Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.dazu: zum blossen scharfsinnigen Philosophen kan man sich machen [145]O guter Jacobi! wie leicht rettete ich mich durch alle kritische und d. 5 Dec. Es that mir weh, guter Jacobi, daß der Dolch der Krankheit immer Weimar kan so wenig als eine Ponaeropolis auf mich wirken, wie *) Für eine Seele wie die Ihrige ist es begreiflich und nicht kleinlich, daß ich
ein Stük häuslicher Glükseligkeit durch meine Miethsherschaft antizipiere, deren kindliches Wohl- und Recht-Wollen in ein früheres Jahrhundert zu gehören35 scheiut. dazu: zum bloſſen ſcharfſinnigen Philoſophen kan man ſich machen [145]O guter Jacobi! wie leicht rettete ich mich durch alle kritiſche und d. 5 Dec. Es that mir weh, guter Jacobi, daß der Dolch der Krankheit immer Weimar kan ſo wenig als eine Ponaeropolis auf mich wirken, wie *) Für eine Seele wie die Ihrige iſt es begreiflich und nicht kleinlich, daß ich
ein Stük häuslicher Glükſeligkeit durch meine Miethsherſchaft antizipiere, deren kindliches Wohl- und Recht-Wollen in ein früheres Jahrhundert zu gehören35 ſcheiut. <TEI> <text> <body> <div type="letter" n="1"> <p><pb facs="#f0140" n="130"/> dazu: zum bloſſen ſcharfſinnigen Philoſophen kan man <hi rendition="#g">ſich machen</hi><lb/> durch Fleis, indes dem tiefern auſſer dem Auge auch die Gegenſtände<lb/> mitgegeben ſind. Ich finde in Fichtes Syſtem eine moderne Luftleerheit<lb/> (kenn’ es aber nur aus dem Niethammerſchen Journal und aus ſeiner<lb/><hi rendition="#g">hinten</hi> treflichen Moral) und halte das Prinzip, das das Bewuſtſein<lb n="5"/> erklären ſol, nämlich das Zurükwirken auf ſich, aus einem häslichen<lb/> Anthropomorphiſm hergeholt, da Wirkung auf ſich nichts heiſſet als die<lb/> Verwechſlung der Wirkung auf das Vexier-Ich (den Leib) mit der aufs<lb/> avthentiſche. — Seine Erklärung iſt eine viel kühnere und dunklere<lb/> Vorausſezung als das zu erklärende.<lb n="10"/> </p> <p><note place="left"><ref target="1922_Bd3_145">[145]</ref></note>O guter Jacobi! wie leicht rettete ich mich durch alle kritiſche und<lb/> fichtiſche Strudel blos mit Ihrem Ruder. Schon die einzige <hi rendition="#aq">VII.</hi> Bei-<lb/> lage in Ihrem ewigen <hi rendition="#g">Spinoza</hi> iſt die Rechtfertigung, der Inbegrif,<lb/> die Auflöſung und das Gegengift der ganzen Kantiſchen Vernunft-<lb/> kritik.<lb n="15"/> </p> <div n="2"> <dateline> <hi rendition="#right"> <hi rendition="#aq">d. 5 Dec.</hi> </hi> </dateline><lb/> <p>Es that mir weh, guter Jacobi, daß der Dolch der Krankheit immer<lb/> an Einem Haare über Ihnen hängt. Man ſagte mir einmal von Ihrer<lb/><hi rendition="#aq">Migraine.</hi> Ich war früher durch Waſſertrinken in demſelben Fal; be-<lb/> handelte mich aber als aſtheniſch, obwohl ohne <hi rendition="#aq">Brown</hi> und half mir<lb n="20"/> durch Bier und <hi rendition="#g">Bitterklee.</hi> Mein Selbſt-Emanzipieren von allen<lb/> Doktorhüten hat meinen Kopf und die <hi rendition="#aq">suffixa</hi> konſervieret; und ich<lb/> vertrage 12 Stunden Arbeiten und 12 Stunden Marſchieren. —<lb/> Schreiben Sie mir etwas Beſtimtes über Ihr Krankſein und über das<lb/> Gegentheil, d. h. alles. <hi rendition="#aq">Adam Smith</hi> ſagte, es wär’ ihm lieb zu wiſſen,<lb n="25"/> daß Milton Riemen ſtat der Schnallen in den Schuhen getragen:<lb/> wahrhaftig ich weis über Ihre <hi rendition="#aq">chaussure</hi> noch wenig, und es ſol mir<lb/> lieb ſein, hinter die Sache zu kommen.