glut; aber aus ihrem Anwinden und aus ihrem Wunsche, an mir zu schlafen und aus der Klage bei der lezten Umarmung, daß ich sie damit wieder aus der Ruhe gebracht, war leicht auf die Zukunft zu[405] schliessen. Ich sagte zu ihr: "Du (denn das war bald da) weist den Teufel, wie oft Männern ist" Und so gieng ich. -- Ich hatte in meinem5 schlafenden Kopf fast das ganze schlagende Herz droben: "morgen abends, -- im gothaischen Gasthofe -- ist eine Sache entschieden (dacht' ich die ganze Nacht), die es beinahe schon heute war." Einmal war ich fast dem Absagen der höllischen Himmelfarth himlischen Höllenfarth nahe. Aber ich fuhr doch mit, und ein Herr v. Schilding --10
d. 13 Sept.
-- hiesiger Kammerjunker, mit gebognen Knien und Ideen und nie bis an die Ferse lebendig, aber rein und gut jugendlich und jung- fräulich-fortblühend, kam im Gasthofe dazu und sezte sich improvi- satorisch auch ein, aber nur bis Erfurt. [Beschneiden des schlechten15 Papiers ist so viel wie feinstes nehmen.] Der Gräfin botanische und andere Kentnisse, ihre reisebeschreiberische Aufmerksamkeit auf jede Fabrik etc., ihre Festigkeit und Besonnenheit und enthaltsame Zunge gegen S., dem sie doch wie allen Männern, gefallen wolte, gefielen mir. Sparsam ist sie doch auch mit, wie überal die vornehmen Weiber.20 -- Wir kamen Abends in Gotha -- mit holder leichter Liebe -- an. [Unsere Wohn- und Nacht-Stuben trente nur eine innere Wand- Transitothüre.] Im dämmernden Mond-Abend vor dem Essen sas ich auf ihrem Kanapee -- meine Lichter [wurden] hereingetragen. Die kleine A[manda] lag an dem Mutterarm und machte stum (wie25 diese mir französisch sagte) vor Liebe zu ihr die Hand mit Thränen nas; ich lag am andern und wir kümmerten uns wenig um die ab und zu schreitende Dienerschaft. Ich könte die Schilderei noch romantischer färben, hätt' ich so viel Leinwand als Farbentusche. [Ich hatte eine 1/2 Himmelskugel unter meiner halben Hauptkugel. -- Luna oder30 Lucina. Man müste sich ein Publikum in der Neujahrmesse auf den Kauf bestellen, um dan davor es zu wagen, in der Ostermesse mit einem breiten Gemälde von allem auszustehen, von der Gluth -- dem Spiel etc., womit man solche Kanapeeslustra rosenhaft auslaubt. Freier spielen nie die Kräfte. -- Die Natur "schäumte" -- der Ausdruk verdient35 selber diesen Namen -- weiblicher Schlaf nur eine facon de parler,[406]
glut; aber aus ihrem Anwinden und aus ihrem Wunſche, an mir zu ſchlafen und aus der Klage bei der lezten Umarmung, daß ich ſie damit wieder aus der Ruhe gebracht, war leicht auf die Zukunft zu[405] ſchlieſſen. Ich ſagte zu ihr: „Du (denn das war bald da) weiſt den Teufel, wie oft Männern iſt“ Und ſo gieng ich. — Ich hatte in meinem5 ſchlafenden Kopf faſt das ganze ſchlagende Herz droben: „morgen abends, — im gothaiſchen Gaſthofe — iſt eine Sache entſchieden (dacht’ ich die ganze Nacht), die es beinahe ſchon heute war.“ Einmal war ich faſt dem Abſagen der hölliſchen Himmelfarth 〈himliſchen Höllenfarth〉 nahe. Aber ich fuhr doch mit, und ein Herr v. Schilding —10
d. 13 Sept.
