Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960.

Bild:
<< vorherige Seite

herrn verlieren würde, wenn er mich nicht ausserhalb des Thors
brauchen dürfte, wohin gerade seine Geschäfte mit mir fallen -- und
da ich sein einziger Viehstand bin und seine Poularderie und Fasanerie
und sein Wappenthier; und da Sie ihn gewis halb so lieben als er Sie;
und da Sie oft, wenn Sie bei ihm waren, die Gnade gehabt, mich5
armen Hund zu streicheln und zu sagen: kom Spiz -- so verseh ich mich
zu meinem Glüksstern und Hundsstern, daß mir verstattet werde,
früher als ich zu Schuhen zugeschnitten bin und auf andern Füssen als
auf fremden, vor das Thor zu kommen.

Spiz10
p. t. Hund bei H. J. P.
314. An Christian Otto.

Lieber Alter! Dein Brief und Urtheil labte mich. Es braucht bei
einer neuen Ausgabe des Titans nur Ausstossungen und im 1. [Band]15
entweder das Umschmelzen oder Vorausschicken der Jugendgeschichte.
Im 4. Band ist kein einziges Fehlen oder Ich; eben so im 5. Ich
bin nun mein Selbst-Sieger; und so sol künftig auch das Komische
geschrieben sein. -- Hast du meinen lezten vom 10ten erhalten? --
Unter deiner Anlage zu Geschäften meint' ich das: in die Strumpf-20
[199]weberei, Hausbauerei, Juristerei fandest du dich überal gleich schnel,
mit einem seltenen Durchblik der Menschen, mit einer dir eignen mir
abgängigen Kraft, eine Begebenheit rük- und vorwärts zu konstru-
ieren und ganz ferne in einander zu ziehen und zu weben. Und das ist
historischer Geist. Du sprichst von deiner Unentschlossenheit und Ver-25
legenheit; ich habe beide nicht sonderlich, und doch keinen Geschäfts-
geist, ob er sich gleich inspir[ier]en liesse. -- Jezt erst durch dich freu'
ich mich recht über Hardenberg. -- Deine Worte über meine frucht-
tragende Frau rührten mich innig. Du solst wie von einer Fürstin
immer das Diarium ihres Doppellebens haben. Lange dauerts wohl30
nicht mehr. In dieser Nacht hatte sie bei ihrer fortblühenden Gesund-
heit fortwachende Schmerzen, die ich anfangs dem Reize der Ver-
stopfung zuschrieb. Am Morgen fand die Hebamme -- eine in Jena
ächt ausgelernte, ein weises Man-Weib --, daß nach 2 Stunden die
Entbindung sein werde. Um 11 Uhr erfolgte leztere mit einem göt-35
lichen Töchterlein. Himmel! du wirst entzükt auffahren wie ich, als

herrn verlieren würde, wenn er mich nicht auſſerhalb des Thors
brauchen dürfte, wohin gerade ſeine Geſchäfte mit mir fallen — und
da ich ſein einziger Viehſtand bin und ſeine Poularderie und Faſanerie
und ſein Wappenthier; und da Sie ihn gewis halb ſo lieben als er Sie;
und da Sie oft, wenn Sie bei ihm waren, die Gnade gehabt, mich5
armen Hund zu ſtreicheln und zu ſagen: kom Spiz — ſo verſeh ich mich
zu meinem Glüksſtern und Hundsſtern, daß mir verſtattet werde,
früher als ich zu Schuhen zugeſchnitten bin und auf andern Füſſen als
auf fremden, vor das Thor zu kommen.

Spiz10
p. t. Hund bei H. J. P.
314. An Chriſtian Otto.