</p><lb/> <p>Weimar kan ſo wenig als eine <hi rendition="#aq">Ponaeropolis</hi> auf mich wirken, wie<lb/> meine vorigen Städte als <hi rendition="#aq">Moropoles.</hi> Erſtlich ſind die Städte mehr<lb n="30"/> zu loben.<note place="foot" n="*)">Für eine Seele wie die Ihrige iſt es begreiflich und nicht kleinlich, daß ich<lb/> ein Stük häuslicher Glükſeligkeit durch meine Miethsherſchaft antizipiere, deren<lb/> kindliches Wohl- und Recht-Wollen in ein früheres Jahrhundert zu gehören<lb n="35"/> ſcheiut.</note> Zweitens ſchrieb ich in einem Marktflecken unter dem<lb/> Krumſchlieſſen der Verhältniſſe und entgegengeſezter Geſelſchaft die<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [130/0140]
dazu: zum bloſſen ſcharfſinnigen Philoſophen kan man ſich machen
durch Fleis, indes dem tiefern auſſer dem Auge auch die Gegenſtände
mitgegeben ſind. Ich finde in Fichtes Syſtem eine moderne Luftleerheit
(kenn’ es aber nur aus dem Niethammerſchen Journal und aus ſeiner
hinten treflichen Moral) und halte das Prinzip, das das Bewuſtſein 5
erklären ſol, nämlich das Zurükwirken auf ſich, aus einem häslichen
Anthropomorphiſm hergeholt, da Wirkung auf ſich nichts heiſſet als die
Verwechſlung der Wirkung auf das Vexier-Ich (den Leib) mit der aufs
avthentiſche. — Seine Erklärung iſt eine viel kühnere und dunklere
Vorausſezung als das zu erklärende. 10
O guter Jacobi! wie leicht rettete ich mich durch alle kritiſche und
fichtiſche Strudel blos mit Ihrem Ruder. Schon die einzige VII. Bei-
lage in Ihrem ewigen Spinoza iſt die Rechtfertigung, der Inbegrif,
die Auflöſung und das Gegengift der ganzen Kantiſchen Vernunft-
kritik. 15
[145]d. 5 Dec.
Es that mir weh, guter Jacobi, daß der Dolch der Krankheit immer
an Einem Haare über Ihnen hängt. Man ſagte mir einmal von Ihrer
Migraine. Ich war früher durch Waſſertrinken in demſelben Fal; be-
handelte mich aber als aſtheniſch, obwohl ohne Brown und half mir 20
durch Bier und Bitterklee. Mein Selbſt-Emanzipieren von allen
Doktorhüten hat meinen Kopf und die suffixa konſervieret; und ich
vertrage 12 Stunden Arbeiten und 12 Stunden Marſchieren. —
Schreiben Sie mir etwas Beſtimtes über Ihr Krankſein und über das
Gegentheil, d. h. alles. Adam Smith ſagte, es wär’ ihm lieb zu wiſſen, 25
daß Milton Riemen ſtat der Schnallen in den Schuhen getragen:
wahrhaftig ich weis über Ihre chaussure noch wenig, und es ſol mir
lieb ſein, hinter die Sache zu kommen.
Weimar kan ſo wenig als eine Ponaeropolis auf mich wirken, wie
meine vorigen Städte als Moropoles. Erſtlich ſind die Städte mehr 30
zu loben. *) Zweitens ſchrieb ich in einem Marktflecken unter dem
Krumſchlieſſen der Verhältniſſe und entgegengeſezter Geſelſchaft die
*) Für eine Seele wie die Ihrige iſt es begreiflich und nicht kleinlich, daß ich
ein Stük häuslicher Glükſeligkeit durch meine Miethsherſchaft antizipiere, deren
kindliches Wohl- und Recht-Wollen in ein früheres Jahrhundert zu gehören 35
ſcheiut.
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(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen). Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
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