ichs wieder, dauerten sie fort bis heute, wo ich wieder schreibe. Aber wo denkst denn du hin? Schuldig bist du mir noch Beantwortungen der Fragen über Liebman und das Asthmatisierende des B[ayreuther] Biers. Dies Schweigen ist nicht recht und gut, du müstest denn Höllenarbeiten auf dir haben. -- Schreibe mir doch, was die Stelle5 einträgt, die dein Bruder wil. Ich kan nichts für ihn thun und du kanst (aber nur wenn du gern wilst) ihm sagen lassen, daß ich mich auf meinen vorigen Brief bezöge. Wüst' ich gewis, daß er [216]ohnehin die Stelle nicht bekäme: so hielt' ich für meinen Bruder darum an; im andern Falle dürft ichs nicht. -- An Hardenberg10 schrieb ich bisher nicht, weil er dem Wechmar, der für Schwendler in den neuen Ländern einen Siz verlangte, das Gesez des Königs schrieb, jeden nur mit einem Eingebornen zu besezen. -- Legst du dir denn nicht in deinen Schweigens-Thomasnächten -- wie ich in meinen Siesten -- ein Blat hin, worauf du während derselben die15 almähligen Novitäten und Contenta für den Brief samlest? -- Schreibe mir doch viele von Wonsiedel, Hof, Bayreuth. -- Den 6. Dec. wurde mein Titan rein und recht beschlossen, nachdem ich wie gewöhnlich immer wüthiger gegen das Ende fortbrausete und kaum aussezen wolte, weil jedes Ende als Fokalpunkt alle Linien20 samlet und also durch übermässigen Stof alles erleichtert. Den 12. fieng ich den Notar an, nachdem ich in diesem durch 6 Tage Arbeit endlich den perspektiv[ischen] alles ordnenden P[unkt] gefunden. Ich wage oft ganze Bände hin auf die -- Möglichkeit, daß ich für eine unauflösliche Schwierigkeit schon die Lösung finde, wenn die Noth25 da ist und nie mislangs. Wähle doch hier ein wenig unter den Titeln und bezeichne die besten und dümsten. Das Notariat wie die Schult- heisserei ist flüchtiges Nebenwerk; der Held und Jurist ist die dichte- rischste zarteste und zärtlichste etc. individuelste kindlichste Seele -- ganz eigne neue griechische Gedichte geb' ich darin -- aber unbeholfen,30 weltlos und unbesonnen und so scheinbar-dum wie möglich. -- Der Selbstzwang im Titan hat mich auch im Komischen gereift. Gott, wie fliests und fliehts! (Flinz schreibt Klopstok lezteres.)
Die Krankheit meiner C. (höre, Emanuel) wurde von der ganzen Stadt, mich ausgenommen für gefährlich gehalten, täglich kam35 Dokt[or] und Chirurg[us] zweimal -- Milchversezungen sind so oft Versezungen des Pazienten selber; und hier solt' ich Briefe schreiben?
ichs wieder, dauerten ſie fort bis heute, wo ich wieder ſchreibe. Aber wo denkſt denn du hin? Schuldig biſt du mir noch Beantwortungen der Fragen über Liebman und das Aſthmatiſierende des B[ayreuther] Biers. Dies Schweigen iſt nicht recht und gut, du müſteſt denn Höllenarbeiten auf dir haben. — Schreibe mir doch, was die Stelle5 einträgt, die dein Bruder wil. Ich kan nichts für ihn thun und du kanſt (aber nur wenn du gern wilſt) ihm ſagen laſſen, daß ich mich auf meinen vorigen Brief bezöge. Wüſt’ ich gewis, daß er [216]ohnehin die Stelle nicht bekäme: ſo hielt’ ich für meinen Bruder darum an; im andern Falle dürft ichs nicht. — An Hardenberg10 ſchrieb ich bisher nicht, weil er dem Wechmar, der für Schwendler in den neuen Ländern einen Siz verlangte, das Geſez des Königs ſchrieb, jeden nur mit einem Eingebornen zu beſezen. — Legſt du dir denn nicht in deinen Schweigens-Thomasnächten — wie ich in meinen Sieſten — ein Blat hin, worauf du während derſelben die15 almähligen Novitäten und Contenta für den Brief ſamleſt? — Schreibe mir doch viele von Wonsiedel, Hof, Bayreuth. — Den 6. Dec. wurde mein Titan rein und recht beſchloſſen, nachdem ich wie gewöhnlich immer wüthiger gegen das Ende fortbrauſete und kaum ausſezen wolte, weil jedes Ende als Fokalpunkt alle Linien20 ſamlet und alſo durch übermäſſigen Stof alles erleichtert. Den 12. fieng ich den Notar an, nachdem ich in dieſem durch 6 Tage Arbeit endlich den perſpektiv[iſchen] alles ordnenden P[unkt] gefunden. Ich wage oft ganze Bände hin auf die — Möglichkeit, daß ich für eine unauflösliche Schwierigkeit ſchon die Löſung finde, wenn die Noth25 da iſt und nie mislangs. Wähle doch hier ein wenig unter den Titeln und bezeichne die beſten und dümſten. Das Notariat wie die Schult- heiſſerei iſt flüchtiges Nebenwerk; der Held und Juriſt iſt die dichte- riſchſte zarteſte und zärtlichſte ꝛc. individuelſte kindlichſte Seele — ganz eigne neue griechiſche Gedichte geb’ ich darin — aber unbeholfen,30 weltlos und unbeſonnen und ſo ſcheinbar-dum wie möglich. — Der Selbſtzwang im Titan hat mich auch im Komiſchen gereift. Gott, wie flieſts und fliehts! (Flīz ſchreibt Klopſtok lezteres.)
