Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.

Bild:
<< vorherige Seite

Ich habe Schellings Weltseele mit viel Vergnügen und Erbossung
gelesen, jenes über den Scharfsin, diese über das Ende und über die
mechanische oder atomistische Philosophie, die in jeder Minute über
die atomistische Physik klagt. Er hat heraus, was das Leben ist.
1) Erstlich besteht es darin, daß das algemeine Leben stat der geraden5
Linie einen Kreis beschreiben mus; dadurch wird aus dem ungeheuern
Meer etwas individuelles und bestimtes ausgehoben 2) dieser Kreis
besteht darin, daß das aus blossen chemischen (Des- und Oxydazions-)
Prozessen bestehende negative (oder todte und mechanische) Lebens-
prinzip vom positiven glüklicher Weise angetroffen und belebt werde;10
dan gehts. Das positive, worauf ich durch das ganze Buch hofte,
weis er nicht weiter anzugeben als daß es im Algemeinen überal size[185]
und blos bei glüklichen Anlässen sich als Vieh etc. zeige. Und so durch
die Assumpzion eines algemeinen vagabunden Lebens wird jedem
Vernünftigen das örtliche klar genug.15

Ich werde stets gelassen bei so etwas bleiben; aber das verstatte
mir, darüber des Teufels zu werden -- Ich bitte dich sehr, mir über
den "Brief an meinen Sohn Hans Paul über die Philosophie" so wie
über die Abhandlung über das Träumen in meinem künftigen Buche,
dein Urtheil zu sagen.20


Vergieb, so wie das schnelle Schreiben, den schnellen Schlus meines
durch die Lustreise nach Gotha so lange unterbrochnen Briefs. Ich kan
dir meine Verwiklung in Briefe und Bücher nicht stark genug sagen.

Schreibe bald, mein Bruder und geniesse eines milden Frühlings!25
Gestern beschlos ich mein 36tes Lebensjahr; und mein reichstes, denn
es gab mir dich. Und jedes künftige lasse dich mir! Lebe froh du Guter!
Herder grüsset dich und die Deinigen herzlich wie ich.

J. P. F. Richter
227. An M. A. von Thümmel in Gotha.30
[Kopie]

Ich wolte, Sie machten die Reise um die Welt auf dem gelehrten
Weltmeer aus Dinte. Seine zufälligen Venussterne treten zu einem
Sternbild zusammen.

Ich habe Schellings Weltſeele mit viel Vergnügen und Erboſſung
geleſen, jenes über den Scharfſin, dieſe über das Ende und über die
mechaniſche oder atomiſtiſche Philoſophie, die in jeder Minute über
die atomiſtiſche Phyſik klagt. Er hat heraus, was das Leben iſt.
1) Erſtlich beſteht es darin, daß das algemeine Leben ſtat der geraden5
Linie einen Kreis beſchreiben mus; dadurch wird aus dem ungeheuern
Meer etwas individuelles und beſtimtes ausgehoben 2) dieſer Kreis
beſteht darin, daß das aus bloſſen chemiſchen (Des- und Oxydazions-)
Prozeſſen beſtehende negative (oder todte und mechaniſche) Lebens-
prinzip vom poſitiven glüklicher Weiſe angetroffen und belebt werde;10
dan gehts. Das poſitive, worauf ich durch das ganze Buch hofte,
weis er nicht weiter anzugeben als daß es im Algemeinen überal ſize[185]
und blos bei glüklichen Anläſſen ſich als Vieh ꝛc. zeige. Und ſo durch
die Aſſumpzion eines algemeinen vagabunden Lebens wird jedem
Vernünftigen das örtliche klar genug.15

Ich werde ſtets gelaſſen bei ſo etwas bleiben; aber das verſtatte
mir, darüber des Teufels zu werden — Ich bitte dich ſehr, mir über
den „Brief an meinen Sohn Hans Paul über die Philoſophie“ ſo wie
über die Abhandlung über das Träumen in meinem künftigen Buche,
dein Urtheil zu ſagen.20


Vergieb, ſo wie das ſchnelle Schreiben, den ſchnellen Schlus meines
durch die Luſtreiſe nach Gotha ſo lange unterbrochnen Briefs. Ich kan
dir meine Verwiklung in Briefe und Bücher nicht ſtark genug ſagen.

