gestrichnen oder eingekindschafteten Seiten. -- Er liebt mich sehr. -- Und so auch die Niemeierschen, wovon ich die Frau wegen ihrer gut- müthigen gesprächigen Ausbildung besonders aushebe. Ich sol so abends in Halle herumessen. Aus zu heben ist auch die Frau des Sprengels, bei der ich war; und Sprengel als Grobian und Säufer5 (er war nicht da).
Halberstadt d. 23 Jul. [Montag]
Meine Personalien sind vorerst die: Reichard (von dem ich bei dem ersten Sehen in Hof nicht ein Kopf- sondern Kniestük verfertigt und in mir aufgehangen habe) strikte mich bis Freitags mit Schlus- und10 Blumenketten fest. Zum Sorites gehörte, daß er mir die Anwesenheit Gleims zweifelhaft machte und mich die Antwort von Klamer Schmidt zu erwarten zwang, an den ich in Leipzig anfragend geschrieben hatte.[84] Das Schmidt-Ja kam Freitags und ab lief ich, d. h. nach dem Früh- stük das bei Reichard in Wein und Butterbrod etc. um 12 Uhr besteht.15 Nach Cönnern (31/2 Meilen) gieng ich zu Fusse; fuhr nach Aschersleben mit Extrapost, die in einem von unten auf rädernden Bret mit 4 Rädern besteht. Sonabends gieng ich mit einem angesessenen, nicht angerittenen Wolf, in 6 Stunden (10 rechnet man) nach Halberstadt. Hier war ein Wirth zu meinem Empfang beordert, der mich sogleich20 Gleim denunzieren solte. Ich hielt aber 2 Raststunden. Nach dem er- statteten Bericht kam der Bediente Gleims mit seinen requisitorialibus und brachte mich an das beste alte Herz. Gleim stand unter der Thüre: so herzlich wurd' ich noch von keinem Gelehrten empfangen, weil keiner ein solcher Teutschmeister ist wie Gleim. Sez' ihn dir aus Feuer und25 Offenheit und Redlichkeit und Muth und preussischem Vaterlands- eifer -- ach wie wohl thut einem jezt ein Mensch, der an kein Stief- vaterland glaubt -- und Sin für jede erhöhte Regung zusammen und gieb ihm noch zum breitesten litterarischen Spielraum einen eben so weiten politischen: so hast du ihn neben dir. Wie hebt diesen biedern30 Borussianer, der vor lauter Feuerflammen nie die rechte Gesichtsfarbe anderer Menschen sehen kan, mein Herz über die ästhetischen Gaukler in Weimar und Jena und Berlin, die für keine Seele eine haben, vor denen alle Karaktere nur beschauet, nicht ergriffen, wie die Karaktere die von 5 bis 8 Uhr auf der Bühne dauern, vorüberwehen! Ich denk35 auch an Reichard, der zwar wie Antäus auf der Familien-Erde wieder Stärkung einsaugt, der aber doch jeden zu sehr im rechten
geſtrichnen oder eingekindſchafteten Seiten. — Er liebt mich ſehr. — Und ſo auch die Niemeierſchen, wovon ich die Frau wegen ihrer gut- müthigen geſprächigen Ausbildung beſonders aushebe. Ich ſol ſo abends in Halle herumeſſen. Aus zu heben iſt auch die Frau des Sprengels, bei der ich war; und Sprengel als Grobian und Säufer5 (er war nicht da).
