Ponaeropolis auf mich wirken, wie
meine vorigen Städte als Moropoles. Erstlich sind die Städte mehr30
zu loben.*) Zweitens schrieb ich in einem Marktflecken unter dem
Krumschliessen der Verhältnisse und entgegengesezter Geselschaft die

*) Für eine Seele wie die Ihrige ist es begreiflich und nicht kleinlich, daß ich
ein Stük häuslicher Glükseligkeit durch meine Miethsherschaft antizipiere, deren
kindliches Wohl- und Recht-Wollen in ein früheres Jahrhundert zu gehören35
scheiut.

dazu: zum bloſſen ſcharfſinnigen Philoſophen kan man ſich machen
durch Fleis, indes dem tiefern auſſer dem Auge auch die Gegenſtände
mitgegeben ſind. Ich finde in Fichtes Syſtem eine moderne Luftleerheit
(kenn’ es aber nur aus dem Niethammerſchen Journal und aus ſeiner
hinten treflichen Moral) und halte das Prinzip, das das Bewuſtſein5
erklären ſol, nämlich das Zurükwirken auf ſich, aus einem häslichen
Anthropomorphiſm hergeholt, da Wirkung auf ſich nichts heiſſet als die
Verwechſlung der Wirkung auf das Vexier-Ich (den Leib) mit der aufs
avthentiſche. — Seine Erklärung iſt eine viel kühnere und dunklere
Vorausſezung als das zu erklärende.10

[145]O guter Jacobi! wie leicht rettete ich mich durch alle kritiſche und
fichtiſche Strudel blos mit Ihrem Ruder. Schon die einzige VII. Bei-
lage in Ihrem ewigen Spinoza iſt die Rechtfertigung, der Inbegrif,
die Auflöſung und das Gegengift der ganzen Kantiſchen Vernunft-
kritik.15


Es that mir weh, guter Jacobi, daß der Dolch der Krankheit immer
an Einem Haare über Ihnen hängt. Man ſagte mir einmal von Ihrer
Migraine. Ich war früher durch Waſſertrinken in demſelben Fal; be-
handelte mich aber als aſtheniſch, obwohl ohne Brown und half mir20
durch Bier und Bitterklee. Mein Selbſt-Emanzipieren von allen
Doktorhüten hat meinen Kopf und die suffixa konſervieret; und ich
vertrage 12 Stunden Arbeiten und 12 Stunden Marſchieren. —
Schreiben Sie mir etwas Beſtimtes über Ihr Krankſein und über das
Gegentheil, d. h. alles. Adam Smith ſagte, es wär’ ihm lieb zu wiſſen,25
daß Milton Riemen ſtat der Schnallen in den Schuhen getragen:
wahrhaftig ich weis über Ihre chaussure noch wenig, und es ſol mir
lieb ſein, hinter die Sache zu kommen.

Weimar kan ſo wenig als eine Ponaeropolis auf mich wirken, wie
meine vorigen Städte als Moropoles. Erſtlich ſind die Städte mehr30
zu loben.*) Zweitens ſchrieb ich in einem Marktflecken unter dem
Krumſchlieſſen der Verhältniſſe und entgegengeſezter Geſelſchaft die