Schreibe bald, mein Bruder und genieſſe eines milden Frühlings!25
Geſtern beſchlos ich mein 36tes Lebensjahr; und mein reichſtes, denn
es gab mir dich. Und jedes künftige laſſe dich mir! Lebe froh du Guter!
Herder grüſſet dich und die Deinigen herzlich wie ich.

J. P. F. Richter
227. An M. A. von Thümmel in Gotha.30
[Kopie]

Ich wolte, Sie machten die Reiſe um die Welt auf dem gelehrten
Weltmeer aus Dinte. Seine zufälligen Venusſterne treten zu einem
Sternbild zuſammen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <pb facs="#f0181" n="167"/>
        <p>Ich habe Schellings Welt&#x017F;eele mit viel Vergnügen und Erbo&#x017F;&#x017F;ung<lb/>
gele&#x017F;en, jenes über den Scharf&#x017F;in, die&#x017F;e über das Ende und über die<lb/>
mechani&#x017F;che oder atomi&#x017F;ti&#x017F;che Philo&#x017F;ophie, die in jeder Minute über<lb/>
die atomi&#x017F;ti&#x017F;che Phy&#x017F;ik klagt. Er hat heraus, was das Leben i&#x017F;t.<lb/>
1) Er&#x017F;tlich be&#x017F;teht es darin, daß das algemeine Leben &#x017F;tat der geraden<lb n="5"/>
Linie einen Kreis be&#x017F;chreiben mus; dadurch wird aus dem ungeheuern<lb/>
Meer etwas individuelles und be&#x017F;timtes ausgehoben 2) die&#x017F;er Kreis<lb/>
be&#x017F;teht darin, daß das aus blo&#x017F;&#x017F;en chemi&#x017F;chen (Des- und Oxydazions-)<lb/>
Proze&#x017F;&#x017F;en be&#x017F;tehende negative (oder todte und mechani&#x017F;che) Lebens-<lb/>
prinzip vom po&#x017F;itiven glüklicher Wei&#x017F;e angetroffen und <hi rendition="#g">belebt</hi> werde;<lb n="10"/>
dan gehts. Das po&#x017F;itive, worauf ich durch das ganze Buch hofte,<lb/>
weis er nicht weiter anzugeben als daß es im Algemeinen überal &#x017F;ize<note place="right"><ref target="1922_Bd3_185">[185]</ref></note><lb/>
und blos bei glüklichen Anlä&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich als Vieh &#xA75B;c. zeige. Und &#x017F;o durch<lb/>
die A&#x017F;&#x017F;umpzion eines algemeinen vagabunden Lebens wird jedem<lb/>
Vernünftigen das örtliche klar genug.<lb n="15"/>
</p><lb/>
        <p>Ich werde &#x017F;tets gela&#x017F;&#x017F;en bei &#x017F;o etwas bleiben; aber das ver&#x017F;tatte<lb/>
mir, darüber des Teufels zu werden &#x2014; Ich bitte dich &#x017F;ehr, mir über<lb/>
den &#x201E;Brief an meinen Sohn Hans Paul über die Philo&#x017F;ophie&#x201C; &#x017F;o wie<lb/>
über die Abhandlung über das Träumen in meinem künftigen Buche,<lb/>
dein Urtheil zu &#x017F;agen.<lb n="20"/>
</p><lb/>
        <div n="2">
          <dateline> <hi rendition="#right">d. 21. März.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Vergieb, &#x017F;o wie das &#x017F;chnelle Schreiben, den &#x017F;chnellen Schlus meines<lb/>
durch die Lu&#x017F;trei&#x017F;e nach <hi rendition="#aq">Gotha</hi> &#x017F;o lange unterbrochnen Briefs. Ich kan<lb/>
dir meine Verwiklung in Briefe und Bücher nicht &#x017F;tark genug &#x017F;agen.</p><lb/>
          <p>Schreibe bald, mein Bruder und genie&#x017F;&#x017F;e eines milden Frühlings!<lb n="25"/>
Ge&#x017F;tern be&#x017F;chlos ich mein 36<hi rendition="#sup">tes</hi> Lebensjahr; und mein reich&#x017F;tes, denn<lb/>