Halberstadt d. 23 Jul. [Montag]
Meine Perſonalien ſind vorerſt die: Reichard (von dem ich bei dem erſten Sehen in Hof nicht ein Kopf- ſondern Knieſtük verfertigt und in mir aufgehangen habe) ſtrikte mich bis Freitags mit Schlus- und10 Blumenketten feſt. Zum Sorites gehörte, daß er mir die Anweſenheit Gleims zweifelhaft machte und mich die Antwort von Klamer Schmidt zu erwarten zwang, an den ich in Leipzig anfragend geſchrieben hatte.[84] Das Schmidt-Ja kam Freitags und ab lief ich, d. h. nach dem Früh- ſtük das bei Reichard in Wein und Butterbrod ꝛc. um 12 Uhr beſteht.15 Nach Cönnern (3½ Meilen) gieng ich zu Fuſſe; fuhr nach Aſchersleben mit Extrapoſt, die in einem von unten auf rädernden Bret mit 4 Rädern beſteht. Sonabends gieng ich mit einem angeſeſſenen, nicht angerittenen Wolf, in 6 Stunden (10 rechnet man) nach Halberstadt. Hier war ein Wirth zu meinem Empfang beordert, der mich ſogleich20 Gleim denunzieren ſolte. Ich hielt aber 2 Raſtſtunden. Nach dem er- ſtatteten Bericht kam der Bediente Gleims mit ſeinen requisitorialibus und brachte mich an das beſte alte Herz. Gleim ſtand unter der Thüre: ſo herzlich wurd’ ich noch von keinem Gelehrten empfangen, weil keiner ein ſolcher Teutſchmeiſter iſt wie Gleim. Sez’ ihn dir aus Feuer und25 Offenheit und Redlichkeit und Muth und preuſſiſchem Vaterlands- eifer — ach wie wohl thut einem jezt ein Menſch, der an kein Stief- vaterland glaubt — und Sin für jede erhöhte Regung zuſammen und gieb ihm noch zum breiteſten litterariſchen Spielraum einen eben ſo weiten politiſchen: ſo haſt du ihn neben dir. Wie hebt dieſen biedern30 Boruſſianer, der vor lauter Feuerflammen nie die rechte Geſichtsfarbe anderer Menſchen ſehen kan, mein Herz über die äſthetiſchen Gaukler in Weimar und Jena und Berlin, die für keine Seele eine haben, vor denen alle Karaktere nur beſchauet, nicht ergriffen, wie die Karaktere die von 5 bis 8 Uhr auf der Bühne dauern, vorüberwehen! Ich denk35 auch an Reichard, der zwar wie Antäus auf der Familien-Erde wieder Stärkung einſaugt, der aber doch jeden zu ſehr im rechten
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geſtrichnen oder eingekindſchafteten Seiten. — Er liebt mich ſehr. —
Und ſo auch die Niemeierſchen, wovon ich die Frau wegen ihrer gut-
müthigen geſprächigen Ausbildung beſonders aushebe. Ich ſol ſo
abends in Halle herumeſſen. Aus zu heben iſt auch die Frau des
Sprengels, bei der ich war; und Sprengel als Grobian und Säufer 5
(er war nicht da).
Halberstadt d. 23 Jul. [Montag]
Meine Perſonalien ſind vorerſt die: Reichard (von dem ich bei dem
erſten Sehen in Hof nicht ein Kopf- ſondern Knieſtük verfertigt und in
mir aufgehangen habe) ſtrikte mich bis Freitags mit Schlus- und 10
Blumenketten feſt. Zum Sorites gehörte, daß er mir die Anweſenheit
Gleims zweifelhaft machte und mich die Antwort von Klamer Schmidt
zu erwarten zwang, an den ich in Leipzig anfragend geſchrieben hatte.
Das Schmidt-Ja kam Freitags und ab lief ich, d. h. nach dem Früh-
ſtük das bei Reichard in Wein und Butterbrod ꝛc. um 12 Uhr beſteht. 15
Nach Cönnern (3½ Meilen) gieng ich zu Fuſſe; fuhr nach Aſchersleben
mit Extrapoſt, die in einem von unten auf rädernden Bret mit
4 Rädern beſteht. Sonabends gieng ich mit einem angeſeſſenen, nicht
angerittenen Wolf, in 6 Stunden (10 rechnet man) nach Halberstadt.
Hier war ein Wirth zu meinem Empfang beordert, der mich ſogleich 20
Gleim denunzieren ſolte. Ich hielt aber 2 Raſtſtunden. Nach dem er-
ſtatteten Bericht kam der Bediente Gleims mit ſeinen requisitorialibus
und brachte mich an das beſte alte Herz. Gleim ſtand unter der Thüre:
ſo herzlich wurd’ ich noch von keinem Gelehrten empfangen, weil keiner
ein ſolcher Teutſchmeiſter iſt wie Gleim. Sez’ ihn dir aus Feuer und 25
Offenheit und Redlichkeit und Muth und preuſſiſchem Vaterlands-
eifer — ach wie wohl thut einem jezt ein Menſch, der an kein Stief-
vaterland glaubt — und Sin für jede erhöhte Regung zuſammen und
gieb ihm noch zum breiteſten litterariſchen Spielraum einen eben ſo
weiten politiſchen: ſo haſt du ihn neben dir. Wie hebt dieſen biedern 30
Boruſſianer, der vor lauter Feuerflammen nie die rechte Geſichtsfarbe
anderer Menſchen ſehen kan, mein Herz über die äſthetiſchen Gaukler
in Weimar und Jena und Berlin, die für keine Seele eine haben, vor
denen alle Karaktere nur beſchauet, nicht ergriffen, wie die Karaktere
die von 5 bis 8 Uhr auf der Bühne dauern, vorüberwehen! Ich denk 35
auch an Reichard, der zwar wie Antäus auf der Familien-Erde
wieder Stärkung einſaugt, der aber doch jeden zu ſehr im rechten
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:05:42Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 3. Berlin, 1959, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe03_1959/85>, abgerufen am 09.11.2024.
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