Lieber Alter! Dein Brief und Urtheil labte mich. Es braucht bei
einer neuen Ausgabe des Titans nur Ausſtoſſungen und im 1. [Band]15
entweder das Umſchmelzen oder Vorausſchicken der Jugendgeſchichte.
Im 4. Band iſt kein einziges Fehlen oder Ich; eben ſo im 5. Ich
bin nun mein Selbſt-Sieger; und ſo ſol künftig auch das Komiſche
geſchrieben ſein. — Haſt du meinen lezten vom 10ten erhalten? —
Unter deiner Anlage zu Geſchäften meint’ ich das: in die Strumpf-20
[199]weberei, Hausbauerei, Juriſterei fandeſt du dich überal gleich ſchnel,
mit einem ſeltenen Durchblik der Menſchen, mit einer dir eignen mir
abgängigen Kraft, eine Begebenheit rük- und vorwärts zu konſtru-
ieren und ganz ferne in einander zu ziehen und zu weben. Und das iſt
hiſtoriſcher Geiſt. Du ſprichſt von deiner Unentſchloſſenheit und Ver-25
legenheit; ich habe beide nicht ſonderlich, und doch keinen Geſchäfts-
geiſt, ob er ſich gleich inſpir[ier]en lieſſe. — Jezt erſt durch dich freu’
ich mich recht über Hardenberg. — Deine Worte über meine frucht-
tragende Frau rührten mich innig. Du ſolſt wie von einer Fürſtin
immer das Diarium ihres Doppellebens haben. Lange dauerts wohl30
nicht mehr. In dieſer Nacht hatte ſie bei ihrer fortblühenden Geſund-
heit fortwachende Schmerzen, die ich anfangs dem Reize der Ver-
ſtopfung zuſchrieb. Am Morgen fand die Hebamme — eine in Jena
ächt ausgelernte, ein weiſes Man-Weib —, daß nach 2 Stunden die
Entbindung ſein werde. Um 11 Uhr erfolgte leztere mit einem göt-35
lichen Töchterlein. Himmel! du wirſt entzükt auffahren wie ich, als

