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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959.

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selben: unglüklicher Weise flocht ich besagte widerlegenden Avoka-
torien in meinen Jubelsenior und die Welt weis nun nicht, wer eigent-
lich gestohlen. Er schrieb mir, er woll' es bekant machen, daß er
gebraucht habe. --

Seiferten gieb, wenn du noch mit ihm rechnest, 6 leichte fl. 12 gr.5
6 rtl. für seine späte gute Fadenlieferung. Ich sol ihn auf eine andere
Art bei Voelderndorf betten, welchem ich dabei ein Wort über den
sündlich-politisch usurpierten Wernlein sagen wil. -- (Ich habe dirs
nachher beigelegt)

Ich komme jezt auf meine wichtigste Aera und Epoche in Leipzig,10
die ausser Oertel niemand weis und erfährt wie du. Harpokrates lege
[50]seinen d. i. deinen Finger darüber auf deinen Mund! Ich gebe dir hier
nur den Extrakt aus einem künftig mündlichen dicken Protokol.

Von der*) [Berlepsch] ist die Rede, deren Seele die reinste, am
wenigsten sinliche, idealischste, festeste weibliche ist, die ich je kante,15
die aber eine egoistische Kälte der Menschenliebe hat und überal nichts
fodert und liebt als -- Volendung. Sie erfült alle Pflichten der Men-
schenliebe, ohne diese. Ich behandelte sie in Eger mit einer mir un-
gewöhnlichen unsinlichen Zurükhaltung und nahm -- selten ihre Hand
-- nur den weichsten Antheil an ihrem harten Geschik. Sie schlug mir20
ein schönes reiches höchst moralisches Mädgen in Zürch Heidegger,
Landvogts Tochter, ihre Freundin, zur Frau vor, für welche kein
Werber bisher rein und gut genug gewesen. Sie zeigte mir [am Rande:
Sile!
] darauf Briefe von einem Professor St[apfer] in Bern, den sie
nicht so wohl liebte als heirathen wolte und vor dessen moralisch-edler25
aber hypochondrischer Seele sie wie ein erhöhter Engel stand. -- In
einem einsamen Abend las ich ihr das erste Kapitel des Titans vor
[am Rande: Sile!] und sie umarmte mich im Enthusiasmus: der
meinige hatt' es nie gethan. -- In Hof [am Rande: etc.] darauf sagt
ich ihr, daß ich sie wohl oft in 8 Tagen in Leipzig wegen meiner dir30
zu bekanten Unart nicht sehen würde. Sie nahm das Schnupftuch vor
die Augen vol Schmerz und mir war als säh ich ihre stechende schnei-
dende Vergangenheit gewafnet wieder vor ihrem Herzen vorüber-
ziehen. Ich sah aber auch das Übermaas ihrer Foderungen.

*) Des Zufals wegen, es ist die mir in Eger 3 Gläser schenkte und die du nebst35
Sohn und Tochter im Gasthof sprachst.

ſelben: unglüklicher Weiſe flocht ich beſagte widerlegenden Avoka-
torien in meinen Jubelſenior und die Welt weis nun nicht, wer eigent-
lich geſtohlen. Er ſchrieb mir, er woll’ es bekant machen, daß er
gebraucht habe. —

Seiferten gieb, wenn du noch mit ihm rechneſt, 6 leichte fl. 12 gr.5
6 rtl. für ſeine ſpäte gute Fadenlieferung. Ich ſol ihn auf eine andere
Art bei Voelderndorf betten, welchem ich dabei ein Wort über den
ſündlich-politiſch uſurpierten Wernlein ſagen wil. — (Ich habe dirs
nachher beigelegt)

Ich komme jezt auf meine wichtigſte Aera und Epoche in Leipzig,10
die auſſer Oertel niemand weis und erfährt wie du. Harpokrates lege
[50]ſeinen d. i. deinen Finger darüber auf deinen Mund! Ich gebe dir hier
nur den Extrakt aus einem künftig mündlichen dicken Protokol.