es gab mir dich. Und jedes künftige la&#x017F;&#x017F;e dich mir! Lebe froh du Guter!<lb/><hi rendition="#aq">Herder</hi> grü&#x017F;&#x017F;et dich und die Deinigen herzlich wie ich.</p><lb/>
          <closer>
            <salute> <hi rendition="#right">J. P. F. Richter</hi> </salute>
          </closer>
        </div>
      </div><lb/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>227. An M. A. <hi rendition="#g">von Thümmel in Gotha.</hi><lb n="30"/>
</head>
        <note type="editorial">[Kopie]</note>
        <dateline> <hi rendition="#right">[Weimar, 21. (?) März 1799]</hi> </dateline><lb/>
        <p>Ich wolte, Sie machten die Rei&#x017F;e um die Welt auf dem gelehrten<lb/>
Weltmeer aus Dinte. Seine zufälligen Venus&#x017F;terne treten zu einem<lb/>
Sternbild zu&#x017F;ammen.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[167/0181] Ich habe Schellings Weltſeele mit viel Vergnügen und Erboſſung geleſen, jenes über den Scharfſin, dieſe über das Ende und über die mechaniſche oder atomiſtiſche Philoſophie, die in jeder Minute über die atomiſtiſche Phyſik klagt. Er hat heraus, was das Leben iſt. 1) Erſtlich beſteht es darin, daß das algemeine Leben ſtat der geraden 5 Linie einen Kreis beſchreiben mus; dadurch wird aus dem ungeheuern Meer etwas individuelles und beſtimtes ausgehoben 2) dieſer Kreis beſteht darin, daß das aus bloſſen chemiſchen (Des- und Oxydazions-) Prozeſſen beſtehende negative (oder todte und mechaniſche) Lebens- prinzip vom poſitiven glüklicher Weiſe angetroffen und belebt werde; 10 dan gehts. Das poſitive, worauf ich durch das ganze Buch hofte, weis er nicht weiter anzugeben als daß es im Algemeinen überal ſize und blos bei glüklichen Anläſſen ſich als Vieh ꝛc. zeige. Und ſo durch die Aſſumpzion eines algemeinen vagabunden Lebens wird jedem Vernünftigen das örtliche klar genug. 15 [185] Ich werde ſtets gelaſſen bei ſo etwas bleiben; aber das verſtatte mir, darüber des Teufels zu werden — Ich bitte dich ſehr, mir über den „Brief an meinen Sohn Hans Paul über die Philoſophie“ ſo wie über die Abhandlung über das Träumen in meinem künftigen Buche, dein Urtheil zu ſagen. 20 d. 21. März. Vergieb, ſo wie das ſchnelle Schreiben, den ſchnellen Schlus meines durch die Luſtreiſe nach Gotha ſo lange unterbrochnen Briefs. Ich kan dir meine Verwiklung in Briefe und Bücher nicht ſtark genug ſagen. Schreibe bald, mein Bruder und genieſſe eines milden Frühlings! 25 Geſtern beſchlos ich mein 36tes Lebensjahr; und mein reichſtes, denn es gab mir dich. Und jedes künftige laſſe dich mir! Lebe froh du Guter! Herder grüſſet dich und die Deinigen herzlich wie ich. J. P. F. Richter 227. An M. A. von Thümmel in Gotha. 30 [Weimar, 21. (?) März 1799] Ich wolte, Sie machten die Reiſe um die Welt auf dem gelehrten Weltmeer aus Dinte. Seine zufälligen Venusſterne treten zu einem Sternbild zuſammen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:05:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:05:42Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/181
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/181>, abgerufen am 18.05.2024.