— hieſiger Kammerjunker, mit gebognen Knien und Ideen und nie bis an die Ferſe lebendig, aber 〈rein und gut〉 jugendlich und jung- fräulich-fortblühend, kam im Gaſthofe dazu und ſezte ſich improvi- ſatoriſch auch ein, aber nur bis Erfurt. [Beſchneiden des ſchlechten15 Papiers iſt ſo viel wie feinſtes nehmen.] Der Gräfin botaniſche und andere Kentniſſe, ihre reiſebeſchreiberiſche Aufmerkſamkeit auf jede Fabrik ꝛc., ihre Feſtigkeit und Beſonnenheit und enthaltſame Zunge gegen S., dem ſie doch wie allen Männern, gefallen wolte, gefielen mir. Sparſam iſt ſie doch auch mit, wie überal die vornehmen Weiber.20 — Wir kamen Abends in Gotha — mit holder leichter Liebe — an. [Unſere Wohn- und Nacht-Stuben trente nur eine innere Wand- 〈Tranſito〉thüre.] Im dämmernden Mond-Abend vor dem Eſſen ſas ich auf ihrem Kanapee — meine Lichter [wurden] hereingetragen. Die kleine A[manda] lag an dem Mutterarm und machte ſtum (wie25 dieſe mir franzöſiſch ſagte) vor Liebe zu ihr die Hand mit Thränen nas; ich lag am andern und wir kümmerten uns wenig um die ab und zu ſchreitende Dienerſchaft. Ich könte die Schilderei noch romantiſcher färben, hätt’ ich ſo viel Leinwand als Farbentuſche. [Ich hatte eine ½ Himmelskugel unter meiner halben Hauptkugel. — Luna oder30 Lucina. Man müſte ſich ein Publikum in der Neujahrmeſſe auf den Kauf beſtellen, um dan davor es zu wagen, in der Oſtermeſſe mit einem breiten Gemälde von allem auszuſtehen, von der Gluth — dem Spiel ꝛc., womit man ſolche Kanapeesluſtra roſenhaft auslaubt. Freier ſpielen nie die Kräfte. — Die Natur „ſchäumte“ — der Ausdruk verdient35 ſelber dieſen Namen — weiblicher Schlaf nur eine façon de parler,[406]
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zu ſchlafen und aus der Klage bei der lezten Umarmung, daß ich ſie
damit wieder aus der Ruhe gebracht, war leicht auf die Zukunft zu
ſchlieſſen. Ich ſagte zu ihr: „Du (denn das war bald da) weiſt den
Teufel, wie oft Männern iſt“ Und ſo gieng ich. — Ich hatte in meinem 5
ſchlafenden Kopf faſt das ganze ſchlagende Herz droben: „morgen
abends, — im gothaiſchen Gaſthofe — iſt eine Sache entſchieden
(dacht’ ich die ganze Nacht), die es beinahe ſchon heute war.“ Einmal
war ich faſt dem Abſagen der hölliſchen Himmelfarth 〈himliſchen
Höllenfarth〉 nahe. Aber ich fuhr doch mit, und ein Herr v. Schilding — 10
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— hieſiger Kammerjunker, mit gebognen Knien und Ideen und nie
bis an die Ferſe lebendig, aber 〈rein und gut〉 jugendlich und jung-
fräulich-fortblühend, kam im Gaſthofe dazu und ſezte ſich improvi-
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andere Kentniſſe, ihre reiſebeſchreiberiſche Aufmerkſamkeit auf jede
Fabrik ꝛc., ihre Feſtigkeit und Beſonnenheit und enthaltſame Zunge
gegen S., dem ſie doch wie allen Männern, gefallen wolte, gefielen
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— Wir kamen Abends in Gotha — mit holder leichter Liebe — an.
[Unſere Wohn- und Nacht-Stuben trente nur eine innere Wand-
〈Tranſito〉thüre.] Im dämmernden Mond-Abend vor dem Eſſen
ſas ich auf ihrem Kanapee — meine Lichter [wurden] hereingetragen.
Die kleine A[manda] lag an dem Mutterarm und machte ſtum (wie 25
dieſe mir franzöſiſch ſagte) vor Liebe zu ihr die Hand mit Thränen nas;
ich lag am andern und wir kümmerten uns wenig um die ab und zu
ſchreitende Dienerſchaft. Ich könte die Schilderei noch romantiſcher
färben, hätt’ ich ſo viel Leinwand als Farbentuſche. [Ich hatte eine
½ Himmelskugel unter meiner halben Hauptkugel. — Luna oder 30
Lucina. Man müſte ſich ein Publikum in der Neujahrmeſſe auf den
Kauf beſtellen, um dan davor es zu wagen, in der Oſtermeſſe mit einem
breiten Gemälde von allem auszuſtehen, von der Gluth — dem Spiel ꝛc.,
womit man ſolche Kanapeesluſtra roſenhaft auslaubt. Freier ſpielen
nie die Kräfte. — Die Natur „ſchäumte“ — der Ausdruk verdient 35
ſelber dieſen Namen — weiblicher Schlaf nur eine façon de parler,
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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/398>, abgerufen am 22.11.2024.
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