Meine Briefe -- und am meisten dieser -- sind so, weil ich sonst, von Satiren abgehezt, mich über eine warme Stelle über ein Sprach- gitter für mein Herz freuete -- weil ich sonst so viele Ausstattung an einen Brief an den Pfarrer Vogel wandte als jezt an ein Buch -- weil mich das ewige Arbeiten, Fühlen und Anstrengen zerrüttet -- weil das5 eine zerstörende Lage ist, die du gar nicht kenst, da du mehr im litte- rarischen Geniessen lebst als ich -- weil ich so viel zu erzählen habe, daß ich nicht kurz genug sein kan, die Menge der Briefe noch ab- gerechnet -- Eine Anmerkung, die du über eine blos scherzhafte in meinem lezten Briefe machst, kan ich dir nicht beantworten sondern10 blos vergeben. -- Dein Fehler ist ein immerwährendes Beobachten und ein (obwohl scharfsinniges) Addieren kleiner Wahrscheinlichkeiten und Zufälligkeiten, das dich ewig bei Menschen, die ihren eignen Schein nicht abwägen, irre führen mus: und noch fahr' ich in meiner sorglosen Freiheit der arglosen Seele fort. Ich errieth wohl in dir ein Resultat15 [18]deiner Schluskette, aber nicht diese und suchte die Schuld in meinen andern Fehlern.
d. 29. Nov.
Ich las deinen und diesen Brief wieder, meiner ist mir nicht be- friedigend; in deinem sind viele treffende Bemerkungen und eine Liebe,20 die ich nie vergesse, -- obwohl gerade der Fehler, den du mir vorwirfst. Nämlich auf dich allein hat mein neues Verhältnis mit dem Publikum gewirkt. Auch hätten wir beide keine Irthümer begangen, hätt' ich dich nirgends gefunden als unter den geliebtesten Deinigen. -- Ich wil noch einiges nachholen. -- Bei Gott nie mengt' ich dich unter die25 andern: mein Gefühl für dich ist einzig und gehört keinem Menschen weiter an. Oft wenn ich mich nach meinen Höfer Freundinnen unter der Musik sehne: so kommen sie alle aufeinmal -- in Hof immer nur eine, gerade die, die an der Regierung war, wiewohl zulezt auch nicht so -- und ich mus sie mit einem sonderbaren Gefühl immer aufeinmal30 anschauen und liebhaben. Aber du tritst ganz allein vor mein Herz und mir ist wie im neulichen Traume, wo mich Renate ganz veraltet und dein Christoph zum kranken Albrecht mit geschwollenen Lippen führte und endlich du kamest und ich vor Freude laut weinend an dich fiel und aufwachte und fortfuhr. -- Aber wo ich Euch sagte, warf ich dir ähn-35
Meine Briefe — und am meiſten dieſer — ſind ſo, weil ich ſonſt, von Satiren abgehezt, mich über eine warme Stelle 〈über ein Sprach- gitter für mein Herz〉 freuete — weil ich ſonſt ſo viele Ausſtattung an einen Brief an den Pfarrer Vogel wandte als jezt an ein Buch — weil mich das ewige Arbeiten, Fühlen und Anſtrengen zerrüttet — weil das5 eine zerſtörende Lage iſt, die du gar nicht kenſt, da du mehr im litte- rariſchen Genieſſen lebſt als ich — weil ich ſo viel zu erzählen habe, daß ich nicht kurz genug ſein kan, die Menge der Briefe noch ab- gerechnet — Eine Anmerkung, die du über eine blos ſcherzhafte in meinem lezten Briefe machſt, kan ich dir nicht beantworten ſondern10 blos vergeben. — Dein Fehler iſt ein immerwährendes Beobachten und ein (obwohl ſcharfſinniges) Addieren kleiner Wahrſcheinlichkeiten und Zufälligkeiten, das dich ewig bei Menſchen, die ihren eignen Schein nicht abwägen, irre führen mus: und noch fahr’ ich in meiner ſorgloſen Freiheit der argloſen Seele fort. Ich errieth wohl in dir ein Reſultat15 [18]deiner Schluskette, aber nicht dieſe und ſuchte die Schuld in meinen andern Fehlern.
d. 29. Nov.
