mittag genos ich dein Werkgen bis auf den lezten Tropfen. Die Karakterist[ik] deiner Personen ist durchaus herlich, fest und fein, besonders die weibliche; und besser als bei Voß -- die Situazionen, die Landschaft, das Komische (das besonders) und die Fabel lob' ich. An der leztern ist nur die zertrennende 2jährige Abwesenheit des Helden5 ein Eksteingen. Du hättest vielleicht die Szene mit der Erwartung seiner Rükkehr öfnen können mit Einschiebung des Vergangnen; oder doch ihn auf einem Paar Seiten durch die Welt führen und die Schilderung der Weiber zum Beiwerk machen können. Ergreifend ist p. 50 ausser dem ganzen Abend die hohe Nichtvolendung der Zeile, und die herliche10 einfache Zeile selber. Du siehst nun, was du vermagst. Was ich tadle, betrift blos die Härten, Dunkelheiten und Neuerungen des Vers- baues, die aber in jedem Gesange milder werden. An individueller [296]Wahrheit sind die Schwest[ern] v[on] Lesbos weit übertroffen; freilich die von der Geschichte bescheerte Fabel weniger. -- Du solst rathen,15 ob ich alle 3 Exemplare noch habe. -- Mir grauset nun vor meiner alg[emeinen] Welthistorie in Millionen Bänden. Daher schreib ich am liebsten an Jacobi, zu dem ich nicht von mir sondern von Ideen rede. -- Wahrscheinlich -- um einer Freundin gleich weit entgegen- zureisen -- komm' ich im Februar nach Berlin also nach Leipzig; hier20 bring ich dir Briefe und Nachrichten mit. -- Nur die nächsten: das edelste weibliche Wesen, (das ich in Hildburghausen fand, Fräul. Caroline v. Feuchtersleben), mit dem ich meine vorigen Spiel- Kameradinnen der Liebe gar nicht vergleichen darf, wird im künftigen Jahre die Meinige, wenn die verneinenden Verwandten bejahen.25 Ein Brief-Fragment, das Herdern zu ihrem Freund machte, leg' ich bei.
d. 29. Dec.
Schweige über das Vorige. Ich habe so viel über die stolze hohe Seele zu sagen, daß ichs jezt nicht kan, gerade jezt, wo sie, da sie ihrer30 Mutter das Geständnis ihres Verhältnis gemacht, nun mit mir von kalten, obwohl gegen sie warmen, Verwandten den Raub oder die Gabe der innern Zukunft erwartet. Lasse mich nicht reden jezt, warlich du hörest alles. --
Mein Herder kan mich nun nicht 2 Abende entbehren; und ich ihn35 nicht -- nim ihn aus Weimar heute, so bin ich morgen nicht mehr
mittag genos ich dein Werkgen bis auf den lezten Tropfen. Die Karakteriſt[ik] deiner Perſonen iſt durchaus herlich, feſt und fein, beſonders die weibliche; und beſſer als bei Voß — die Situazionen, die Landſchaft, das Komiſche (das beſonders) und die Fabel lob’ ich. An der leztern iſt nur die zertrennende 2jährige Abweſenheit des Helden5 ein Ekſteingen. Du hätteſt vielleicht die Szene mit der Erwartung ſeiner Rükkehr öfnen können mit Einſchiebung des Vergangnen; oder doch ihn auf einem Paar Seiten durch die Welt führen und die Schilderung der Weiber zum Beiwerk machen können. Ergreifend iſt p. 50 auſſer dem ganzen Abend die hohe Nichtvolendung der Zeile, und die herliche10 einfache Zeile ſelber. Du ſiehſt nun, was du vermagſt. Was ich tadle, betrift blos die Härten, Dunkelheiten und Neuerungen des Vers- baues, die aber in jedem Geſange milder werden. An individueller [296]Wahrheit ſind die Schweſt[ern] v[on] Lesbos weit übertroffen; freilich die von der Geſchichte beſcheerte Fabel weniger. — Du ſolſt rathen,15 ob ich alle 3 Exemplare noch habe. — Mir grauſet nun vor meiner alg[emeinen] Welthiſtorie in Millionen Bänden. Daher ſchreib ich am liebſten an Jacobi, zu dem ich nicht von mir ſondern von Ideen rede. — Wahrſcheinlich — um einer Freundin gleich weit entgegen- zureiſen — komm’ ich im Februar nach Berlin alſo nach Leipzig; hier20 bring ich dir Briefe und Nachrichten mit. — Nur die nächſten: das edelſte weibliche Weſen, (das ich in Hildburghausen fand, Fräul. Caroline v. Feuchtersleben), mit dem ich meine vorigen Spiel- Kameradinnen der Liebe gar nicht vergleichen darf, wird im künftigen Jahre die Meinige, wenn die verneinenden Verwandten bejahen.25 Ein Brief-Fragment, das Herdern zu ihrem Freund machte, leg’ ich bei.