Von der*) [Berlepsch] iſt die Rede, deren Seele die reinſte, am
wenigſten ſinliche, idealiſchſte, feſteſte weibliche iſt, die ich je kante,15
die aber eine egoiſtiſche Kälte der Menſchenliebe hat und überal nichts
fodert und liebt als — Volendung. Sie erfült alle Pflichten der Men-
ſchenliebe, ohne dieſe. Ich behandelte ſie in Eger mit einer mir un-
gewöhnlichen unſinlichen Zurükhaltung und nahm — ſelten ihre Hand
— nur den weichſten Antheil an ihrem harten Geſchik. Sie ſchlug mir20
ein ſchönes reiches höchſt moraliſches Mädgen in Zürch 〈Heidegger,
Landvogts Tochter〉, ihre Freundin, zur Frau vor, für welche kein
Werber bisher rein und gut genug geweſen. Sie zeigte mir [am Rande:
Sile!
] darauf Briefe von einem Profeſſor St[apfer] in Bern, den ſie
nicht ſo wohl liebte als heirathen wolte und vor deſſen moraliſch-edler25
aber hypochondriſcher Seele ſie wie ein erhöhter Engel ſtand. — In
einem einſamen Abend las ich ihr das erſte Kapitel des Titans vor
[am Rande: Sile!] und ſie umarmte mich im Enthuſiaſmus: der
meinige hatt’ es nie gethan. — In Hof [am Rande: etc.] darauf ſagt
ich ihr, daß ich ſie wohl oft in 8 Tagen in Leipzig wegen meiner dir30
zu bekanten Unart nicht ſehen würde. Sie nahm das Schnupftuch vor
die Augen vol Schmerz und mir war als ſäh ich ihre ſtechende ſchnei-
dende Vergangenheit gewafnet wieder vor ihrem Herzen vorüber-
ziehen. Ich ſah aber auch das Übermaas ihrer Foderungen.

*) Des Zufals wegen, es iſt die mir in Eger 3 Gläſer ſchenkte und die du nebſt35
Sohn und Tochter im Gaſthof ſprachſt.
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[46/0053] ſelben: unglüklicher Weiſe flocht ich beſagte widerlegenden Avoka- torien in meinen Jubelſenior und die Welt weis nun nicht, wer eigent- lich geſtohlen. Er ſchrieb mir, er woll’ es bekant machen, daß er gebraucht habe. — Seiferten gieb, wenn du noch mit ihm rechneſt, 6 leichte fl. 12 gr. 5 6 rtl. für ſeine ſpäte gute Fadenlieferung. Ich ſol ihn auf eine andere Art bei Voelderndorf betten, welchem ich dabei ein Wort über den ſündlich-politiſch uſurpierten Wernlein ſagen wil. — (Ich habe dirs nachher beigelegt) Ich komme jezt auf meine wichtigſte Aera und Epoche in Leipzig, 10 die auſſer Oertel niemand weis und erfährt wie du. Harpokrates lege ſeinen d. i. deinen Finger darüber auf deinen Mund! Ich gebe dir hier nur den Extrakt aus einem künftig mündlichen dicken Protokol. [50] Von der *) [Berlepsch] iſt die Rede, deren Seele die reinſte, am wenigſten ſinliche, idealiſchſte, feſteſte weibliche iſt, die ich je kante, 15 die aber eine egoiſtiſche Kälte der Menſchenliebe hat und überal nichts fodert und liebt als — Volendung. Sie erfült alle Pflichten der Men- ſchenliebe, ohne dieſe. Ich behandelte ſie in Eger mit einer mir un- gewöhnlichen unſinlichen Zurükhaltung und nahm — ſelten ihre Hand — nur den weichſten Antheil an ihrem harten Geſchik. Sie ſchlug mir 20 ein ſchönes reiches höchſt moraliſches Mädgen in Zürch 〈Heidegger, Landvogts Tochter〉, ihre Freundin, zur Frau vor, für welche kein Werber bisher rein und gut genug geweſen. Sie zeigte mir [am Rande: Sile!] darauf Briefe von einem Profeſſor St[apfer] in Bern, den ſie nicht ſo wohl liebte als heirathen wolte und vor deſſen moraliſch-edler 25 aber hypochondriſcher Seele ſie wie ein erhöhter Engel ſtand. — In einem einſamen Abend las ich ihr das erſte Kapitel des Titans vor [am Rande: Sile!] und ſie umarmte mich im Enthuſiaſmus: der meinige hatt’ es nie gethan. — In Hof [am Rande: etc.] darauf ſagt ich ihr, daß ich ſie wohl oft in 8 Tagen in Leipzig wegen meiner dir 30 zu bekanten Unart nicht ſehen würde. Sie nahm das Schnupftuch vor die Augen vol Schmerz und mir war als ſäh ich ihre ſtechende ſchnei- dende Vergangenheit gewafnet wieder vor ihrem Herzen vorüber- ziehen. Ich ſah aber auch das Übermaas ihrer Foderungen. *) Des Zufals wegen, es iſt die mir in Eger 3 Gläſer ſchenkte und die du nebſt 35 Sohn und Tochter im Gaſthof ſprachſt.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:05:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:05:42Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/53>, abgerufen am 22.11.2024.