Ich las deinen und dieſen Brief wieder, meiner iſt mir nicht be- friedigend; in deinem ſind viele treffende Bemerkungen und eine Liebe,20 die ich nie vergeſſe, — obwohl gerade der Fehler, den du mir vorwirfſt. Nämlich auf dich allein hat mein neues Verhältnis mit dem Publikum gewirkt. Auch hätten wir beide keine Irthümer begangen, hätt’ ich dich nirgends gefunden als unter den geliebteſten Deinigen. — Ich wil noch einiges nachholen. — Bei Gott nie mengt’ ich dich unter die25 andern: mein Gefühl für dich iſt einzig und gehört keinem Menſchen weiter an. Oft wenn ich mich nach meinen Höfer Freundinnen unter der Muſik ſehne: ſo kommen ſie alle aufeinmal — in Hof immer nur eine, gerade die, die an der Regierung war, wiewohl zulezt auch nicht ſo — und ich mus ſie mit einem ſonderbaren Gefühl immer aufeinmal30 anſchauen und liebhaben. Aber du tritſt ganz allein vor mein Herz und mir iſt wie im neulichen Traume, wo mich Renate ganz veraltet und dein Chriſtoph zum kranken Albrecht mit geſchwollenen Lippen führte und endlich du kameſt und ich vor Freude laut weinend an dich fiel und aufwachte und fortfuhr. — Aber wo ich Euch ſagte, warf ich dir ähn-35
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einen Brief an den Pfarrer Vogel wandte als jezt an ein Buch — weil
mich das ewige Arbeiten, Fühlen und Anſtrengen zerrüttet — weil das 5
eine zerſtörende Lage iſt, die du gar nicht kenſt, da du mehr im litte-
rariſchen Genieſſen lebſt als ich — weil ich ſo viel zu erzählen habe,
daß ich nicht kurz genug ſein kan, die Menge der Briefe noch ab-
gerechnet — Eine Anmerkung, die du über eine blos ſcherzhafte in
meinem lezten Briefe machſt, kan ich dir nicht beantworten ſondern 10
blos vergeben. — Dein Fehler iſt ein immerwährendes Beobachten und
ein (obwohl ſcharfſinniges) Addieren kleiner Wahrſcheinlichkeiten und
Zufälligkeiten, das dich ewig bei Menſchen, die ihren eignen Schein
nicht abwägen, irre führen mus: und noch fahr’ ich in meiner ſorgloſen
Freiheit der argloſen Seele fort. Ich errieth wohl in dir ein Reſultat 15
deiner Schluskette, aber nicht dieſe und ſuchte die Schuld in meinen
andern Fehlern.
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d. 29. Nov.
Ich las deinen und dieſen Brief wieder, meiner iſt mir nicht be-
friedigend; in deinem ſind viele treffende Bemerkungen und eine Liebe, 20
die ich nie vergeſſe, — obwohl gerade der Fehler, den du mir vorwirfſt.
Nämlich auf dich allein hat mein neues Verhältnis mit dem Publikum
gewirkt. Auch hätten wir beide keine Irthümer begangen, hätt’ ich
dich nirgends gefunden als unter den geliebteſten Deinigen. — Ich wil
noch einiges nachholen. — Bei Gott nie mengt’ ich dich unter die 25
andern: mein Gefühl für dich iſt einzig und gehört keinem Menſchen
weiter an. Oft wenn ich mich nach meinen Höfer Freundinnen unter
der Muſik ſehne: ſo kommen ſie alle aufeinmal — in Hof immer nur
eine, gerade die, die an der Regierung war, wiewohl zulezt auch nicht
ſo — und ich mus ſie mit einem ſonderbaren Gefühl immer aufeinmal 30
anſchauen und liebhaben. Aber du tritſt ganz allein vor mein Herz und
mir iſt wie im neulichen Traume, wo mich Renate ganz veraltet und
dein Chriſtoph zum kranken Albrecht mit geſchwollenen Lippen führte
und endlich du kameſt und ich vor Freude laut weinend an dich fiel und
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/21>, abgerufen am 21.11.2024.
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