d. 29. Dec.
Schweige über das Vorige. Ich habe ſo viel über die ſtolze hohe Seele zu ſagen, daß ichs jezt nicht kan, gerade jezt, wo ſie, da ſie ihrer30 Mutter das Geſtändnis ihres Verhältnis gemacht, nun mit mir von kalten, obwohl gegen ſie warmen, Verwandten den Raub oder die Gabe der innern Zukunft erwartet. Laſſe mich nicht reden jezt, warlich du höreſt alles. —
Mein Herder kan mich nun nicht 2 Abende entbehren; und ich ihn35 nicht — nim ihn aus Weimar heute, ſo bin ich morgen nicht mehr
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mittag genos ich dein Werkgen bis auf den lezten Tropfen. Die
Karakteriſt[ik] deiner Perſonen iſt durchaus herlich, feſt und fein,
beſonders die weibliche; und beſſer als bei Voß — die Situazionen, die
Landſchaft, das Komiſche (das beſonders) und die Fabel lob’ ich. An
der leztern iſt nur die zertrennende 2jährige Abweſenheit des Helden 5
ein Ekſteingen. Du hätteſt vielleicht die Szene mit der Erwartung ſeiner
Rükkehr öfnen können mit Einſchiebung des Vergangnen; oder doch
ihn auf einem Paar Seiten durch die Welt führen und die Schilderung
der Weiber zum Beiwerk machen können. Ergreifend iſt p. 50 auſſer
dem ganzen Abend die hohe Nichtvolendung der Zeile, und die herliche 10
einfache Zeile ſelber. Du ſiehſt nun, was du vermagſt. Was ich tadle,
betrift blos die Härten, Dunkelheiten und Neuerungen des Vers-
baues, die aber in jedem Geſange milder werden. An individueller
Wahrheit ſind die Schweſt[ern] v[on] Lesbos weit übertroffen; freilich
die von der Geſchichte beſcheerte Fabel weniger. — Du ſolſt rathen, 15
ob ich alle 3 Exemplare noch habe. — Mir grauſet nun vor meiner
alg[emeinen] Welthiſtorie in Millionen Bänden. Daher ſchreib ich
am liebſten an Jacobi, zu dem ich nicht von mir ſondern von Ideen
rede. — Wahrſcheinlich — um einer Freundin gleich weit entgegen-
zureiſen — komm’ ich im Februar nach Berlin alſo nach Leipzig; hier 20
bring ich dir Briefe und Nachrichten mit. — Nur die nächſten: das
edelſte weibliche Weſen, (das ich in Hildburghausen fand, Fräul.
Caroline v. Feuchtersleben), mit dem ich meine vorigen Spiel-
Kameradinnen der Liebe gar nicht vergleichen darf, wird im künftigen
Jahre die Meinige, wenn die verneinenden Verwandten bejahen. 25
Ein Brief-Fragment, das Herdern zu ihrem Freund machte, leg’ ich
bei.
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Schweige über das Vorige. Ich habe ſo viel über die ſtolze hohe
Seele zu ſagen, daß ichs jezt nicht kan, gerade jezt, wo ſie, da ſie ihrer 30
Mutter das Geſtändnis ihres Verhältnis gemacht, nun mit mir von
kalten, obwohl gegen ſie warmen, Verwandten den Raub oder die
Gabe der innern Zukunft erwartet. Laſſe mich nicht reden jezt, warlich
du höreſt alles. —
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/288>, abgerufen am 22.11.2024.
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