Die Krankheit meiner C. (höre, Emanuel) wurde von der ganzen Stadt, mich ausgenommen für gefährlich gehalten, täglich kam35 Dokt[or] und Chirurg[us] zweimal — Milchverſezungen ſind ſo oft Verſezungen des Pazienten ſelber; und hier ſolt’ ich Briefe ſchreiben?
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Biers. Dies Schweigen iſt nicht recht und gut, du müſteſt denn
Höllenarbeiten auf dir haben. — Schreibe mir doch, was die Stelle 5
einträgt, die dein Bruder wil. Ich kan nichts für ihn thun und du
kanſt (aber nur wenn du gern wilſt) ihm ſagen laſſen, daß ich
mich auf meinen vorigen Brief bezöge. Wüſt’ ich gewis, daß er
ohnehin die Stelle nicht bekäme: ſo hielt’ ich für meinen Bruder
darum an; im andern Falle dürft ichs nicht. — An Hardenberg 10
ſchrieb ich bisher nicht, weil er dem Wechmar, der für Schwendler
in den neuen Ländern einen Siz verlangte, das Geſez des Königs
ſchrieb, jeden nur mit einem Eingebornen zu beſezen. — Legſt du dir
denn nicht in deinen Schweigens-Thomasnächten — wie ich in
meinen Sieſten — ein Blat hin, worauf du während derſelben die 15
almähligen Novitäten und Contenta für den Brief ſamleſt? —
Schreibe mir doch viele von Wonsiedel, Hof, Bayreuth. — Den
6. Dec. wurde mein Titan rein und recht beſchloſſen, nachdem ich
wie gewöhnlich immer wüthiger gegen das Ende fortbrauſete und
kaum ausſezen wolte, weil jedes Ende als Fokalpunkt alle Linien 20
ſamlet und alſo durch übermäſſigen Stof alles erleichtert. Den 12.
fieng ich den Notar an, nachdem ich in dieſem durch 6 Tage Arbeit
endlich den perſpektiv[iſchen] alles ordnenden P[unkt] gefunden. Ich
wage oft ganze Bände hin auf die — Möglichkeit, daß ich für eine
unauflösliche Schwierigkeit ſchon die Löſung finde, wenn die Noth 25
da iſt und nie mislangs. Wähle doch hier ein wenig unter den Titeln
und bezeichne die beſten und dümſten. Das Notariat wie die Schult-
heiſſerei iſt flüchtiges Nebenwerk; der Held und Juriſt iſt die dichte-
riſchſte zarteſte und zärtlichſte ꝛc. individuelſte kindlichſte Seele — ganz
eigne neue griechiſche Gedichte geb’ ich darin — aber unbeholfen, 30
weltlos und unbeſonnen und ſo ſcheinbar-dum wie möglich. — Der
Selbſtzwang im Titan hat mich auch im Komiſchen gereift. Gott,
wie flieſts und fliehts! (Flīz ſchreibt Klopſtok lezteres.)
[216]
Die Krankheit meiner C. (höre, Emanuel) wurde von der ganzen
Stadt, mich ausgenommen für gefährlich gehalten, täglich kam 35
Dokt[or] und Chirurg[us] zweimal — Milchverſezungen ſind ſo oft
Verſezungen des Pazienten ſelber; und hier ſolt’ ich Briefe ſchreiben?
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:08:29Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/201>, abgerufen am 16.02.2025.
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