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <p><pb facs="#f0185" n="178"/>
herrn verlieren würde, wenn er mich nicht au&#x017F;&#x017F;erhalb des Thors<lb/>
brauchen dürfte, wohin gerade &#x017F;eine Ge&#x017F;chäfte mit mir fallen &#x2014; und<lb/>
da ich &#x017F;ein einziger Vieh&#x017F;tand bin und &#x017F;eine Poularderie und Fa&#x017F;anerie<lb/>
und &#x017F;ein Wappenthier; und da Sie ihn gewis halb &#x017F;o lieben als er Sie;<lb/>
und da Sie oft, wenn Sie bei ihm waren, die Gnade gehabt, mich<lb n="5"/>
armen Hund zu &#x017F;treicheln und zu &#x017F;agen: kom Spiz &#x2014; &#x017F;o ver&#x017F;eh ich mich<lb/>
zu meinem Glüks&#x017F;tern und Hunds&#x017F;tern, daß mir ver&#x017F;tattet werde,<lb/>
früher als ich zu Schuhen zuge&#x017F;chnitten bin und auf andern Fü&#x017F;&#x017F;en als<lb/>
auf fremden, vor das Thor zu kommen.</p><lb/>
        <closer>
          <salute> <hi rendition="#right">Spiz<lb n="10"/> <hi rendition="#aq">p. t.</hi> Hund bei H. <hi rendition="#aq">J. P.</hi></hi> </salute>
        </closer>
      </div><lb/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>314. An <hi rendition="#g">Chri&#x017F;tian Otto.</hi></head><lb/>
        <dateline> <hi rendition="#right"><hi rendition="#aq">M[einingen] d. 20. Sept.</hi> [1802]</hi> </dateline><lb/>
        <p>Lieber Alter! Dein Brief und Urtheil labte mich. Es braucht bei<lb/>
einer neuen Ausgabe des Titans nur Aus&#x017F;to&#x017F;&#x017F;ungen und im 1. [Band]<lb n="15"/>
entweder das Um&#x017F;chmelzen oder Voraus&#x017F;chicken der Jugendge&#x017F;chichte.<lb/>
Im 4. Band i&#x017F;t <hi rendition="#g">kein einziges Fehlen</hi> oder Ich; eben &#x017F;o im 5. Ich<lb/>
bin nun mein Selb&#x017F;t-Sieger; und &#x017F;o &#x017F;ol künftig auch das Komi&#x017F;che<lb/>
ge&#x017F;chrieben &#x017F;ein. &#x2014; Ha&#x017F;t du meinen lezten vom 10<hi rendition="#sup">ten</hi> erhalten? &#x2014;<lb/>
Unter deiner Anlage zu Ge&#x017F;chäften meint&#x2019; ich das: in die Strumpf-<lb n="20"/>
<note place="left"><ref target="1922_Bd4_199">[199]</ref></note>weberei, Hausbauerei, Juri&#x017F;terei fande&#x017F;t du dich überal gleich &#x017F;chnel,<lb/>
mit einem &#x017F;eltenen Durchblik der Men&#x017F;chen, mit einer dir eignen mir<lb/>
abgängigen Kraft, eine Begebenheit rük- und vorwärts zu kon&#x017F;tru-<lb/>
ieren und ganz ferne in einander zu ziehen und zu weben. Und das i&#x017F;t<lb/>
hi&#x017F;tori&#x017F;cher Gei&#x017F;t. Du &#x017F;prich&#x017F;t von deiner Unent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enheit und Ver-<lb n="25"/>
legenheit; ich habe beide nicht &#x017F;onderlich, und doch keinen Ge&#x017F;chäfts-<lb/>
gei&#x017F;t, ob er &#x017F;ich gleich in&#x017F;pir[ier]en lie&#x017F;&#x017F;e. &#x2014; Jezt er&#x017F;t durch dich freu&#x2019;<lb/>
ich mich recht über <hi rendition="#aq">Hardenberg.</hi> &#x2014; Deine Worte über meine frucht-<lb/>
tragende Frau rührten mich innig. Du &#x017F;ol&#x017F;t wie von einer Für&#x017F;tin<lb/>
immer das Diarium ihres Doppellebens haben. Lange dauerts wohl<lb n="30"/>
nicht mehr. In die&#x017F;er Nacht hatte &#x017F;ie bei ihrer fortblühenden Ge&#x017F;und-<lb/>
heit fortwachende Schmerzen, die ich anfangs dem Reize der Ver-<lb/>
&#x017F;topfung zu&#x017F;chrieb. Am Morgen fand die Hebamme &#x2014; eine in Jena<lb/>
ächt ausgelernte, ein wei&#x017F;es Man-Weib &#x2014;, daß nach 2 Stunden die<lb/>
Entbindung &#x017F;ein werde. Um 11 Uhr erfolgte leztere mit einem göt-<lb n="35"/>
lichen Töchterlein. Himmel! du wir&#x017F;t entzükt auffahren wie ich, als<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[178/0185] herrn verlieren würde, wenn er mich nicht auſſerhalb des Thors brauchen dürfte, wohin gerade ſeine Geſchäfte mit mir fallen — und da ich ſein einziger Viehſtand bin und ſeine Poularderie und Faſanerie und ſein Wappenthier; und da Sie ihn gewis halb ſo lieben als er Sie; und da Sie oft, wenn Sie bei ihm waren, die Gnade gehabt, mich 5 armen Hund zu ſtreicheln und zu ſagen: kom Spiz — ſo verſeh ich mich zu meinem Glüksſtern und Hundsſtern, daß mir verſtattet werde, früher als ich zu Schuhen zugeſchnitten bin und auf andern Füſſen als auf fremden, vor das Thor zu kommen. Spiz 10 p. t. Hund bei H. J. P. 314. An Chriſtian Otto. M[einingen] d. 20. Sept. [1802] Lieber Alter! Dein Brief und Urtheil labte mich. Es braucht bei einer neuen Ausgabe des Titans nur Ausſtoſſungen und im 1. [Band] 15 entweder das Umſchmelzen oder Vorausſchicken der Jugendgeſchichte. Im 4. Band iſt kein einziges Fehlen oder Ich; eben ſo im 5. Ich bin nun mein Selbſt-Sieger; und ſo ſol künftig auch das Komiſche geſchrieben ſein. — Haſt du meinen lezten vom 10ten erhalten? — Unter deiner Anlage zu Geſchäften meint’ ich das: in die Strumpf- 20 weberei, Hausbauerei, Juriſterei fandeſt du dich überal gleich ſchnel, mit einem ſeltenen Durchblik der Menſchen, mit einer dir eignen mir abgängigen Kraft, eine Begebenheit rük- und vorwärts zu konſtru- ieren und ganz ferne in einander zu ziehen und zu weben. Und das iſt hiſtoriſcher Geiſt. Du ſprichſt von deiner Unentſchloſſenheit und Ver- 25 legenheit; ich habe beide nicht ſonderlich, und doch keinen Geſchäfts- geiſt, ob er ſich gleich inſpir[ier]en lieſſe. — Jezt erſt durch dich freu’ ich mich recht über Hardenberg. — Deine Worte über meine frucht- tragende Frau rührten mich innig. Du ſolſt wie von einer Fürſtin immer das Diarium ihres Doppellebens haben. Lange dauerts wohl 30 nicht mehr. In dieſer Nacht hatte ſie bei ihrer fortblühenden Geſund- heit fortwachende Schmerzen, die ich anfangs dem Reize der Ver- ſtopfung zuſchrieb. Am Morgen fand die Hebamme — eine in Jena ächt ausgelernte, ein weiſes Man-Weib —, daß nach 2 Stunden die Entbindung ſein werde. Um 11 Uhr erfolgte leztere mit einem göt- 35 lichen Töchterlein. Himmel! du wirſt entzükt auffahren wie ich, als [199]

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:08:29Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:08:29Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/185
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/185>, abgerufen am 21.11.2024.