*) Für eine Seele wie die Ihrige iſt es begreiflich und nicht kleinlich, daß ich
ein Stük häuslicher Glükſeligkeit durch meine Miethsherſchaft antizipiere, deren
kindliches Wohl- und Recht-Wollen in ein früheres Jahrhundert zu gehören35
ſcheiut.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <p><pb facs="#f0140" n="130"/>
dazu: zum blo&#x017F;&#x017F;en &#x017F;charf&#x017F;innigen Philo&#x017F;ophen kan man <hi rendition="#g">&#x017F;ich machen</hi><lb/>
durch Fleis, indes dem tiefern au&#x017F;&#x017F;er dem Auge auch die Gegen&#x017F;tände<lb/>
mitgegeben &#x017F;ind. Ich finde in Fichtes Sy&#x017F;tem eine moderne Luftleerheit<lb/>
(kenn&#x2019; es aber nur aus dem Niethammer&#x017F;chen Journal und aus &#x017F;einer<lb/><hi rendition="#g">hinten</hi> treflichen Moral) und halte das Prinzip, das das Bewu&#x017F;t&#x017F;ein<lb n="5"/>
erklären &#x017F;ol, nämlich das Zurükwirken auf &#x017F;ich, aus einem häslichen<lb/>
Anthropomorphi&#x017F;m hergeholt, da Wirkung auf &#x017F;ich nichts hei&#x017F;&#x017F;et als die<lb/>
Verwech&#x017F;lung der Wirkung auf das Vexier-Ich (den Leib) mit der aufs<lb/>
avthenti&#x017F;che. &#x2014; Seine Erklärung i&#x017F;t eine viel kühnere und dunklere<lb/>
Voraus&#x017F;ezung als das zu erklärende.<lb n="10"/>
</p>
        <p><note place="left"><ref target="1922_Bd3_145">[145]</ref></note>O guter Jacobi! wie leicht rettete ich mich durch alle kriti&#x017F;che und<lb/>
fichti&#x017F;che Strudel blos mit Ihrem Ruder. Schon die einzige <hi rendition="#aq">VII.</hi> Bei-<lb/>
lage in Ihrem ewigen <hi rendition="#g">Spinoza</hi> i&#x017F;t die Rechtfertigung, der Inbegrif,<lb/>
die Auflö&#x017F;ung und das Gegengift der ganzen Kanti&#x017F;chen Vernunft-<lb/>
kritik.<lb n="15"/>
</p>
        <div n="2">
          <dateline> <hi rendition="#right"> <hi rendition="#aq">d. 5 Dec.</hi> </hi> </dateline><lb/>
          <p>Es that mir weh, guter Jacobi, daß der Dolch der Krankheit immer<lb/>
an Einem Haare über Ihnen hängt. Man &#x017F;agte mir einmal von Ihrer<lb/><hi rendition="#aq">Migraine.</hi> Ich war früher durch Wa&#x017F;&#x017F;ertrinken in dem&#x017F;elben Fal; be-<lb/>
handelte mich aber als a&#x017F;theni&#x017F;ch, obwohl ohne <hi rendition="#aq">Brown</hi> und half mir<lb n="20"/>
durch Bier und <hi rendition="#g">Bitterklee.</hi> Mein Selb&#x017F;t-Emanzipieren von allen<lb/>
Doktorhüten hat meinen Kopf und die <hi rendition="#aq">suffixa</hi> kon&#x017F;ervieret; und ich<lb/>
vertrage 12 Stunden Arbeiten und 12 Stunden Mar&#x017F;chieren. &#x2014;<lb/>
Schreiben Sie mir etwas Be&#x017F;timtes über Ihr Krank&#x017F;ein und über das<lb/>
Gegentheil, d. h. alles. <hi rendition="#aq">Adam Smith</hi> &#x017F;agte, es wär&#x2019; ihm lieb zu wi&#x017F;&#x017F;en,<lb n="25"/>
daß Milton Riemen &#x017F;tat der Schnallen in den Schuhen getragen:<lb/>
wahrhaftig ich weis über Ihre <hi rendition="#aq">chaussure</hi> noch wenig, und es &#x017F;ol mir<lb/>
lieb &#x017F;ein, hinter die Sache zu kommen.</p><lb/>
          <p>Weimar kan &#x017F;o wenig als eine <hi rendition="#aq">Ponaeropolis</hi> auf mich wirken, wie<lb/>
meine vorigen Städte als <hi rendition="#aq">Moropoles.</hi> Er&#x017F;tlich &#x017F;ind die Städte mehr<lb n="30"/>
zu loben.<note place="foot" n="*)">Für eine Seele wie die Ihrige i&#x017F;t es begreiflich und nicht kleinlich, daß ich<lb/>
ein Stük häuslicher Glük&#x017F;eligkeit durch meine Miethsher&#x017F;chaft antizipiere, deren<lb/>
kindliches Wohl- und Recht-Wollen in ein früheres Jahrhundert zu gehören<lb n="35"/>
&#x017F;cheiut.</note> Zweitens &#x017F;chrieb ich in einem Marktflecken unter dem<lb/>
Krum&#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en der Verhältni&#x017F;&#x017F;e und entgegenge&#x017F;ezter Ge&#x017F;el&#x017F;chaft die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[130/0140] dazu: zum bloſſen ſcharfſinnigen Philoſophen kan man ſich machen durch Fleis, indes dem tiefern auſſer dem Auge auch die Gegenſtände mitgegeben ſind. Ich finde in Fichtes Syſtem eine moderne Luftleerheit (kenn’ es aber nur aus dem Niethammerſchen Journal und aus ſeiner hinten treflichen Moral) und halte das Prinzip, das das Bewuſtſein 5 erklären ſol, nämlich das Zurükwirken auf ſich, aus einem häslichen Anthropomorphiſm hergeholt, da Wirkung auf ſich nichts heiſſet als die Verwechſlung der Wirkung auf das Vexier-Ich (den Leib) mit der aufs avthentiſche. — Seine Erklärung iſt eine viel kühnere und dunklere Vorausſezung als das zu erklärende. 10 O guter Jacobi! wie leicht rettete ich mich durch alle kritiſche und fichtiſche Strudel blos mit Ihrem Ruder. Schon die einzige VII. Bei- lage in Ihrem ewigen Spinoza iſt die Rechtfertigung, der Inbegrif, die Auflöſung und das Gegengift der ganzen Kantiſchen Vernunft- kritik. 15 [145]d. 5 Dec. Es that mir weh, guter Jacobi, daß der Dolch der Krankheit immer an Einem Haare über Ihnen hängt. Man ſagte mir einmal von Ihrer Migraine. Ich war früher durch Waſſertrinken in demſelben Fal; be- handelte mich aber als aſtheniſch, obwohl ohne Brown und half mir 20 durch Bier und Bitterklee. Mein Selbſt-Emanzipieren von allen Doktorhüten hat meinen Kopf und die suffixa konſervieret; und ich vertrage 12 Stunden Arbeiten und 12 Stunden Marſchieren. — Schreiben Sie mir etwas Beſtimtes über Ihr Krankſein und über das Gegentheil, d. h. alles. Adam Smith ſagte, es wär’ ihm lieb zu wiſſen, 25 daß Milton Riemen ſtat der Schnallen in den Schuhen getragen: wahrhaftig ich weis über Ihre chaussure noch wenig, und es ſol mir lieb ſein, hinter die Sache zu kommen. Weimar kan ſo wenig als eine Ponaeropolis auf mich wirken, wie meine vorigen Städte als Moropoles. Erſtlich ſind die Städte mehr 30 zu loben. *) Zweitens ſchrieb ich in einem Marktflecken unter dem Krumſchlieſſen der Verhältniſſe und entgegengeſezter Geſelſchaft die *) Für eine Seele wie die Ihrige iſt es begreiflich und nicht kleinlich, daß ich ein Stük häuslicher Glükſeligkeit durch meine Miethsherſchaft antizipiere, deren kindliches Wohl- und Recht-Wollen in ein früheres Jahrhundert zu gehören 35 ſcheiut.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:05:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:05:42Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/140
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/140>, abgerufen am 24.11.2024.